Leere Zuschauerränge, weite Abstände zwischen den Gästen und Sendungen, die gelegentlich eher an Gesundheitsratgeber erinnern als an Debattierrunden: Die Coronapandemie hat die Talkshows der Öffentlich-Rechtlichen verändert. Aber nicht nur bei der Themenauswahl verzichteten „Anne Will", „Hart aber Fair", „Maischberger" und „Maybrit Illner" im bisherigen Talkshowjahr auf Abwechslung. Auch die Gästeauswahl war so eintönig wie lange nicht mehr und beteiligte größere Teile der deutschen Gesellschaft kaum an der Diskussion.
Für Übermedien habe ich alle 84 öffentlichen-rechtlichen Talkshow-Sendungen von Anfang des Jahres bis zum Beginn der Sommerpause ausgewertet: Welche Nationalität hatten die Gäste? Wie viele Gäste waren weiß, wie viele nicht? Wie viele Frauen waren zu Gast? Wie oft kamen Ostdeutsche zu Wort? Und gab es überhaupt noch andere Themen als Corona? Die Ergebnisse habe ich mit meiner Auswertung vom vergangenen Jahr verglichen.
In zwei von drei Sendungen wurde über Corona geredetIn 55 von 84 Sendungen war die Coronakrise das bestimmende Thema. Einen weiteren größeren Schwerpunkt gab es nicht. Die umstrittene Ministerpräsidentenwahl in Thüringen und der Themenkomplex Rassismus und rechte Gewalt teilen sich mit je 5 Sendungen abgeschlagen den zweiten Platz.
Die Klimakrise, die im vergangenen Jahr noch mit 22 von 135 Sendungen zu den häufigsten Themen gehörte, wurde im ersten Halbjahr 2020 nur noch in drei Sendungen diskutiert.
Für etwas Abwechslung sorgte lediglich das neue Sendungskonzept von Sandra Maischberger. In „Die Woche" werden seit vorigem Jahr meist mehrere Themen besprochen. So fanden etwa die Waldbrände in Australien, die Debatte um Sterbehilfe oder der Partei-Ausschluss eines AfD-Politikers einen (kleinen) Platz.
Halb so viele Ostdeutsche wie in der GesamtbevölkerungCorona sorgte nicht nur bei der Themenauswahl für Eintönigkeit. Unter den 457 Gästen waren Frauen deutlich unterrepräsentiert (38,1%). Die wenigsten weiblichen Gäste bekamen Zuschauer:innen von „Maischberger" zu Gesicht. Hier saßen jeder eingeladenen Frau im Durchschnitt zwei Männer gegenüber. Mit einem fast identischen Wert hatte „Hart aber Fair" im Vorjahr noch am schlechtesten abgeschnitten. „Anne Will", die im Jahr 2019 immerhin 44,5 Prozent Frauenanteil erreichte, rutschte ab auf 37,9 Prozent.
Auch Ostdeutsche kamen selten zu Wort. Von den 445 deutschen Gästen im ersten Talkshow-Halbjahr 2020 wurden 398 im Westen und 36 im Osten Deutschlands geboren oder lebten dort nach ihrem Zuzug nach Deutschland. Die übrigen 11 Gäste konnte ich weder Ost noch West zuordnen, zum Beispiel weil sie im Ausland aufwuchsen, in beiden Teilen des Landes leben oder ich sie nicht erreichen konnte.
Ignoriert man diese, ergibt sich ein Anteil ostdeutscher Gäste von 8,3 Prozent. Bis zur Sommerpause waren also nur halb so viele Ostdeutsche bei „Anne Will", „Hart aber Fair", „Maischberger" und „Maybrit Illner" zu Gast, wie es ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung von rund 17 Prozent erwarten lassen würde. Im Jahr 2019 betrug ihr Anteil in den Talkshows der Öffentlich-Rechtlichen noch 12 Prozent.
Besonders groß war die westdeutsche Dominanz bei „Hart aber Fair". In 20 Sendungen saßen 106 Westdeutsche lediglich 6 Ostdeutschen (5,4%) gegenüber. Frank Plasbergs Sendung unterbot damit sogar noch ihren Negativrekord vom vergangenen Jahr (6%).
Schaut man sich nur die 55 Sendungen mit Corona-Thematik an, fällt die Bilanz allerdings auch für die Talkshows seiner Kolleginnen nicht besser aus: Von 291 Gästen, die ich „Ost" oder „West" zuordnen konnte, kamen lediglich 19 (6,4%) aus dem Osten des Landes. Auf jeden ostdeutschen Corona-Gast trafen damit 15 westdeutsche. Oder anschaulicher: Alle ostdeutschen Frauen zusammen kamen bei „Anne Will", „hart aber fair", „Maischberger" und „Maybrit Illner" genauso häufig zu Wort wie CDU-Politiker Peter Altmaier.
Dominanz weißer GästeMehr noch als „männlich" und „westdeutsch" dominierte auch in diesem Jahr das Attribut „weiß" in der Gästeliste der öffentlich-rechtlichen Talkshows. Als „Person of Color" (PoC) oder „nicht-weiß" werden Personen bezeichnet, die aufgrund äußerer Zuschreibungen Opfer von Rassismus werden können. Zu entscheiden, ob eine Person als „weiß" oder „nicht-weiß" wahrgenommen wird, ist nicht immer einfach und ein Stück weit subjektiv. Im Zweifel habe ich zu Gunsten der Talkshowmacher:innen entschieden.
423 von 457 Gästen habe ich als „weiß" eingeordnet (91,9%). Nicht-weiße Gäste kamen lediglich in 37 Fällen zu Wort (8,1%). Davon machten Menschen mit türkischen (11) und arabischen Hintergrund (8) die größte Gruppe aus. Es folgen Gäste mit indischen (6), iranischen (5) und südeuropäischen (5) Wurzeln. Anschaulicher formuliert: Die beiden Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck kommen gemeinsam auf genauso viele Auftritte wie alle Gäste mit türkischen Wurzeln zusammen. SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach war genauso häufig zu Gast wie alle Menschen mit arabischen Wurzeln gemeinsam. Und sämtliche Gäste mit Wurzeln in Spanien, Italien oder auf dem Balkan waren zusammen so häufig zu sehen wie CSU-Politiker Markus Söder.
Bei der Repräsentation von PoC zeigten sich allerdings in diesem Jahr große Unterschiede zwischen den einzelnen Talkshows: Während „Hart aber Fair" mit 7 nicht-weißen Gästen ganz hinten im Ranking landet (6,1%), schafft es Maybrit Illner mit 17 nicht-weißen Gäste immerhin auf einen PoC-Anteil von 11 Prozent.
Der erste Schwarze Gast seit dreieinhalb JahrenSchwarze Menschen kamen wie schon im Jahr zuvor in den Talkshows der Öffentlich-Rechtlichen kaum zu Wort. Lediglich die deutsche Buch-Autorin Alice Hasters und die amerikanische Germanistik-Professorin Priscilla Layne talkten bei „Anne Will" bzw. „Maischberger" über Rassismus in den USA und Deutschland. Layne allerdings wurde erst eingeladen, nachdem die ursprünglich komplett weiß besetzte Runde für Empörung gesorgt hatte; und bei „Anne Will" war zuvor über dreieinhalb Jahre kein einziger Schwarzer zu Gast.
Dass die einzigen beiden Schwarzen in diesem Jahr zum Thema Rassismus eingeladen wurden, illustriert ein weiteres Phänomen: Nicht-weiße Gäste kamen abermals meist nur als Betroffene zu Wort. Nur 17 von 37 nicht-weißen Gäste wurden zu Themen befragt, die nichts mit dem Herkunftsland ihrer Eltern, ihrer Religion oder allgemein den Themen Rassissmus, Integration und Migration zu tun haben. Unter weißen Gästen spielte die persönliche Biographie hingegen fast nie eine Rolle. Zu Themen eingeladen zu werden, bei den weder ein biographischer noch fachlicher Bezug erkennbar wird, ist zudem ein Privileg, das fast ausschließlich weißen Talkshow-Gästen zu Teil wird.
Corona-Diskussion fast ohne PoCDies zeigte sich vor allem in Corona-Sendungen. Neben Wissenschaftler:innen und Politiker:innen kamen hier auch immer wieder Gäste wie Kabarettisten, Schauspieler und fachfremde Journalist:innen zu Wort. Der Bezug dieser ausschließlich weißen Gäste zum Thema blieb oftmals unklar.
Nicht-weiße Menschen blieben von der Corona-Diskussion hingegen weitgehend ausgeschlossen, egal ob als Betroffene, Expert:innen oder in irgendeiner anderen Rolle. In 55 Sendungen mit Corona-Thematik fanden sich unter 303 Gästen lediglich 14 PoC (4,6%). Dabei waren 9 von ihnen allein bei „Maybrit Illner" zu Gast. Bei „Hart aber Fair" (3 PoC) „Anne Will" (1) und „Maischberger" (1) waren nicht-weiße Menschen fast gar nicht Teil der Diskussion über die Pandemie.