Fabian Peltsch

Journalist, Sinologe, Berlin/ Beijing

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Artikel

Wu Ming-yi - Mit Eco-Fiction gegen Umweltzerstörung

In seiner Heimat Taiwan ist Wu Ming-yi einer der bekanntesten Schriftsteller der Gegenwartsliteratur. Für seinen historischen Roman „The Stolen Bicycle“ wurde er 2018 als erster Taiwaner für den Booker-Preis nominiert. Seinen bislang einzigen ins Deutsche übersetzten Roman „Der Mann mit den Facettenaugen“ rechnet man der sogenannten Eco-Fiction zu – Literatur, die sich mit dem menschlichen Einfluss auf die Natur auseinandersetzt.

In dem so fantasievollen wie drastischen Werk beschreibt Wu unter anderem, wie sich eine gewaltige Müllinsel Taiwans Küste nähert und dabei Menschen zusammenbringt, deren Wege sich ohne die menschengemachte Katastrophe niemals gekreuzt hätten.

Der 1971 in Taoyuan geborene Schriftsteller und Literaturprofessor der Dong-Hwa-Nationaluniversität begreift sich auch als Aktivist. Schon in den 1980er-Jahren engagierte er sich in taiwanischen Umweltschutzgruppen. Damals habe man vor allem gegen multinationale Konzerne protestiert, die mittels Steuererleichterungen und niedriger Lohnkosten nach Taiwan gelockt wurden, erklärt er. Vor allem die Kunststoff- und Chemieindustrie hatte Taiwans Wirtschaftswunder ab den späten 1950er-Jahren befeuert. Die Kosten für die Umwelt waren enorm.

Eine Müllinsel viermal so groß wie Deutschland

1986 führte der Bau einer Titandioxid-Fabrik des amerikanischen Chemie-Riesen Dupont zur ersten großen Umweltschutzbewegung Taiwans. Auch Wu verfolgte die Ereignisse damals aufmerksam. 2011 schloss er sich dann selbst großen Demonstrationen gegen ein Petrochemie-Projekt in der Küstenstadt Changhua an. Es waren die größten Aktionen in Südostasien und zeitigte den bis heute umfassendsten Klimaschutzprotest in Taiwan. „Ein von mir konzipiertes Buch wurde damals zeitgleich zu den Protesten veröffentlicht, das die Gegenstimmen vieler Wissenschaftler, Intellektueller und Autoren bündelte.“ Der Protest hatte Wirkung. Das 20 Milliarden Dollar teure Projekt wurde vom damaligen Präsidenten Ma Ying-jeou untersagt.

Vieles von dem Detailwissen, das in seinen wissenschaftlich fundierten Romanen zum Tragen kommt, hat Wu sich über die Jahre in seiner aktivistischen Arbeit angeeignet. So existiert auch die auf dem Meer treibende Müllinsel aus dem Roman tatsächlich: Der „Great Pacific Garbage Patch“ ist ein Strudel aus bis zu 50 Jahre altem Unrat, der sich mittlerweile über 1,6 Millionen Quadratkilometer erstreckt – eine Fläche, viermal so groß wie Deutschland.

Taiwan steht am Scheideweg

„Die Umweltschutzauflagen sind für ausländische Unternehmen seit den ersten Protesten in den 1980er-Jahren strenger und strikter geworden“, sagt Wu. „Das heutige Taiwan hat hohe Standards bezüglich Umweltschutz erreicht – das zeigt sich auch im Alltag, wie man etwa beim Abfall-Recycling sieht.“ Dennoch stehe die Insel am Scheideweg, sagt der Schriftsteller. „Taiwan steht vor der Wahl, entweder ein ökologisches Vorbild für ganz Südostasien zu werden oder ein verlassenes Ödland, das sich nach immer mehr Wirtschaftswachstum verzehrt.“

Wie viele andere Inseln der Welt ist Taiwan von den steigenden Temperaturen akut gefährdet. Aufgrund des höheren Meeresspiegels werden Fluten und extreme Stürme zunehmen. Die Regierung Taiwans hat sich vorgenommen, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Demgegenüber stehen die wachsenden Energiebedürfnisse der Wirtschaft. Besonders die florierende Halbleiterindustrie benötigt enorm viel Energie. Aber auch traditionelle Industrien wie Stahl, Zement oder Chemie brauchen Strom. „Das Thema, das in Taiwan heute am heißesten diskutiert wird, ist, welche Energiequelle die beste für uns ist: Gas, Atomkraft oder erneuerbare Energien?“ Taiwan hat sich vorgenommen, bis 2025 rund 20 Prozent der Stromerzeugung durch alternative Quellen zu generieren – 2018 waren es nur fünf Prozent. Atomkraft soll ab 2025 gar nicht mehr zum Einsatz kommen.

China gefährdet Taiwans Klimaziele

Neben Solarkraft und Geothermie soll bei Taiwans Energiewende vor allem Offhore-Windkraft eine tragende Rolle spielen. Die Bedingungen in der Taiwanstraße sind vielversprechend: Die Gewässer sind flach, die Windstärken hoch. Ein Risiko, das dabei auch hier wieder stärker in den Fokus rückt, ist die Bedrohung aus China. „Wir sehen an der Ukraine, wie wichtig die Energieversorgung im Kriegsfall ist“, sagt Wu. „Taiwan muss allein aufgrund seiner nationalen Sicherheit unabhängig sein. Darüber hinaus ist der Schutz der Meere wichtiger geworden. Davor richteten wir die Diskussion über den chinesischen Einfluss oft auf unser ‚Land‘. Nun schauen wir verstärkt aufs Meer.“

Ein weiteres Problem, das durch Chinas Gebietsansprüche über Taiwan entsteht, ist die politische Isolierung der Insel, die sich auch in globalen Umweltkooperationen niederschlägt. „Taiwan hat kaum Einfluss in internationalen Organisationen – egal, ob es offizielle oder inoffizielle Organisationen sind. Es ist daher schwer für Taiwan, beim Thema Umweltschutz international Fuß zu fassen.“ Fabian Peltsch, Mitarbeit: Ziyi Huang


https://table.media/china/heads/wu-ming-yi-mit-eco-fiction-gegen-umweltzerstoerung/

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