Fabian Peltsch

Journalist, Sinologe, Berlin/ Beijing

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Artikel

Null-Covid-Proteste in China: Wettrennen gegen die Zensur

Während die Bilder der Proteste in in Deutschland ein großes Thema in den Hauptnachrichten sind, versucht die chinesische Regierung, sie so gut es geht zu unterdrücken. In den staatlichen Medien findet sich bislang kein Bericht oder Kommentar, der die Geschehnisse im Sinne der Partei einordnen würde.

Die sogenannten Wolf Warrior - chinesische Diplomaten, die Proteste außerhalb Chinas gerne als Beweis für das Chaos in Demokratien bewerten - sind auf erstaunlich still. Auf ihren Accounts finden sich derzeit Fotos vom Marathon in Shanghai, Landschaftsbilder oder statistisch unterfütterte Lobeshymnen auf die Errungenschaften der Partei. Doch lässt sich ein Flächenbrand an Protesten, der im ganzen Land aufflammt, tatsächlich so einfach totschweigen und aussitzen?

Ob man von den Protesten weiß oder nicht, sei eine Frage der Klassenzugehörigkeit, sagt eine junge Chinesin, die die Proteste vor allem auf Social Media verfolgt. "Mein WeChat-Moments-Feed ist noch immer voll von den Ereignissen, aber meine Tante hat zum Beispiel erst spät auf Weibo davon erfahren, und dann auch nicht allzu viel." Bestimmt machten die Proteste auch bei älteren Menschen die Runde, aber viele wollten lieber nicht offen darüber sprechen, glaubt sie.

Lieder gegen das Schweigen

Die Zensur löscht Beiträge zu den Protesten umgehend. "Viele Menschen versuchen, so schnell wie möglich Screenshots zu machen oder die Livestreams mitzuschneiden, um so viele Beweise wie möglich zu sammeln", sagt die Chinesin. Daneben kommentieren viele Nutzer einfallsreich, aber doch eindeutig. Etwa Videos neu errichteter Quarantänestationen, die mit dramatischer Musik unterlegt sind. Oder Lieder, die auf die Proteste hinweisen, ohne sie beim Namen zu nennen, etwa Another Brick in the Wall von Pink Floyd, mit den Zeilen: " We don't need no education, we don't need no thought control."

Eine junge Auslandschinesin, die gerade ihre Eltern in der Provinz Zhejiang besucht, beschreibt, wie ihr WeChat-Account eingeschränkt wurde, nachdem sie Videos der Proteste geteilt hatte. Auf einmal bekam sie folgende Nachricht des Providers: "Gemäß internetbezogenen Richtlinien und Gesetzen können Sie bis zum 1.12. keine Gruppenchats, Moments und weitere Mikro-Funktionen mehr verwenden." In und Peking haben Polizisten angeblich sogar Menschen auf der Straße aufgefordert, Fotos und ausländische Apps wie Twitter und Telegram auf ihren Handys zu löschen. "Es fühlt sich an, als gerieten die Dinge außer Kontrolle", sagt die junge Frau.

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Anderes wird hingegen bewusst nicht gelöscht. So machte am Montag ein Artikel in den Sozialmedien die Runde, der zuerst auf Jinri Toutiao erschien, einer KI-basierten Newsplattform, die dem TikTok-Mutterkonzern Bytedance gehört.

"Die Menschen wollen ein normales Leben führen"

Dort bezeichnet der bekannte Blogger Lang Yangzhi die Proteste als "Farbrevolution". Anhand des Akzents, "Freiheitsslogans im europäischen und amerikanischen Stil" sowie der Verwendung von Langzeichen seien ausländische Kräfte und "Organisatoren mit Hongkong-Taiwan-Hintergrund" als Strippenzieher enttarnt worden, schreibt der Blogger. Langzeichen sind herkömmliche, nicht vereinfachte chinesischen Schriftzeichen, die in Hongkong, Macao und Taiwan verwendet werden. In Chengdu sei laut dem Blogger einigen sogar Geld angeboten worden, damit sie an den Protesten teilnehmen - eine Behauptung, die bereits bei den sogenannten Regenschirm-Protesten in Hongkong zum offiziellen Narrativ gehörte.

"Wenn die Sache offiziell als Farbrevolution deklariert wird, kann die Regierung härter gegen die Versammlungen vorgehen", glaubt die junge Chinesin. Am Montag hatte Langs Artikel, der sich einer sehr aggressiven und teilweise rassistischen Wortwahl bedient, bereits 10.000 Kommentare. 1.000 Likes bekam dort etwa der Satz: "Entschlossen kämpfen, hart bestrafen!" 800 Likes gab es für folgenden Kommentar: "Strenge Strafen für die reaktionären Kräfte aus dem Ausland!"

Der Twitter-Kanal @whyyoutouzhele, der in den vergangenen Tagen Tausende neue Follower sammeln konnte und laut Eigenerklärung nur verifizierbare Videos veröffentlicht, dokumentierte neben den größeren Demonstrationen in Shanghai und Peking auch kleinere Protestgruppen in den Städten Hangzhou, Kunming, Nanjing, Wuhan und Guangzhou. Sie wurden allesamt von Sicherheitskräften bedrängt. "Ich war nicht vor Ort, aber ich denke, es ist nachvollziehbar und verständlich. Die Menschen wollen ein normales Leben führen", sagt ein Mann aus Wuhan.


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