Fabian Peltsch

Journalist, Sinologe, Berlin/ Beijing

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Chinas Musikszene: „Die Gefahr besteht, dass wir jeden Tag wieder schließen müssen"


Während in Europa und den USA die Clubs und Konzerthallen noch geschlossen sind, die Musikszene um ihre Existenz bangt, fand in China das erste Rockkonzert nach dem Corona-Shutdown statt


Genüsslich schält sich Lu Dadong aus seinem Schutzanzug. Es wirkt wie das Abstreifen eines Kokons nach einem bedrückend langen Winter. Erst fällt der Mantel, dann die Brille, schließlich die OP-Maske. Dann steht der Sänger der chinesischen Rockband YuRen mit nacktem Oberkörper auf der Bühne, in der rechten Hand eine 2-Liter-Flasche mit Sprühventil. Schwankend zielt er damit auf die hüpfende Menschentraube zu seinen Füßen. Doch statt Augen reizendem Desinfektionsmittel geht kurz darauf ein Bierregen auf die erste Reihe nieder. Chinas erstes größeres Rockkonzert nach der Aufhebung der Ausgangsperre fühlt sich nicht nur in diesem Moment an wie eine Taufe. Der Nachholbedarf ist groß. Das Mini-Festival in der ostchinesischen 10-Millionenstadt Hangzhou war innerhalb weniger Minuten ausverkauft. Auf dem Höhepunkt der Coronavirus-Epidemie durften die Menschen auch hier, 750 Kilometer vom Epizentrum Wuhan entfernt, nur alle drei Tage zum Einkaufen aus dem Haus, und das auch nur allein. Nun stehen 300 Zuschauer dicht gedrängt vor der Bühne des „9-Club", offenbar ohne Angst, sich anzustecken. Doch von Normalität kann noch immer keine Rede sein. Vor der Tür wurde jedem Besucher die Körpertemperatur gemessen, jeder Gast musste außerdem am Eingang seinen „Gesundheitscode" vorzeigen, ein QR-Quadrat auf dem Smartphone, das den Besitzer basierend auf abgeschöpften Daten und dem Bewegungsprofil der vergangenen Wochen in eine von drei Warnstufen einteilt: „Grün", „gelb" oder „rot". Ohne grünen Code kommt man in China in diesen Tagen fast nirgendwo mehr rein, oft nicht einmal mehr ins eigene Haus.

Viele geben der Lokalregierung die Schuld

„Die Gefahr besteht, dass wir jeden Tag wieder schließen müssen", bringt Yifei Shu die unsichere Aufbruchsstimmung auf den Punkt. Der 36-Jährige betreibt selbst einen Club in Hangzhou namens „Loopy", der sich auf Techno und progressive elektronische Musik spezialisiert hat. Zwei Monate stand der Betrieb für ihn und seine elf Mitarbeiter still. Miete musste er weiterhin bezahlen. "Ein Desaster für einen Underground-Club. Bis zum September mussten wir außerdem alle internationalen Bookings canceln. Dabei waren die Flüge und Gagen oft schon bezahlt".

Hätte man sofort nach dem Ausbruch die richtigen Entscheidungen getroffen, wäre es nicht so weit gekommen

Laut der China Association of Performing Arts wurden seit dem Ausbruch des Coronavirus über 25.000 Live-Shows abgesagt oder verschoben. Auch westliche Bands wie die Pixies oder Stereolab hätten in dieser Zeit in China touren sollen. „März und April ist normalerweise unsere beste Zeit, mit rund 5000 verkauften Tickets pro Monat", erzählt uns Li Ke am Telefon. Der 33-Jährige managt in der zu diesem Zeitpunkt noch immer abgeschotteten Stadt Wuhan das „VOX", eines der legendärsten Konzerthäuser Chinas, das unter dem Motto „Voice Of Youth, Voice Of Freedom" seit 20 Jahren nationalen und internationalen Bands eine Bühne bietet. Wenn er bis Mai nicht wieder aufmachen kann, wird es trotz Crowdfunding und Charity-Compilations eng. „Viele in der Stadt geben der Lokalregierung die Schuld", sagt Li zerknirscht. „Hätte man sofort nach dem Ausbruch die richtigen Entscheidungen getroffen, wäre es nicht so weit gekommen".

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