Alles beginnt mit einer großen Metallschale voll Wasser: Am Abend vor der Zeremonie stellt sie die Mutter auf das Dach der Hütte. Manche legen eine Axt hinein. So kühlt das Wasser nachts stärker ab. Im Morgengrauen weckt die Mutter ihre Tochter.
Im Eingang der Hütte wird sie auf eine Kuhhaut gelegt, so erzählen es Frauen, an denen das Ritual vollzogen wurde. Das Mädchen muss sich entkleiden, dann wird sie mit dem Eiswasser gewaschen. Es soll ihren Körper betäuben.
Zwei Frauen greifen jeweils eines ihrer Beine, eine dritte hält von hinten den Oberkörper. Dann setzt die Beschneiderin die Rasierklinge an. Die Schnitte nehmen dem Mädchen die Klitoris, oft auch die inneren und äußeren Schamlippen, manchmal wird die Vagina zugenäht. Die Schnitte nehmen ihr auch die Kindheit, die Würde, manchmal die Fähigkeit, ein Kind zu gebären oder ohne Schmerzen Wasser zu lassen oder Sex zu haben. Und manchmal markiert die Metallschale auf dem Dach sogar das Ende eines Menschenlebens.
Seit 2011 ist Genitalverstümmelung in Kenia verboten. Trotzdem werden noch immer Frauen beschnitten. Nicht nur in Kenia ist das so. Die WHO geht davon aus, dass weltweit rund 200 Millionen von den heute lebenden Mädchen und Frauen genital verstümmelt worden sind. Drei Millionen Mädchen seien jährlich gefährdet:
Initiationsriten gibt es überall auf der Welt. Sie stehen für den Übergang vom Kind zum Erwachsenen. Es sind oft blutige Traditionen, die oft Jahrhunderte alt sind. Und gegen die nun immer mehr Menschen aufbegehren.
Das Gesetz, das die Genitalverstümmelung in Kenia seit 2011 verbietet, gehört zu den strengsten Ostafrikas: Mindestens drei Jahre Haft und eine Geldstrafe von 2.000 US-Dollar drohen denen, die die Beschneidung durchführen. Trotzdem geht es weiter. Gerade in den ländlichen abgelegenen Gebieten können die Behörden oft nicht ermitteln, weil Ressourcen fehlen. Oder sie erfahren erst gar nicht von den Fällen. Weil viele Beschneidungen nur noch heimlich vorgenommen werden, seit es das Gesetz gibt.
Auf der Reise in diese Regionen wird schnell klar: Der Kampf gegen Genitalverstümmelung mag politisch sein. Die Front aber verläuft im Privaten. Zwischen dem Gemeindevorsteher, der das Verbot durchsetzen soll, und der Beschneiderin, die damit Geld verdient. Zwischen Großmüttern und Enkelinnen. Zwischen Lehrerinnen und Eltern.
KAPITEL 1: BLUTIGE TRADITIONAutoren, Kamera, Schnitt: Nora Belghaus und Fabian Franke
Übersetzung: Elias Laizer, Marius Münstermann
Redaktion: Lena Greiner, Jens Radü
Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft Die Recherchereise wurde zusätzlich unterstützt durch ein Stipendium der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung.