Fabian Peltsch

Journalist, Sinologe, Berlin/ Beijing

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Artikel

Deutsche Influencer: Kulturmittler an der Grenze zur Verharmlosung

Michael Bochmann-Tao alias Deguomixia

Mit grundsympathischen Videos über sein Leben in China ist Thomas Derksen zum wichtigsten deutschen Kulturbotschafter in der Volksrepublik geworden. Der gelernte Bankkaufmann aus Marienheide durfte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei dessen letzter China-Reise begleiten. Lothar Matthäus führte er als Teil der Kampagne „FC Bayern Legend Trophy Tour“ durch seine Heimatstadt Shanghai. Erkannt hat die Fußballlegende kaum jemand. Ganz im Gegensatz zu Derksen, der einem hier als Werbebotschafter deutscher Marken mittlerweile von Plakatwänden entgegenlächelt. 


Sein Künstlername Afu 阿福 lässt sich grob mit „der Glückliche“ übersetzen. In China bespielt Derksen 21 Social-Media-Kanäle. Insgesamt rund zehn Millionen Menschen folgen ihm hier. Auch auf Youtube hat der 34-Jährige 665.000 Abonnenten, viele von ihnen Auslandschinesen oder Bürger aus Taiwan, Hongkong und Malaysia. 


Vom Buddhabauch-Komiker zum durchtrainierten Entrepreneur


Seine chinesische Frau Liping hatte ihn vor rund zehn Jahren überzeugt, mit dem Vlogging anzufangen. Anfangs waren es noch klamaukige Videos, in denen Afu mit Perücke und Zigarette im Mundwinkel seine chinesischen Schwiegereltern parodierte. Seitdem ist aus dem Heinz-Erhardt-Wiedergänger mit dem Buddhabauch ein durchtrainierter Entrepreneur geworden, dessen Videos von Kindererziehung bis zur Energiekrise ein breites Spektrum an Themen aufgreifen. Auch in Deutschland kennt man ihn mittlerweile. Derksen hat zwei Bücher über das Leben mit seinen chinesischen Schwiegereltern veröffentlicht. Bei Markus Lanz gab er Sprachlektionen aus dem Alltag, etwa wie man eine Frau auf Chinesisch anspricht. 


Fragen beantwortet der medienerfahrene Derksen jovial und locker wie ein Fußballtrainer. „Wenn du mich vor sechs Jahren gefragt hättest, was ich mal mit meinem Leben mache, wäre ich nie drauf gekommen, dass ich Influencer werde“, resümiert er im Interview mit China.Table. Sechs Monate hatte er in China für den deutschen Mittelständler Rothstein Metallfördergurte gearbeitet. Dann wurde Influencer sein Vollzeitjob. 



Heute versucht Derksen mit einem Team von drei Mitarbeitern mindestens einen Beitrag pro Woche zu veröffentlichen. Gerade filmt er vor allem aus Deutschland. Während der Pandemie hat er Shanghai verlassen, um den 70. Geburtstag seines Vaters zu feiern – was ihm in China viel Kritik einbrachte. Er habe schon vor der Pandemie abwechselnd zwei Monate in der Volksrepublik und zwei Monate in Deutschland verbracht, verteidigt sich Derksen. Dass er vor dem harten Lockdown nach Deutschland geflohen sei, wäre Unsinn. 



Auswandern ist ein Riesenthema



Für einen seiner jüngsten Beiträge besuchte Derksen einen Hidden Champion aus Baden-Württemberg, der sich auf Lackierpistolen spezialisiert hat. Das Video sei mit ein bis zwei Millionen Aufrufen auf fast allen Kanälen überdurchschnittlich gut gelaufen, sagt der selbsternannte Brückenbauer. „Viele Chinesen sind fasziniert, dass man in Deutschland nicht an die Uni gehen muss, um Karriere zu machen.“ In China herrsche derzeit große Jugendarbeitslosigkeit. Da seien neue Konzepte willkommen.



