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Feature

Der Seelenfänger

Als Necla Aydın zum ersten Mal den Mann anrief, von dem sie sich Hilfe versprach, nahm er sofort ab. Er hörte sie an, kurz nur, dann sagte er: Was sind Sie für ein Glückspilz. Eigentlich nehme er keine neuen Patienten auf, aber für ihre Tochter mache er eine Ausnahme. Und Necla Aydın dachte: Was bin ich für ein Glückspilz.

Ihre Tochter war damals 13 Jahre alt und machte Probleme, die Mädchen ihres Alters machen können. Viel mehr will Necla Aydın dazu nicht sagen, wenn sie heute ihre Geschichte erzählt, auch ihren wahren Namen will sie nicht in der Zeitung lesen. Mutter und Tochter fanden nicht mehr zueinander, und Necla Aydın wusste nicht weiter. Sie suchte einen Psychologen, einen türkischstämmigen. Wegen der Kultur, sagt sie, wegen der Werte, wegen der Sprache. Sie fand keinen. Dann, Anfang des Jahres 2017, bekam sie von Bekannten die Nummer des Mannes, der in diesem Text Ümit Yavuz heißen soll.

Bis vor Kurzem fand man diese Nummer noch im Internet, in Werbeportalen für Ärzte und Therapeuten. Ümit Yavuz aber nimmt nicht mehr ab, wenn man ihn anruft, und Necla Aydın hält sich nicht mehr für einen Glückspilz. Sie sagt: "Ich wollte einfach nur, dass es meiner Tochter besser geht."

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erschienen in DIE ZEIT 10/2020