Fabienne Rzitki

Journalistin - top news editor politik & panorama, München

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Nanopartikel: Hightech-Zwerge im Essen

Sie sind winzig, hochspezialisiert und erfüllen einen bestimmten Zweck: Nanopartikel - die neuen Lieblinge der Lebensmittelindustrie. Sie konservieren Wasser, lassen Ketchup besser fließen und machen Dressing schön weiß. Doch was richten sie im Körper an?

Kleine Zwerge, die im Apfelgehäuse sitzen, Miniroboter, die Zellen reparieren - in der TV-Serie Fringe gibt es eine Welt, die unsere Vorstellungskraft übersteigt. Doch so weit weg von der Realität ist diese Welt nicht. Hightechversionen von Miniteilchen vollbringen Erstaunliches - die Nanos. Sie machen Zahnpasta weißer, lassen Autolacke Schmutz abweisen und nun sollen sie auch im Essen Wunder vollbringen.

Dimension der Winzigkeit

Unvorstellbar klein ist sie, die Welt der NanopartikelNano bedeutet im Griechischen Zwerg. . Bakterien wirken im Vergleich zu den winzigen Teilchen geradezu riesig. Nanopartikel haben einen Durchmesser kleiner als 100 Nanometer (nm)Ein Nanometer entspricht einem millionstel Millimeter. . "Sie sind damit vergleichbar mit Molekülen und mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen", erklärtProfessor Thomas Vilgis vom Mainzer Max-Planck-Institut für Polymerforschung. Deutlicher ausgedrückt: Das Verhältnis von einem Nanometer zu einem Meter entspricht etwa der Größe einer Haselnuss zum Durchmesser der Erde.

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"Nano beschreibt im Prinzip nur die Größe", sagt Vilgis. "Diese Partikel sind unterschiedlichste Gebilde - sie können natürlichen Ursprungs sein wie Proteinkomplexe, sie können aber auch synthetisch hergestellt werden." In der Industrie kommen vorwiegend designte, also synthetisch hergestellte Nanos zum Einsatz. Sie bestehen meist aus Kohlenstoff- und Metallatomen.

Aufgrund ihrer Mikromaße haben sie andere Eigenschaften als größere Teilchen des gleichen Stoffes. Sie reagieren chemisch und physikalisch anders, stellen die Physik auf den Kopf. "Die Nanos haben mitunter eine völlig andere Bioaktivität", erklärt Vilgis. Ursache dafür ist ihre stark vergrößerte Oberfläche bei gleichbleibendem Gesamtvolumen. "Da diese Oberflächen mitunter sehr reaktionsfreudig sind, lassen sich Stoffe, die eine bestimmte Funktion erfüllen, an ihnen anlagern. Für die Forschung ist das natürlich großartig", sagt der Experte. Das Potenzial für die Entwicklung neuer Produkte sei groß.

Geschmack per Knopfdruck, sauer macht rot

Die Food-Designer arbeiten mit Hochdruck an der Entwicklung der Superpartikel. Zum einen sollen sie Textur und Aussehen der Lebensmittel verändern: Wurst bekommt eine schönere Farbe, Ketchup fließt besser aus der Tube und Dressing machen die Nanos heller. Im Labor basteln die Hersteller auch an Kuriosem: Milch verfärbt sich dank der kleinen Spürnasen etwa rot, wenn sie sauer ist. Pizza schmeckt je nach Mikrowellentemperatur entweder nach Schinken, Margherita oder Pilzen.

