Fabian Peltsch

Journalist, Sinologe, Berlin/ Beijing

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Temu: Rabattschlacht-App chinesischer Prägung

Temu, die Tochter der chinesischen Shopping-App Pinduoduo, kommt mit exzessiven Rabatten nach Europa. In den USA ist das Unternehmen seit seinem Start im Herbst 2022 ein Überraschungserfolg. Doch die Behörden kritisieren schlechte Arbeitsbedingungen und Produktfälschungen.

Ein Luftbefeuchter in Form eines Qualm speienden Drachen für 1,61 Euro? Donald-Trump-Socken mit angeklebtem Knöchel-Toupet für 2,48 Euro? Eine speziell für Apple-Airpods designte Reinigungsbürste für 88 Cents? Auf Temu, einer App aus dem Hause des chinesischen E-Commerce-Anbieters Pinduoduo, bekommt man alles, was man auf keinen Fall jemals brauchen wird – aber das zu Preisen, bei denen man sich überlegt, ob man nicht vielleicht doch zugreifen sollte.

In Deutschland startete die Firma vergangene Woche mit großer Rabattschlacht und digitalen Glücksrad-Spielen. Bis zu 90 Prozent Nachlass werden dem User auf der App in den ersten Wochen eingeräumt. „Shoppen wie ein Millionär“, lautet einer der Slogans, mit dem Temu nun Europa erobern will. Sprich: Geld spielt, zumindest in der Größenordnung der hier vertretenen Angebote, keine Rolle. In Zeiten hoher Inflation hört sich das verlockend an.

Billig-Angriff auf Europa

Zeitgleich mit Deutschland startete das Angebot auch in Italien, den Niederlanden, Frankreich, Spanien und Großbritannien. Temu will es in Europa mit Amazon aufnehmen, oder zumindest mit den chinesischen Konkurrenten Shein und Aliexpress, die ebenfalls von China in die EU-Staaten liefern.

Eigentümer von Temu ist PDD Holdings, die mit der E-Commerce-Plattform Pinduoduo einen der größten Onlinehändler Chinas unterhält. 2022 erzielte das Unternehmen einen Umsatz von 17 Milliarden Euro und vier Milliarden Euro Gewinn nach Steuern. Temu, das anderen chinesischen E-Commerce-Apps im Design ähnelt, versteht sich jedoch nicht als chinesisches, sondern als multinationales Unternehmen, das bislang mit Sitz in Singapur und Boston gemeldet war.

Bloß nicht als chinesisch gelten

Diese Woche wurde bekannt, dass Temu seinen Hauptsitz nun nach Dublin ins steuerfreundliche Irland verlegt hat. Ein weiteres Indiz für den Expansionswillen in westliche Industriestaaten. Und ein Hinweis darauf, dass man die Kritik und Komplikationen, die Tiktok als Tochterfirma eines chinesischen Unternehmens erdulden muss, so gut es geht vermeiden möchte.

In den USA hat sich Temu seit dem Markteintritt im September 2022 bereits zu einem Überraschungserfolg entwickelt. Die App hält sich seitdem fast durchgängig auf Platz 1 der Downloadcharts in den App-Stores von Google und Apple. Der Bruttowarenwert der über die Plattform abgewickelten Transaktionen stieg laut dem Marktforschungsunternehmen YipitData von drei Millionen US-Dollar im September auf 387 Millionen US-Dollar im März. Geholfen hat Temu dabei eine aggressive Marketingstrategie, die unter anderem auch zwei Werbespots in der Halbzeitpause des Superbowls beinhaltete – für rund 14 Millionen US-Dollar.

Shopping als spielerischer Zeitvertreib

Was die Produktpalette angeht, hat sich Temu auf mal mehr und mal weniger nützliche Alltagsgegenstände und auf Kleidung spezialisiert. Zielgruppe sind Kunden mit kleinen Budgets und dort vor allem Teenager und junge Erwachsene, die an den Einkauf via App gewohnt sind und auf Werbung in sozialen Medien wie Tiktok besonders anspringen. 

Die App ist in vielerlei Hinsicht wie eine Unterhaltungsplattform angelegt: Die Gamifizierung reicht von Sonderangebots-Countdowns bis hin zu Extra-Rabatten für Produktbewertungen und Gruppenkäufe. Das Ziel ist, dass der User der App auch aufgrund von Belohnungseffekten bei der Stange bleibt, selbst wenn er gerade nichts Bestimmtes kaufen will.

Kundendienst nur schwer zu erreichen

Die geringen Kosten bleiben natürlich die Hauptzutat im Erfolgsrezept von Temu. Die Plattform argumentiert, dass sie zwischen Kunde und Anbieter nur als Bindeglied fungiert. Die Angebote werden von Drittunternehmen direkt platziert, Kosten für Zwischenhändler entfallen. Die Waren werden in der Regel direkt von den Anbietern aus China verschickt – laut Webseite innerhalb einer Dauer von durchschnittlich einer Woche. Auch die Algorithmen sollen bei der Preisbildung eine wichtige Rolle spielen, weil sie Angebot und Nachfrage mit unverkauften Warenbeständen optimal koordinieren sollen. Wie das genau aussieht, und unter welchen Bedingungen die Bestände angezapft werden, erklärt Temu aber nicht.

Die ausgeklügelten Algorithmen und das Fehlen von Zwischenhändlern dürfte jedoch wie beim Konkurrenten Shein nur die halbe Wahrheit sein. Der chinesische Online-Händler für Mode und Sportartikel steht wegen ausbeuterischen Arbeitsbedingungen, Produktfälschungen und mangelhafter Umweltschutzstandards schon länger in der Kritik. Temu wird in den USA momentan vor allem für seinen schlechten Kundenservice kritisiert. Immer wieder kämen Lieferungen abhanden. Verantwortliche seien schwer auszumachen. Auch wo und unter welchen Umständen die Produkte hergestellt werden, ist auf Temu in der Regel nicht nachzuvollziehen.

US-Behörde äußert Sicherheitsbedenken

Auch deshalb haben sich in den Vereinigten Staaten mittlerweile die Behörden eingeschaltet. Die US-China Economic and Security Review Commission (USCC), ein Regierungsorgan, das vom Kongress eingesetzt wird, veröffentlichte diesen Monat einen Bericht, indem die „Herausforderungen“ im Umgang mit chinesischen Fast-Fashion-Plattformen beschrieben werden. Dazu gehören „die Ausnutzung von Handelslücken, Bedenken hinsichtlich der Produktionsprozesse, der Beschaffungsbeziehungen, der Produktsicherheit und des Einsatzes von Zwangsarbeitern sowie die Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums“.

Auch äußert die Behörde weiterhin die Sorge, dass Unternehmen mit Verbindung nach China die großen Mengen an Verbraucherdaten unbefugt weitergeben könnten. Ein Investigativ-Bericht von CNN deutet bereits darauf hin, dass Temus chinesische Schwester Pinduoduo Malware einsetzt, um mobile Sicherheitsvorkehrungen der User zu umgehen, um ihr Nutzungsverhalten zu analysieren, auf private Nachrichten zuzugreifen, Systemeinstellungen zu ändern und die Deinstallation der App zu erschweren.

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