Wo immer im Osten Deutschlands eine Moschee entsteht, regt sich Protest. Gegen Muslime und Politiker aber auch gegen Journalisten, die über sie berichten. Dabei reichen die Beschimpfungen von Leserkommentaren bis zu Drohungen durch organisierte Rechte.
Eine viertel Stunde schon hat Eric Graziani gegen Migranten, Muslime und Merkel angeschrien, als sich seine Stimme einmal mehr überschlägt: "Sie erinnern mich an Flittchen und an Nutten, die sich einfach bezahlen lassen, bloß damit sie ein bisschen Geld kriegen, wegen dieser scheiß Moschee", ruft er in Richtung der selbstgebastelten Moschee-Verbotsschilder und erhält energischen Applaus zurück. "Graziani beendet den Teil seiner Rede mit einem Versprechen: "Aber solange wir dastehen, werden wir auf jeden Fall Widerstand leisten. Ich schwöre es auf alle meine Ahnen, dass wir bis zur letzten Patrone Widerstand leisten werden." Das Erfurter Publikum applaudiert begeistert und stimmt ein in den Chor: "Widerstand, Widerstand..."
Die "Flittchen und Nutten" gegen die Eric Grazini "bis zur letzten Patrone" kämpfen will, sind mutmaßlich Journalisten regionaler und lokaler Medien. Und die "scheiß Moschee", deren Unterstützung er sie verdächtigt, ist ein unscheinbares Gebäude, das rund drei Kilometer vom Ort Grazianis Rede, dem Erfurter Fischmarkt, entfernt in einer kleinen Gewerbegebiet entsteht. Seitdem die lokale Ahmadiyya-Gemeinde im Mai 2016 bekannt gab, am Rande des Dorfs Marbach zwischen Acker und Bundesstraße die erste Moschee Thüringens errichten zu wollen, ist das Thema Dauerthema in Erfurt. Im Fokus der Empörten: neben Muslimen und beteiligten Politikern der Stadt vor allem Journalisten.
"Sie und ihre Propagandalakaien haben doch die Bevölkerung von vorne bis hinten BELOGEN und BETROGEN!!"
Einer von ihnen ist Martin Kappel. Der Journalist, der heute bei der Thüringer Allgemeinen (TA) arbeitet, hat in den letzten Jahren beim Online-Medium Thüringen 24 über den Moscheebau berichtet. "Als wir anfingen darüber zu berichten, konnten viele mit dem Islam-Thema nicht so viel anfangen. Für viele kam es sehr überraschend, als es hieß, dass in Marbach eine Moschee gebaut wird", erinnert sich Martin Kappel zurück. "In den Kommentarspalten wurde es schnell richtig krass. Es herrschte sofort Angst, dass das Hassprediger oder radikale Islamisten sind, die dem IS nahestehen. Es gab viel Hetze. Die Wenigsten versuchen sich sachlich damit auseinandersetzen." Bis heute gehören die Moschee-Texte auf Thüringen24 zu den meistgelesen und meistkommentierten. Ein paar Beispiele (Rechtschreibung unverändert):
"Die Artikel, unserer lokalen Journaille ist an Dreistigkeit und Unverschämtheit derer, 'die schon länger hier leben' (Urbevölkerung) nicht mehr zu übertreffen."
"Mal wieder ein völlig unkritischer Artikel des Herrn [entfernt], bezüglich dieser Gemeinschaft, die von nicht wenigen gar als Sekte angesehen wird."
"Sie und ihre Propagandalakaien haben doch seit Bauantrag dieses Moscheebaus die Bevölkerung von vorne bis hinten BELOGEN und BETROGEN!!"
"Hoffentlich boykottieren noch mehr Leute dieses Käseblatt TA. Wäre schön wenn sich diese Schmierfinken mal ne richtige Arbeit zulegen müssen."
"Und wieder ein völlig haltloser, infantiler Artikel der lokalen Systemjournaille"
Was unter vielen Texten in Sozialen Medien auffällt: Immer wieder erscheinen dieselben Einträge. Außerdem: Während manche Artikel nur wenig kommentiert werden, finden sich unter anderen über Tausend empörte Kommentare, obwohl sich ihr Inhalt kaum unterscheidet. "Es gab mal einen Moschee-Text, da hatten wir über tausend Kommentare, die größtenteils aus Kotzsmilies bestanden", erzählt Martin Kappel und berichtet von Klickkampagnen und organisierten Aufrufen, bestimmte Artikel zu kommentieren.
Wer im Netz nach den Ursprüngen solcher Empörung sucht, landet schnell bei "Erfurt zeigt Gesicht". Über 7.000 Menschen haben die Seite auf Facebook geliked. Als Selbstbeschreibung schreiben die Macher: "Als überparteiliche Bürgerbewegung, setzen wir uns für die Interessen der Bürger, GEGEN die fortschreitende Islamisierung und den geplanten Moscheebau der Ahmadiyya-Gemeinde in unserer Stadt ein."
Die Gruppe ist längst eine feste Größe in der islamfeindlichen Szene Thüringens. Mehrmals pro Woche meldet sich das Team online zu Wort: Die Autoren informieren über Baufirmen, die sich an den Moscheebaubarbeiten beteiligen, streamen live von der Moscheebaustelle oder unterstützten Demos und Kundgebungen gegen die "Islamisierung" wie jene mit Eric Graziani auf dem Erfurter Fischmarkt. Eines der Hauptthemen: Die Berichterstattung der Thüringer Medien über den Moscheebau. In ihren Posts berichten sie über einseitige Berichterstattung, schreiben von "Diffamierungen der Lügen- und Lückenpresse" und rufen zu Boykotten, der Teilnahme an Abstimmungen und zum Kommentieren auf. "Und wieder ein völlig haltloser, infantiler Artikel der lokalen Systemjournaille" beginnt ein typischer Beitrag auf "Erfurt zeigt Gesicht". Darunter dutzende Kommentare, die sich alle weitgehend einig sind: in ihrer Ablehnung von Moscheebau und Berichterstattung.
Vier von zehn Journalisten berichten von Anfeindungen
Dass Medien und Journalisten, die über Moscheebauten berichten, schnell ins Visier wütender Bürger geraten, zeigt sich auch an anderen Orten. Vor allem im Osten reicht häufig schon die bloße mediale Erwähnung, dass eine muslimische Gemeinde über einen Moscheebau nachdenkt, um massive Proteste im Netz auszulösen: Ob die Ostseezeitung über einen geplanten Moscheebau in Rostock, die Schweriner Volkszeitung über die Pläne der lokalen islamischen Gemeinde, die Sächsische Zeitung über Anti-Moschee-Proteste in Chemnitz oder die Leipziger Volkszeitung über den Bauantrag einer Leipziger islamischen Gemeinde berichtet: überall füllen sich die Kommentarspalten schnell mit wütenden Leserreaktionen.
Wie groß das Problem insgesamt ist, hat der Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick versucht herauszufinden. Zick und sein Team haben Ende 2016 mehr als 18.000 Journalisten, die Mitglieder im "Deutschen Journalisten Verband" sind, angeschrieben, um sie anonym nach ihren Erfahrungen mit verbalen Beleidigungen und Gewaltaufrufen in den vergangenen zwölf Monaten zu befragen. Die Ergebnisse hat Zick in der Studie " Publizieren wird zur Mutprobe " veröffentlicht. Von den 783 Journalisten, die den Fragebogen ausfüllen, berichteten zwei Drittel, dass hasserfüllte Anfeindungen zunehmen. 42 Prozent berichteten, selbst solche Erfahrungen gemacht zu haben.
Der häufigste Ort der Beschimpfungen sind Kommentarspalten unter Artikeln und in Sozialen Netzwerken. Hauptsächlich betroffen sind? Journalisten, die sich mit Islam-Themen und Pegida beschäftigten. "Themen wie Flüchtlinge, Islam und Migration erzeugen besonders viel Hate Speech und andere hasserfüllte Botschaften. Journalisten sollen berichten, was die Angreifer wollen, oder schweigen." erkläre Zick damals bei der Vorstellung der Studie.