Zum anderen eröffnen Nanopartikel im Bereich Functional FoodLebensmittel, die mit zusätzlichen Inhaltsstoffen angereichert sind und mit positivem Effekt auf die Gesundheit beworben werden wie zum Beispiel Joghurt, der die Verdauung fördern soll. ungeahnte Möglichkeiten. So dienen die Winzlinge als Spezialtransporter: Winzige Nanokapseln schleusen Nährstoffe in den Körper - sozusagen im Tarnkappenmodus. Diese setzen sie dann auf Kommando dort frei, wo sie gebraucht werden. Beispiel: Bestimmte Vitamine oder andere Wirkstoffe überstehen die Magensäure nicht oder nur schlecht. Durch die Nanoschleuser überleben sie das Bad in der Säure und gelangen so in den Darm - Zielort ihrer Reise. "Ob das wirklich sinnvoll ist, wage ich jetzt nicht zu beurteilen. Functional Food per se ist natürlich eine Verkaufsmasche. Wer sich gesund ernährt, braucht meiner Meinung nach solche Produkte nicht", sagt Vilgis. Für Menschen, die mit der Nährstoffaufnahme Probleme haben, könne das jedoch günstig sein.

Wie groß ist Nano eigentlich? Foto: news.de

Der Körper: unbekannte Risiken

Vilgis gibt zu bedenken, dass die Zwerge in der Küche auch Risiken bergen. "Nanopartikel im Essen sind mit Vorsicht zu genießen. Wenn sie in den Körper gelangen, kann es passieren, dass sich an der sehr aktiven Nanooberfläche unerwünschte Stoffe anlagern." Ob die Nanos etwa aus dem Ketchup im Körper bleiben oder wieder ausgeschieden werden, weiß niemand so genau. "Das ist das Problem", so Vilgis. Zudem können die Partikel, wenn sie entsprechend gestaltet sind, die Blut-Hirn-Schranke überwinden, die natürliche Schutzbarriere des Körpers. Was mit diesen Partikeln dann im Körper passiert, darüber wissen die Forscher noch zu wenig. "Möglicherweise transportieren sie Stoffe ins Gehirn, die da einfach nicht hingehören, andererseits lassen sich mit Nanopartikeln auch inoperable Tumoren im Gehirn behandeln", sagt der Experte.

Einige Studien weißen darauf hin, dass Nanos im Körper Schäden anrichten können. So wurde festgestellt, dass Nano-Titandioxid Erbgut- und Zellschäden verursachen kann. Bei Mäusen hatten die Kleinstpartikel Krebs ausgelöst und das Gehirn des Mäusenachwuchses geschädigt. Nano-Titandioxid ist bereits als Lebensmittelzusatz etwa zum Bleichen oder Haltbarmachen verbreitet.

Bekannt ist auch, dass Nano-Silber Organschäden verursachen kann. Da Silber in Makroform häufig zum Einsatz kommt - etwa um Wasser zu konservieren (Wasserfilter) -, können sich vermehrt Resistenzen von Keimen gegenüber Nano-Silber bilden. Bereits jetzt existieren hochgefährliche resistente Stämme. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) rät daher von Nanosilber in Lebensmitteln ab. Vilgis warnt jedoch vor allzu großer Panikmache: "Es ist immer schwierig, die Ergebnisse aus Laborversuchen an Zellen oder Tieren auf den Menschen zu übertragen - vor allem wenn man die Konzentrationen nicht kennt."

Allerdings ist der Experte ebenso wenig ein Freund von Partikeln in der Nahrung, die noch nicht hinreichend erforscht sind. "Ich weiß nicht, ob man überhaupt Nano in einem Lebensmittel braucht. Die Texturen kann man auch mit herkömmlichen Mitteln hinbekommen", so Vilgis. Der Professor schätzt die Akzeptanz beim Verbraucher zudem als sehr gering ein. Das würde möglicherweise auch erklären, weshalb Nanoprodukte nicht deklariert werden. 100 in Deutschland gelistete Lebensmittel oder Verpackungen mit Nanopartikeln gibt es derzeit.

In der EU sind Nanoprodukte nicht kennzeichnungs- beziehungsweise meldepflichtig. Vilgis fordert deshalb: "Diese Lebensmittel müssen unbedingt gekennzeichnet werden. Nur so kann jeder selbst entscheiden, ob er die Partikel im Essen haben will oder nicht." Wer bis dahin auf Nummer sicher gehen will, sollte dem Experten zufolge die Finger von hochverarbeiteten Lebensmitteln und Functional Food wie Fertigpizza und Tiefkühlauflauf lassen.

zij/som/news.de

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