Rein von außen betrachtet war Michelangelos David (Baujahr 1504) wahrscheinlich der erste „Gym Bro" der Weltgeschichte: wunderschön definierte Bauchmuskulatur, selbstbewusste Pose, eitles Gschau. Okay: Bizeps und großer Brustmuskel sind nicht ganz konkurrenzfähig, und er hat auch keine Freihanteln auf seinem Sockel liegen, keinen Cranberry-Proteinpulver-Shaker, nicht einmal ein Erdnuss-Protein-Cookie - David hat nur eine Steinschleuder und ist nackt. Kein Composure-Trainings-Tanktop, keine Kollagen-Fruchtgummis, keine „sporty" Baseballkappe.
Aber gut, er hatte einen großen Startnachteil - so ganz ohne TikTok. Auf der Videoplattform wurden Clips zum Schlagwort „Gym Bro" bis dato über eine Milliarde Mal aufgerufen. Unter „Gym Bros" versteht man Männer, deren Persönlichkeit und Lebensstil extrem stark vom Fitnessstudio beeinflusst werden. Dieses spielt bei allen Lebensentscheidungen eine Rolle - Essen, Trinken, Urlaub - und bildet quasi eine eigene ökologische Nische. Und die wird fast zwangsläufig auch ein Teil der virtuellen Realität: Wer ein „Gym Bro" ist, zeigt das auch online. In Videos teilen Menschen Fitnesstipps, zeigen ihre sportlichen Routinen, welches Proteinpulver sie verwenden, was sie sonst so essen (erstaunlich oft Reis mit Hähnchen - ungewürzt und ein bisschen traurig). Das weibliche Pendant zum „Gym Bro" ist das „Gym Girl". Bei ihr geht es aber meistens nicht darum, sich einen besonders kräftigen Bizeps anzutrainieren, sondern um einen kräftigen Po, um die Figur generell. Sie wollen sportlich ausschauen, sich gesund ernähren, pastellfarbene Sportleggings tragen und Erdnussbutter in ihren Haferschleim rühren.
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