Michael Bochmann-Tao alias Deguomixia, ein Vlogger, der auf chinesischen Kanälen deutsche Sprachkurse anbietet, beobachtet einen ähnlichen Trend. „Viele Chinesen interessieren sich gerade sehr für Jobs und Berufsausbildung in Deutschland“, so der Wirtschaftssinologe und zertifizierte Deutschlehrer. „Auswandern ist ein Riesenthema.“ Viele seiner Schüler kommen aus der unteren Mittelschicht und interessieren sich für Stellen als Pflegekräfte oder Köche. „Die sehen meine Sprachkurse als Investment“, so Bochmann-Tao, der zwischen 2011 und 2016 für drei Gaming-Unternehmen in China tätig war. Heute arbeitet er als Lokalisierungsspezialist in Berlin. Die Videos für seine rund 600.000 Follower in China macht er nur nebenbei. Sein erstes ging 2018 online, ein improvisierter Versuch, chinesisch zu kochen, der innerhalb kurzer Zeit tausende Klicks erzielte. „Da war die Videoplattform Douyin noch relativ neu, und ich als chinesischsprechender Ausländer noch ein Hingucker„, sagt der 37-Jährige.



Shadow Banning statt offener Zensur



„Man hat als Ausländer, der Chinesisch spricht, komplett andere Chancen“, bestätigt Melina Weber. „Man agiert dann aber auch stellvertretend für sein Land. Das muss einem klar sein.“ Weber ist seit 2019 im Influencer-Geschäft. In einem ihrer Videos bezeichnet sich die 29-jährige Business-Absolventin als „deutsch-ostasiatische Kulturbotschafterin, die positiv zur Völkerverständigung beitragen möchte.“ Chinesisch gelernt hat sie als Austauschschülerin und Praktikantin in Malaysia, Taiwan und Peking, wo sie unter anderem einen auf Mandarin unterrichteten Schauspielkurs an der Beijing Film Academy besuchte. Theoretisch sei sie dort noch immer eingeschrieben, erzählt sie China.Table. Die Pandemie hat jedoch auch ihr vorerst den Weg zurück nach China versperrt. 


Webers Videos spielen nun vor allem in ihrer Heimat am Bodensee, wo sie zum Beispiel Yoga-und Kochlektionen erteilt oder ihren 652.000 chinesischen Followern zeigt, was man für 350 Renminbi, knapp 50 Euro, alles in einem deutschen Supermarkt kaufen kann. „Die Leute interessieren sich für das ganz normale Leben„, sagt Weber. An Live-Streaming, mit dem man in China am meisten Geld verdienen kann, tastet sie sich noch heran. Ganze Medien-Akademien haben sich hier mittlerweile darauf spezialisiert, Verkäufer und Werbebotschafter für E-Commerce-Plattformen wie JD.com auszubilden. Weber arbeitet zwar ebenfalls projektbasiert mit chinesischen Marketingagenturen zusammen. Die Kontrolle über die Inhalte bleibe jedoch bei ihr, wie sie betont.


Jede Seite hat ihre Guidelines. Dazu gehört etwa, dass Rauchen, Alkoholkonsum oder die Zurschaustellung eines dekadent luxuriösen Lebensstils nicht gerne gesehen werden. „In Asien darfst du generell auch kein Dekolleté zeigen, ob das nun in Indien, Japan oder Korea ist. Bauchfrei ist dagegen ok“, sagt Weber. Videos, die gegen diese Regeln verstoßen, werden nicht unbedingt gelöscht, sondern ihre Reichweite gedrosselt. Inhalte werden dann etwa nicht mehr vom System empfohlen und sind dadurch so gut wie unauffindbar. Man spricht in diesem Zusammenhang von „Shadow Banning“. Auch die Kommentarfunktion wird mitunter abgeschaltet, um politische Diskussionen und Hassnachrichten zu kontrollieren.



„Das China-Bild in Deutschland ist sehr negativ“


Alle drei Influencer sind gut im Geschäft. Sie wurden bereits von chinesischen Staatsmedien um Kooperationen gebeten. Derksen trat in seinen Anfangstagen in einer Talkshow bei Shanghai TV auf. Weber beteiligte sich an einer Expat-Gesprächsrunde auf dem Kanal CGTN. Bochmann-Tao drehte in Berlin ein Kochvideo mit einem Xinhua-Reporter, das am Ende jedoch nur auf seinem eigenen Kanal erschien. 


