Das "Mariedl" steht mitten im historischen Saal des Wiener Josephinums. 2,69 Meter groß. Gewicht 191 Kilogramm. Schuhgröße 56. "Folgen Sie mir auf Instagram, auf TikTok oder, je nachdem wie alt Sie sind, auf Facebook", ruft sie. Sie trägt eine Jeansjacke, ein üppiges Kleid, einen Hut, zwei dicke Zöpfe. Vereinzelt trauen sich Zuschauerinnen und Zuschauer wirklich nach vorne, machen ein Selfie. Das "Mariedl" grinst in ihre Handykameras. "Kommen Sie! Staunen Sie!"
Maria Fassnauer wurde 1879 in Südtirol geboren. Schon als Kind ist sie größer als alle anderen, später steht sie deshalb als Jahrmarktattraktion auf internationalen Bühnen. Österreich, Deutschland, England. Sie reist durch Europa, ist "das größte Weib, das je gelebt hat." Die "Riesin aus Tirol".
In "Mariedl. Selfies mit einer Riesin" verhandelt die austro-australische Schauspielerin Maxi Blaha die Geschichte der Vermarktung des weiblichen Körpers und zieht Parallelen vom Leben Fassnauers in die Gegenwart. Selbstdarstellung und andauernde Selbstoptimierung sind Themen unserer Zeit. Die Unsicherheit, die das "Mariedl" aufgrund ihrer Andersartigkeit verspürt hat, kennen wir auch heute. Die universelle Angst, nicht wie der Rest zu sein, hervorzustechen und damit zur Zielscheibe der Gesellschaft zu werden. "Ich bin ein Ungeheuer, sagt ihr? Nein, ich bin das Volk", sagt sie an einer Stelle.
Die Idee zum Stück stammt von Sophie Reyer, der Text von der Londoner Autorin Penny Black. Er ist eine amüsante und kluge Anspielung auf das frühe Anatomische Theater, verbindet geschickt Zeitgeist mit Vergangenheit. Spoiler: Zwei Meter groß ist Maxi Blaha nicht, mit ein wenig Fantasie fällt das aber nicht weiter auf. Bis Juli kann man "Mariedl. Selfies mit einer Riesin" in unterschiedlichen Bundesländern noch sehen.