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"Unsere Mütter, unsere Väter" im ZDF: Kein Monster in mir

Eine Haltung zu Geschichte entsteht, wenn sich der Einzelne in Beziehung zum Vergangenen setzen kann. So fühlten die Kinder der Kriegsgeneration die Gräuel des Zweiten Weltkriegs besonders nach, weil sich ihre Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich über den Beziehungskonflikt mit den Eltern artikulierte. Kulturell spiegelte sich diese doppelte Auseinandersetzung der 68er in der Welle des Neuen Deutschen Films: Zum Beispiel bei Rainer Werner Fassbinder, der in Filmen wie „Warum läuft Herr R. Amok?“ von 1969 Machtstrukturen sezierte bis in die bürgerliche Kleinfamilie. Die Schuld für den deutschen Faschismus fand Fassbinder überall in gesellschaftlichen Strukturen. Ein krebsartiges Geschwür, das in der Arbeit, in der Liebesbeziehung, in jedem Familienritual wucherte. Seine Filme zeugen von einer permanentern Hab-Acht-Stellung, fordern das Individuum auf,  immer wieder hineinzuhorchen in sich selbst.

2013 hat Philipp Kadelbach für das ZDF die Filmreihe „Unsere Mütter unsere Väter“ gedreht, eine Miniserie mit aufwändiger Hollywood-Ästhetik und Dramaturgie. Es sei großer Wert auf die differenzierte Darstellung aller Figuren gelegt worden, so der Sender. Tatsächlich erscheinen die Hauptfiguren – bis auf den Juden Victor – auf den ersten Blick als Täter sowie als Opfer: Die Krankenschwester Charlie, die immer für die Sorgen ihrer Freunde da ist, als überzeugte Nationalsozialistin aber eine jüdische Ärztin verrät. Friedhelm, der als zynischer Kommentator Hitlers Ideologie durchschaut, sich aber selbst zum menschenverachtenden Mörder entwickelt. Die Sängerin Greta, die um der eigenen Karriere Willen mit einem Sturmbannführer eine Affäre beginnt.

Der Unterschied von „Unsere Mütter unsere Väter“ zu Fassbinders Filmen liegt aber darin, dass beim genaueren Hinsehen Unverzeihliches nicht in den Figuren selbst wütet, sondern immer ausgelagert wird. Die wirklichen Monster sind die anderen: Der gnadenlose Sturmbannführer, der Greta mehr vergewaltigt als begehrt. Der sadistische Feldwebel, der den Soldaten Wilhelm in der Bewährungskompanie mit homoerotischer Lust quält und misshandelt. Nur in ganz seltenen Momenten werden im Film auch tatsächliche innere Abgründe der Hauptprotagonisten angedeutet. Friedhelms diffuses Grauen spiegelt sich in solchen Frontszenen, bei denen die Untertitel zwar genaue Lagebeschreibungen angeben, aber der Ort doch wirkt als veräußerlichte Seelenlandschaft: Der Horror in Friedhelms Blick, als ein Nest voller Maden ihm die Gewissheit gibt, dass der eigene Bruder einen anderen Menschen getötet hat. Seine Begegnung mit einem Wolfshund im russischen Blätterwald, bei der er sich nicht mehr verteidigt, und gleichsam auch den Kampf gegen die eigene innere Bestie aufgibt.

In Fassinders Filmen steckt die tiefe Angst vor dem Bewusstseins- und Haltungsverlust durch zuviel sozialen Gehorsam. In Kadelbachs Film aber können sich die Hauptfiguren die eigenen Fehler bewusst machen, und ihre Schuld wird so verzeihbar. Ihren Verrat erkennt Charly schon bei der Verhaftung der jüdischen Ärztin. Danach opfert sie sich selbstlos für viele Patienten auf und trifft die Totgeglaubte am Ende sogar noch wieder. Diese gibt ihr die endgültige Absolution: „Sie kann ihre Schuld wieder gutmachen.“

Dieses Zitat verdichtet, wie die Filmreihe im Beziehungsgeflecht zwischen zwei Generationen funktionieren kann. Als therapeutisches versöhnendes Entlastungsmedium zwischen der greisen Kriegsgeneration und ihren längst erwachsenen 68er-Kindern, die der Auseinandersetzung müde geworden sind. Für die Enkelgeneration aber, heute so alt wie die Protagonisten im Film, entfällt diese Funktion. Das Dritte Reich erschien ihnen bislang durch den Eltern-Puffer vor allem versachlicht durch mediale Aufbereitung in der fünften, neunten, zwölften Klasse im Schulunterricht  Für einen 25-Jährigen bleibt von „Unsere Mütter unsere Väter“ deshalb nichts übrig, dass über ästhetischen und dramaturgischen Genuss hinaus auch die eigene Position berührt. Für die Enkel – die heute mit stets verfügbaren Filmen und Serien in Internet-Mediatheken so gezielt und routiniert Heldengeschichten als Bedürfnisbefriedigung konsumieren wie keine Generation vor ihnen und deshalb die Hollywood-Dramaturgie der Filmreihe sofort durchschauen – erschöpfen sich die Figuren in der Fiktion. Der Enkel mag affektiv betroffen sein von den Metzelszenen an der Front, doch hat dieser Impuls nichts Unkontrolliertes und Verunsichertes, weil er ihn nicht fühlt, sondern nur nachfühlt.