Keiner von ihnen hatte dabei das Gefühl instrumentalisiert worden zu sein, wie etwa der israelische Vlogger Raz Gal-Or. Der ließ sich sich Reisen nach Xinjiang bezahlen (China.Table berichtete), um dort über die sorglosen uigurischen Bauern zu berichten. „Ich fühlte mich da nicht in die Enge getrieben“, sagt Weber über ihren Auftritt bei CGTN. „Man muss immer die Werte vertreten, mit denen man aufgewachsen ist. Und man kann auch ein Freund Chinas sein, ohne diese Werte zu verraten.“ Weber fände es wünschenswert, wenn sich mehr Deutsche für das Thema China interessieren würden. Für ihren Geschmack werde sie zu oft auf politische Themen angesprochen. Derksen sieht das ähnlich: „Das China-Bild in Deutschland ist sehr negativ, das muss man schon sagen, weil es immer nur ums Politische geht. Wenn mich Freunde und Bekannte in China besuchen, sagen die oft: Das ist ein Land, in dem man auch gut leben kann.“ Extreme gäbe es auf beiden Seiten, so Derksen. 


Ein scharfer Kritiker dieser Art softer Völkerverständigung ist Christoph Rehage. „Als Bürger einer Demokratie kann man nicht einfach sagen, dass man sich nicht für politische Themen interessiert. Zumal am Ende eben doch vieles politisch ist an diesen Videos.“ Rehage war für kurze Zeit selbst einer der berühmtesten Deutschen in China. Um das Jahr 2015 hatte Lei Ke, so sein chinesischer Name, auf Weibo rund 800.000 Follower. Der gebürtige Hannoveraner war bekannt geworden, nachdem er im Jahr 2007 von Peking nach Ürümqi gelaufen war – eine herausfordernde, 4.500 Kilometer lange Reise, die er in einem weltweit gefeierten Zeitraffervideo auf fünf Minuten runter dampfte. Ein chinesischer Verlag übersetzte Buch und Bildband zur Reise. Doch 2015 kam es zum Bruch, nachdem sich Rehage über die Nationalhelden Lei Feng und Hua Mulan lustig gemacht hatte. In den Kommentarspalten wurde er offen angefeindet, schließlich löschte Weibo seinen Account. 


Selbstzensur durch Vermeidung von Themen


Sieben Jahre später postet Rehage noch immer Videos, oftmals auf Chinesisch, jetzt jedoch vor allem auf Youtube und Twitter, wo ihm zusammen knapp 250.000 Menschen folgen. Seine Beiträge sind oft provokant und politisch, regelmäßig kritisiert er den chinesischen Staat. Ausländischen Influencern wie dem Neuseeländer Andy Boreham, der sich stolz als Freund Pekings präsentiert, hinterlässt er hämische Kommentare. „Es gibt Überzeugungstäter wie Andy Boreham. Das sind aber nicht die gefährlichen, weil sie mit ihrer offenen Propaganda im Ausland keinen Markt haben“, so Rehage. 


„Leute wie Afu sind viel perfider, weil er als sogenannter Brückenbauer mit Steinmeier rumreist und mit seiner Frau bei Lanz erklärt, wie lustig und süß es in China zugeht.“ Gleichzeitig wisse jemand wie Derksen genau, was sich dort für Tragödien abspielen. „Während die Menschen in seiner Heimatstadt Shanghai in der Pandemie von den Häusern sprangen, machte Afu ein Video davon, wie voll sein Kühlschrank ist. Ich finde das zynisch.“ 


Dass Influencer wie Afu oder sogar Boreham vom Staat bezahlt werden, glaubt Rehage aber nicht. „Da kommt kein Kader und setzt die auf seine Gehaltsliste, das wäre auch viel zu peinlich, wenn es rauskäme. Direkte Bezahlung ist nicht der Antrieb für diese Menschen – der Antrieb ist, dass der Kanal wächst, da kommt das Geld von ganz alleine.“ Und dafür nähmen die Influencer in Kauf, zu sich bestimmten Themen einfach nicht zu äußern, sagt Rehage. Die Diktatur werde durch diese Selbstzensur verharmlost. „Man sagt, ich mag die Leute da, ich mag das Essen. Gleichzeitig tue ich so, als würde ich all die schlechten Seiten nicht sehen.“


Eins ist allen klar: Mit offener Kritik am chinesischen Staat funktioniert das Geschäftsmodell des Influencers in China nicht. Damit ähnelt ihre Situation der von VW und Co: Wer in China präsent sein will, muss in der Öffentlichkeit vage bleiben – und politische Bekenntnisse, so gut es geht, umgehen. „Ich will kein Propagandainstrument sein, für keine Seite“, sagt Derksen. „Am Ende machen sich die Zuschauer ohnehin ihr eigenes Bild.“ Er sei einfach nur Afu, der aus seinem Leben erzählt.

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