Fabian Peltsch

Journalist, Sinologe, Berlin/ Beijing

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Tsai besiegelt in LA ihr politisches Vermächtnis

Das Treffen zwischen Tsai Ing-wen und Kevin McCarthy ging zunächst ohne militärische Machtdemonstrationen Chinas über die Bühne. Obwohl als inoffizieller Besuch gekennzeichnet, hat Taiwans Präsidentin in Kalifornien klargemacht, dass sie den Balanceakt zwischen den rivalisierenden Großmächten zum Ende ihrer Amtszeit perfekt beherrscht.

Die Sorge war groß, Peking könnte das Treffen zwischen Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen und dem Sprecher des US-Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, mit militärischen Manövern kontern. Und dass diese womöglich Taiwan noch unmittelbarer bedrohen als jene nach dem Besuch von McCarthys demokratischer Vorgängerin, Nancy Pelosi, im August 2022. Am Tag des Treffens in Los Angeles meldete Taiwans Verteidigungsministerium zwar, ein chinesisches Marinegeschwader habe unter der Führung des Flugzeugträgers „Shandong“ die Bashistraße südöstlich von Taiwan gekreuzt.

Am Ende blieb es aber bei verbalen Attacken. Bis auf pro-chinesische Demonstranten vor dem Gebäude und ein Sportflugzeug, das am Himmel ein Banner mit dem Slogan „One China! Taiwan is part of China!“ hinter sich herzog, ging das Treffen in der Ronald-Reagan-Präsidentenbibliothek im kalifornischen Simi Valley ohne Probleme über die Bühne.

„Ich bin optimistisch, dass wir weiterhin Wege finden werden, wie die Menschen in Amerika und Taiwan zusammenarbeiten können, um wirtschaftliche Freiheit, Demokratie, Frieden und Stabilität zu fördern“, versicherte McCarthy der taiwanischen Präsidentin gleich zu Beginn. Und Tsai bedankte sich bei ihm für die Gastfreundschaft, die „warm sei wie die kalifornische Sonne“. McCarthy ist als Sprecher des US-Repräsentantenhauses nach Präsident und Vize-Präsident protokollarisch das dritthöchste Amt in den Vereinigten Staaten. Im Anschluss an das Treffen mit Tsai sagte McCarthy, dass das Gespräch sehr produktiv gewesen sei. Die USA müssten ihre Waffenverkäufe an Taiwan sowie ihre wirtschaftliche Zusammenarbeit vor allem bei Handel und Technologie fortsetzen. McCarthy sagte Taiwan zudem weitere Unterstützung zu.

Militärische Eskalationen stärken Taiwans DPP

Zu Pekings eher milder Reaktion dürfte aber auch der zeitgleich stattfindende China-Besuch von Emmanuel Macron und Ursula von der Leyen beigetragen haben. Xi möchte die Europäer davon überzeugen, dass man weiterhin mit China zusammenarbeiten kann. Sie sollen zudem seinem Friedensplan zur Lösung des Ukraine-Kriegs Vertrauen schenken. Schießübungen rund um die demokratisch regierte Insel würden da eher kontraproduktiv wirken.

Mindestens ebenso viele Bedenken wie die Präsenz der Europäer dürfte der Besuch des ehemaligen taiwanischen Präsidenten Ma Ying-jeou von der Kuomintang (KMT) in China ausgelöst haben. Eine militärische Eskalation hätte umgehend die Worte von der einen „chinesischen Familie“ und den freundlichen Beziehungen auf beiden Seiten der Taiwan-Straße untergraben.

Diese Töne hatten Ma und Song Tao, Chinas Direktor des Büros für Taiwan-Angelegenheiten, bei einem Treffen in Wuhan angeschlagen. Eine aggressive Reaktion Chinas hätte die Position von Tsais Demokratischer Fortschrittspartei (DPP) für die kommenden Präsidentschaftswahlen im Januar 2024 gestärkt. Und das ist so gar nicht im Sinne Chinas.

„Bei einer militärischen Eskalation hätten sich die USA und Taiwan künftig auf die Reaktion Pekings berufen, um in den Augen anderer Regierungen moralische Überlegenheit einzufordern und das Bild eines unersättlichen Pekings zu zeichnen, mit dem niemand zusammenarbeiten kann“, sagt Wen-ti Sung, Politikwissenschaftler und Fellow an der National Taiwan University in Taipeh.

Taiwan und USA so eng wie noch nie

Für Tsai war der knapp zehntägige Amerika-Trip die letzte große Reise ihrer Zeit als Taiwans Präsidentin. Nach zwei Amtszeiten muss sie den Posten 2024 einem Nachfolger räumen. So gesehen zementiert Tsai mit dieser Reise auch ihr politisches Vermächtnis.

Seit ihrem Amtsantritt 2016 haben die geopolitischen Umstände sie zu einem der wichtigsten Staatsoberhäupter der Welt gemacht. In der Rivalität zwischen den beiden mächtigsten Ländern der Welt und dem Wunsch der Taiwaner nach Sicherheit und Selbstständigkeit, folgte ihre Politik einem nüchternen Pragmatismus, wie sie ihn an Angela Merkel bewunderte.

Doch nicht nur die USA, auch die Japaner und zahlreiche europäische Staaten haben nie so deutlich ihre Solidarität mit Taiwan ausgedrückt wie unter Tsai. Noch immer reißt der Strom ausländischer Delegationen, die ihr die Hand schütteln wollen, nicht ab.

Mit Honduras mag zuletzt ein weiteres Land die diplomatischen Beziehungen mit der Insel abgebrochen haben. Dennoch ist das globale Netzwerk, das Tsai während ihrer Amtszeit gesponnen hat, stabiler und weitreichender denn je seit dem Beginn von Taiwans Demokratisierung.

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