Fabienne Rzitki

Journalistin - top news editor politik & panorama, München

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Kein Schutz vor Krebs: Die große Vitaminlüge

Vitamine haben einen guten Ruf. Besonders jene, die vor Krebs schützen sollen wie Vitamin C und E. Für Anbieter entsprechender Pillen ist das ein Milliardengeschäft. Doch sind die schützenden Winzlinge so gut, wie immer behauptet wird?

Krebs geißelt die Menschheit. Weltweit erhalten jährlich elf Millionen Menschen die schreckliche Diagnose, mehr als die Hälfte stirbt daran. Kein Wunder, dass 73 Prozent der Deutschen Angst vor Krebs haben, wie eine Forsa-Umfrage im Auftrag der DAK zeigt.

Die Furcht vor dem Tyrannen treibt wilde Blüten. Wunderpillen, Diäten und Anti-Krebskost sollen reichlich Schutz vor der Krankheit bieten. Die Nahrungsergänzungsmittel-Industrie preist ein ganzes Regiment an vermeintlichen Heilsbringern an, die angeblich krebshemmend sein sollen. Zu diesen segensreichen Substanzen zählen Vitamin C, E und BetakarotinBetakarotin ist kein klassisches Vitamin, gehört aber zu den essentiellen Nahrungsinhaltsstoffen. . Sie gehören zu den Antioxidantien und können aggressive Sauerstoffverbindungen, die sogenannten Freien Radikale, unschädlich machen.

Vitaminbomben und Kraftpakete

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Die Übeltäter können den Körper schützen

Freie Radikale sind hochreaktive Stoffe wie Wasserstoffperoxid. Sie rufen im Körper oxidativen StressZustand, bei dem die im menschlichen Körper anfallenden Freien Radikale nicht mehr ausreichend abgefangen werden können. hervor, indem sie den Zellen die Elektronen rauben. Dadurch verursachen die Diebe Zell-, DNA- und andere Schäden. Einige Forscher machen sie für Krankheiten wie Krebs verantwortlich. "Es gibt jedoch keine Studien, die beweisen, dass Antioxidantien wie Vitamin C und E vor Krebs schützen, weil sie die Sauerstoffverbindungen bekämpfen", sagtProfessor Michael Ristow, Lehrstuhlinhaber für Humanernährung an der Universität Jena, im Gespräch mit news.de. Das Argument, dass diese Vitamine Freie Radikale unschädlich machen, sei zwar richtig, aber es sei ein Irrglaube, dass die Freien Radikale per se schlecht für den Körper seien.

Professor Ristow findet durchaus Positives an den aggressiven Sauerstoffverbindungen: "Man weiß aus Versuchen im Reagenzglas, dass hohe Dosen an Freien Radikalen schädlich sind. Allerdings sind die geringen Mengen, wie sie im Körper entstehen, wahrscheinlich eher gesund." So sollen die Winzlinge ähnlich wie ein Impfstoff helfen, die Abwehrkräfte zu stärken und zu aktivieren. Durch geringe Dosen lernen die Zellen, sich vor den Angriffen zu schützen. Dieser Schutz ist bitternötig. Denn: Freie Radikale entstehen bei fast jedem Stoffwechselvorgang.

Dass Vitamine als Radikalfänger keinen gesundheitlichen Nutzen haben, zeigt sich vor allem beim Sport. Die Verbrennungsleistung von Ausdauersportlern produziert viele Freie Radikale. Dennoch gilt Sport als gesund. Diesem Paradoxon gingen Wissenschaftler der Universitäten Jena und Leipzig auf den Grund. Sie verabreichten einer Gruppe junger Männer Vitaminpräparate mit Antioxidantien. Eine andere erhielt Placebos. Es zeigte sich, dass die Sportler, die Antioxidantien einnahmen, keinen gesundheitlichen Vorteil hatten. Die Sportler ohne Vitamine profitierten allerdings von der körperlichen Ertüchtigung.

"Das ist die beste Evidenz dafür, dass geringe Radikalmengen für einen gewissen Zeitraum durchaus gesund sind", so Ristow. Der Wissenschaftler vermutet, dass die positiven Effekte eines maßvollen Trainings die Schäden des oxidativen Stresses mehr als aufwiegen würden. Anders formuliert: Langfristig ist eine kurzfristig gesteigerte Radikalbildung wie beim Sport gesundheitsfördernd.

Antioxidative Vitamine können Krebs fördern

Vitamine mit antioxidativer Wirkung können sogar schädlich sein, wie Studien zeigen. "Es sieht so aus, als würden bestimmte Krebsarten etwas häufiger bei den Menschen auftreten, die Antioxidantien als Tablette einnehmen", sagt Ristow. Das ließe den Schluss zu, dass das Krebsrisiko mit der Einnahme von Vitamin C, E und Betakarotin steigt. Speziell beim sogenannten RauchervitaminPro-Vitamin A (Betakarotin) konnte eine groß angelegte Studie diesen Effekt schon in den 1990ern nachweisen. Sie hat gezeigt, dass Betakarotin, das im Körper zu Vitamin A umgebaut wird, bei Rauchern das Lungenkrebsrisiko steigert. "Das Dogma der Antioxidantien wurde dadurch erstmals angekratzt", so der Professor.

Laut Ristow ist nicht ganz klar, inwiefern die Dosis oder die Häufigkeit der Einnahme der Vitamine das Krebsrisiko bedingt. Es sei außerdem sehr schwer, allgemeine Aussagen zu treffen, da die Studien hinsichtlich der verabreichten Präparate nicht vergleichbar wären.

So seien die meisten Studien mit einer vergleichsweise hohen Dosis gemacht worden. "Aber es gibt auch eine große französische Studie, in der bewusst eine sehr geringe Menge an Antioxidantien verabreicht wurde. Es stellte sich heraus, dass dadurch das Hautkrebsrisiko stieg." Die Untersuchungen unterscheiden sich auch hinsichtlich der Zusammensetzung der Vitamincocktails. Einige kombinierten Vitamin E und C, andere setzten noch Selen und andere Spurenelemente hinzu.

Segensreiches Obst und Gemüse

Im Gegensatz zu den Vitaminpillen bliebe der gesundheitsfördernde Effekt von frischem Obst und Gemüse allerdings unbestritten. Dem Experten zufolge gibt es mehrere Untersuchungen, die belegen, dass ein hoher Konsum unter anderem das Darmkrebsrisiko senkt. Ristow betont jedoch, dass die positive Wirkung möglicherweise auf dutzende anderer Inhaltsstoffe zurückzuführen ist, die mit Antoxidatien nichts zu tun haben. Sein Tipp: sekundäre PflanzenstoffePflanzen produzieren Abwehrstoffe, um sich vor Schädlingen zu schützen. Sie sind auch für den Menschen von großem gesundheitlichen Vorteil. . "Die Schlussfolgerung, dass Vitamin C dafür verantwortlich ist, ist nicht zulässig. Es ist gut möglich, dass Obst und Gemüse gesund sind, obwohl sie Antioxidantien enthalten."

Fazit: Vitaminpillen mit antioxidativer Wirkung sind schlechter als der ihnen vorauseilende gute Ruf. Sie beugen Krebs nicht vor und können das Risiko, daran zu erkranken, in bestimmten Fällen sogar erhöhen. "Menschen, die gesund sind, brauchen keine Vitaminpillen - insbesondere keine mit antioxidativer Wirkung", so auch das Urteil von Professor Ristow.

zij/eia/news.de

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