Das Team um Konfliktforscher Zick wollte auch wissen, wie Journalisten mit Anfeindungen umgehen: 68 Prozent der angefeindeten Journalisten lassen sich demnach auf Diskussionen mit ihren Kritikern ein. Knapp 80 Prozent gaben an, einen großen Teil der verbalen Anfeindungen zu ignorieren. Über zwei Drittel der Befragten (68%) klagten dennoch über eine Beeinträchtigung Ihres psychischen Wohlbefindens, wie Gefühle der Hilflosigkeit und Schwierigkeiten beim Verarbeiten.
Fragt man bei der offiziellen Vertretung der teilnehmenden Journalisten, wie sie mit dem Problem umgehen, erhält man eine überraschende Antwort: "Von unseren Mitgliedern wurden bislang keine Beschwerden oder Klagen an uns herangetragen, dass es bei Recherchen über den Islam oder über Muslime in Deutschland Probleme gab. Deshalb ist das für uns bisher kein Thema", erklärt Hendrik Zörner, Pressesprecher des "Deutschen Journalisten-Verband".
"Beim Gespräch lag eine Pistole immer griffbereit"
Doch das Problem beschränkt sich nicht nur auf verbale Angriffe. Der Journalist Stefan Otto berichtete vor über zehn Jahren über die Eröffnung der Khadija-Moschee in Berlin. Bis heute ist die Moschee im Stadtteil Pankow das einzige von außen erkennbare islamische Gebetshaus der neuen Länder. Ihr Bau in den Jahren 2007 und 2008 zog massive Proteste durch Bürgerinitiativen und organisierte Rechtsextreme auf sich.
Otto erzählt, ihm sei schon bei Protesten auf der Straße das "Gewaltpotenzial der Deutschnationalen" aufgefallen. Für ein Interview besuchte er einmal einen der Aktivisten einer rechten Bürgerinitiative zu Hause: "Das war ein alter Mann, der einen Sicherheitswahn hatte. Beim Gespräch lag eine Pistole im Regal, immer griffbereit", erinnert sich Otto. Passiert sei nichts, "bedrohlich war die Atmosphäre aber dennoch", sagt Otto.
In anderen Fällen ist etwas passiert. 26 körperliche Übergriffe gegen Journalisten listet eine Studie des "Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit" (ECPMF) für das Jahr 2018 auf. Darunter zum Beispiel der Angriff auf eine Journalistin bei einer Neonazi-Demo in Cottbus im Januar 2018 und ein Vorfall im Frühjahr 2019 in Thüringen. Als zwei Journalisten im Dorf Fetterorde über das Treffen eines NPD-Funktionärs recherchieren wollten, wurden sie von zwei vermummten Männern brutal attackiert. Mehrere Übergriffe auf Journalisten gab es auch im August in Chemnitz, als tausende Menschen auf die Straße gingen, nachdem ein Chemnitzer von einem aus Syrien stammenden Mann erstochen worden war.
Was bei der Untersuchung wieder auffällt: Die meisten gewaltsamen Übergriffe geschehen im Kontext von Islam- und Flüchtlingsberichterstattung. Außerdem zeigt die Studie: Der Osten ist besonders gefährlich. 14 der 26 Übergriffe fanden in Sachsen statt, vier in Sachsen-Anhalt, zwei in Thüringen, einer in Brandenburg. Die übrigen fünf verteilen sich auf den Rest der Republik. Was zudem auffällt: Besonders häufig werden Reporter Opfer von Angriffen, denen man schnell ansieht, dass sie welche sind - so wie Kameramänner- und frauen.
