Am Sonntagabend kann sich Drew Brees das schmucke U.S. Bank Stadium schon einmal genau anschauen. Es ist Start und Ziel seiner Träume zugleich. In den Playoffs der NFL muss Brees mit seinen New Orleans Saints bei den Minnesota Vikings ran, denen der beeindruckende Neubau gehört. Das große Finale, der Super Bowl, wird ebenfalls dort gespielt.
Brees ist so ziemlich in jeder Kategorie der beste Passwerfer der Liga. Doch wenn Footballfans in Amerika und Deutschland über den GOAT (Greatest of all Time) diskutieren, fällt sein Name viel zu selten. Denn Brees' Karriere, die mit Superlativen gepflastert ist, hat einen großen Makel: Der 38-Jährige hat erst einen Super Bowl gewonnen.
Sein vielleicht größter Rivale um den Titel des absoluten Superstars ist Tom Brady. Der ist in den Augen vieler Beobachter spätestens seit der Aufholjagd im Super Bowl des vergangenen Jahres und dem fünften Sieger-Ring, der beste Football-Spieler der Geschichte. Doch ein genauerer Blick lohnt sich.
Zunächst einmal fällt auf: Mit 1,83 Metern ist Brees der kleinste Starting-Quarterback der Liga. Als Collegespieler hätte er heute kaum eine Chance in die NFL zu kommen - unter 1,95 geht da für gewöhnlich nichts. Dazu ist er kein besonderer Athlet, wie etwa Cam Newton. Brees' Stärken liegen woanders. "Er hat, neben einem Mörder-Arm, die Fähigkeit, eine Defence zu lesen, wie kaum ein anderer", sagt Jan Stecker, einst selbst Quarterback in der deutschen Football-Liga GFL und jetzt TV-Experte. "Er weiß schon, bevor der Spielzug losgeht, wo er hinwerfen will."
70.455 Yards hat Brees in seiner Karriere geworfen - das sind, deutlich vor Brady, die drittmeisten der NFL-Geschichte. Sollte der 38-Jährige seinen auslaufenden Vertrag um noch ein Jahr verlängern, wonach es laut " ESPN" derzeit aussieht, würde er mit großer Wahrscheinlichkeit die Spitze übernehmen. Damit würde er die Legenden Peyton Manning und Brett Favre hinter sich lassen.
Die Präzision von Brees' Pässen ist bereits unerreicht. Er hat die historisch höchste Quote an Completions, angekommenen Bällen. "Brees kann Bälle so werfen, dass nur sein Mitspieler eine Chance hat ranzukommen", sagt Stecker. Normalerweise wird das Lederei auf Brusthöhe geworfen. Indem Brees die Bälle ein Stück zu hoch oder zu tief wirft, haben die Verteidiger kaum eine Möglichkeit, an den Ball zu kommen.
Es gibt noch viele weitere Statistiken, die Brees glänzen lassen. Was allerdings das wahrhaft Beeindruckende an Brees ist: Er hat all das geschafft, obwohl er viele Jahre kaum gute Mitspieler hatte. Während Brady bei den New England Patriots mit Bill Belichick den vielleicht besten Football-Coach der Welt und dazu stets ein starkes Team um sich hat, wurde Brees oft alleingelassen.
Die Verteidigung der Saints gehört höchstens zum Mittelmaß, und das Laufspiel ist fast schon ikonisch schlecht. Das macht es für Brees besonders schwer, da das Spiel der Saints meist leicht ausrechenbar war. Und obwohl jeder wusste, was passieren würde, schaffte es Brees neun Jahre in Folge über 4000 Yards in einer Saison zu passen.
In dieser Saison ist allerdings alles ein bisschen anders. "Die Saints haben ein sehr ausbalanciertes Team", sagt Experte Stecker. Die beiden Running Backs Alvin Kamara und Mark Ingram stechen da etwas heraus: Zusammen haben sie über 3000 Yards für ihr Team erkämpft. Das hat vorher noch nie ein Duo auf ihrer Position geschafft.
"Die Gegner müssen jetzt das Laufspiel verteidigen. Dafür brauchst du ein, zwei Leute zusätzlich", sagt Stecker: "Das ist dann die Chance für Brees". Klar: Wenn die Verteidigung an der Linie mehr Spieler braucht, um das Laufspiel zu unterbinden, fehlen diese Spieler, um Pässe zu unterbinden. Am Sonntag (22.25 Uhr, TV: ProSieben) kann Brees mit seiner Mannschaft den nächsten Schritt in Richtung Super Bowl gehen. Mit den Vikings wartet die beste Verteidigung der Liga auf die Saints.
Sollte es Brees mit seinen Saints tatsächlich in den Super Bowl schaffen, könnte er dort auf Brady treffen. Sonst kommt es nur selten zu einem direkten Aufeinandertreffen, da beide in unterschiedlichen Conferences spielen. Ein Sieg über Brady im Super Bowl und die GOAT-Diskussion würde neu entfacht. Es liegt alles an Brees' Arm.