"Wir haben Demonstrationen gehabt, wo wir Personenschutz mitgeben mussten"
Sich um deren Sicherheit zu kümmern, ist auch der Job von Matthias Gehler, Chefredakteur von "MDR Thüringen". Sein Sender berichtet ebenfalls intensiv zum Moscheebau von Erfurt/ Marbach. Manchmal sei es dabei auch zu "schwierigen Situationen gekommen", erzählt Gehler. Daraus habe man Konsequenzen gezogen. So gebe man Reportern auf Demonstrationen gelegentlich Personenschützer mit. "Das können die Journalisten auch selbst bei uns äußern. Die können dann sagen, ich glaube, das ich noch jemand zur Seite brauche und dann machen wir das auch möglich", sagt Gehler. Zu Schaden gekommen sei bisher aber niemand, versichert Gehler und fügt hinzu: "Wir sind ja aber auch schon einiges gewohnt."
Bei den Moscheegegnern von "Erfurt zeigt Gesicht" distanziert man sich von gewaltsamen Übergriffen und versichert, man wolle auf rechtsstaatlichem Weg gegen die Moschee kämpfen. Auch in den Kommentaren sind die Moderatoren bemüht, Gewaltaufrufe oder andere strafrechtlich relevante Inhalte zu unterbinden. Doch ganz so bürgerlich wie sich die Gruppe gibt, ist sie nicht. Im März dieses Jahres berichteten TA und MDR über Verbindungen von "Erfurt zeigt Gesicht" in die rechtsextreme Szene. Die Folge: jede Menge Beschimpfungen im Netz.
"Mit großem Gelächter haben wir Ihren infantilen Artikel Ihres lokalen, drittklassigen Boulevardblattes/Senders über unsere Bürgerinitiative 'Erfurt zeigt Gesicht' zur Kenntnis genommen", schrieb das Team damals auf seiner Facebook-Seite und drohte mit Klage. Ein andermal klang die Drohung schon konkreter: "Lieber Staatsfunk, nach den Landtagswahlen wird ein ganz neuer, frischer, blauer Wind durch Thüringen wehen. Dann wird auch ihre linksideologische Propaganda ein verdientes Ende finden."
"Dann wird auch ihre linksideologische Propaganda ein verdientes Ende finden."
Dieses Ziel teilt die Bürgerinitiative mit der AfD. "Erfurt braucht keine Moschee", ruft der Redner auf dem Anger am 12. Oktober dem Publikum entgegen. Das Team von "Erfurt zeigt Gesicht" steht auch diesmal wieder daneben und streamt live ins Netz. Diesmal ist es nicht Eric Graziani und auch die martialische Drohung vom "Widerstand bis zur letzten Patrone" fällt nicht. Aber der Feind, gegen den diesmal der Chef der AfD Björn Höcke anschreit, ist derselbe: Von "einseitiger Medienberichterstattung" spricht der AfD-Spitzenkandidat. Und davon, dass "wir es hier mit einem Quasi-Monopolisten zu tun haben, der zwar Anzeigen von der Ex-SED druckt und von der Merkelunion, aber mit der AfD nicht kooperiert." Gemeint ist die Thüringer Allgemeine.
Auf die Frage, ob es Autoren gäbe, die infolge der Anfeindungen, nicht mehr über das Thema berichten wollten, antwortet Matthias Gehler erst nach einer kurzen Pause. "Es ist schon mal angeklungen", sagt der MDR-Thüringen-Chef. TA-Redakteur Martin Kappel will sich in seiner Berichterstattung nicht einschränken lassen. Im Gegenteil: "Uns haben die Kommentare eher ermutigt weiterzumachen. Für uns ist Reichweite natürlich wichtig und deshalb schnappen wir uns die Themen, die Leuten auf der Seele brennen. Aber auch, weil es noch viel Aufklärungsarbeit braucht." Und noch einen Weg hat Kappel gefunden, mit den Anfeindungen umzugehen: Humor. Beim HatePoetry lesen er und andere die skurrilsten Leser-Kommentare vor Publikum und ernten für ihre Arbeit zur Abwechslung einmal keine Beschimpfungen - sondern Applaus.