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Glass Onion

Seit 2017 betreibt Glasmacher Robert Comploj Geschäft und Werkstatt in Wien. Und geht mit seiner gläsernen Street Art regelmäßig auf Social Media viral.

 

Es ist doch so: Leicht wird es dem Glas heutzutage wirklich nicht gemacht. Alte Kirchenfenster, billige Ikea-Gläser und ein Haufen Scherben. Andere Materialien haben da ein gehobeneres Image, was die Kunst betrifft. Robert Comploj stört das nicht. Er steht hinter einem weißen Verkaufstresen in seinem Studio im siebten Wiener Gemeindebezirk und tippt auf einer Computertastatur. Von der Decke hängen runde, graue Glaslampen, im Schauraum vor ihm reihen sich bunte Glasgefäße und -skulpturen auf weißen Ausstellungspodesten aneinander. Grauer Boden, meterhohe Fenster, einige Pflanzen; auf den weißen Wänden tanzen die blauen, pinken und orangen Glas-Reflexionen der Vasen und Teller. In der Westbahnstraße ist Robert Comploj der Chef. Seit sechs Jahren betreibt er hier sein Geschäft, produziert und verkauft Glasobjekte. „Handwerk und Kunst, das ist alles verschwommen. Früher war das total getrennt; für mich ist das ein Topf. Kunst kann nicht existieren ohne Handwerk, ein Maler kann nicht malen, wenn er nicht weiß, was für eine Farbe er verwendet“, sagt er.

Comploj trägt eine grüne Weste, darunter einen schwarzen Kapuzenpullover und Turnschuhe mit orangen Schnürsenkeln. Er lacht viel. Seinen Tiroler Dialekt hat er über die Jahre nicht verloren, obwohl es ihn von Inzing in Tirol schon in die ganze Welt verschlagen hat. Zuerst in die Glasfachschule Kramsach, dann in die USA. Dort lernt er von den Glasmeistern aus Murano, lebt in England und Dänemark. Die Herausforderung mit Glas zu arbeiten, hat ihn seit er damit angefangen hat, nicht mehr losgelassen. „Ich habe das zufällig ausprobiert und das war so schwierig und kompliziert, dass ich mir gedacht habe: cool, das will ich auch lernen. Glas ist ein schönes Material. Man muss sich darauf einlassen. Es ist eine Hassliebe, manchmal ist es fürn Oasch und dann wieder schön“, sagt er.

Er sitzt jetzt an einem kleinen Tisch im Eck der Werkstatt, die an den Ausstellungsraum angrenzt. Große Maschinen, ein Regal voller bunter Boxen, an der Wand hängen Werkzeuge. In der Mitte steht ein über tausend Grad heißer Hochleistungsofen und rauscht leise. Wenn Comploj über Österreich spricht, lässt er sich in den Holzstuhl zurückfallen.  „Wir sind international erfolgreich, in Miami oder Paris. Aber bis das hier ankommt, das dauert. Manchmal ist das frustrierend, aber da geht es wahrscheinlich allen gleich“, sagt er. „Der Prophet im eigenen Land zählt nichts. Seit zwanzig Jahren arbeite ich mit Glas, das war schon von Anfang an eine Plagerei. Wahrscheinlich ist das in jedem Land so. Es ist wichtig, dass die, die jetzt nachkommen, wissen, das ist halt so, da darf man nicht schockiert sein.“

International so erfolgreich ist er sicher auch, zumindest ein bisschen, wegen Social Media. Auf der Videoplattform TikTok folgen dem Studio Comploj mehr als vierzigtausend Menschen, auf Instagram sind es mehr als hunderttausend. Ein Online-Auftritt abseits von einer Website sei heute wichtig fürs Portfolio. „Menschen schauen gerne auf Instagram“, sagt Robert Comploj. „Aber grundsätzlich ist es ein Scheißdreck.“ Man sehe ja, wie viel Social Media auch kaputtmache. Eine Gratwanderung also. „Entstanden ist es, weil wir es gerne gemacht haben, mittlerweile ist es ein wichtiger Business-Zweig. Das darf man nicht unterschätzen. Wir machen auch einen guten Umsatz damit. Und das Schöne ist eben auch, dass meine Kunst in eine neue Kunst reinkippt“, sagt Robert Comploj. Virale Hits produziert er am laufenden Band. Besonders beliebt sind die Streetart-Videos. Das Konzept: flüssiges Glas auf Gegenstände kippen. Sneakers, Artischocken, McDonald's-Pommestüten. Genommen wird alles, was Robert Comploj und sein Team in die Finger bekommen. „Da wird nicht lang überlegt. Das passiert einfach. Die Menschen haben oft keinen Bezug zum Glas und darum ist das ja auch so satisfying, was da passiert. Für uns ist das ja total natürlich“, sagt er. Satisfying, das ist im Internet mittlerweile eine eigene Kategorie. Damit meint man Videos, die in ihrer Ästhetik besonders befriedigend sind, die man sich ansieht, weil sie einen merkwürdigerweise zufriedenstellen.

Für die heutige Produktion sind ein Haufen Steine dran. Während sie Robert Comploj draußen vor der Türe sorgsam gegen den Gehsteig stapelt, erhitzt sein Assistent Wolfgang in der Werkstatt das Glas. Er kommt aus Tschechien, ist Glasbläser, trägt Jeans und ein schwarzes T-Shirt, cremefarbene Crocs und eine Beanie-Mütze. „Es dauert Jahre, bis man die Hitze beherrscht“, sagt Wolfgang, während er das Glas an einer Stange in den Ofen hält. Dann geht alles sehr schnell: er läuft hinaus, bläst eine Glasblase auf den kleinen Steinberg, das Glas kühlt ab und man sieht den Stein-Abdruck im ausgehärteten Glas. Robert Comploj filmt mit. „Wir machen das auf der Straße. Streetart hat ja sonst viel mit Graffiti zu tun, wir wollen das in neuen Zusammenhang bringen. Eben: Es passiert auf der Straße, es ist Kunst. Das fanden wir lustig. Ein bisschen ein Augenzwinkern ist da schon dabei“, sagt er. 

Dass Robert Comploj online erfolgreich ist, merkt er auch am Publikum, das mittlerweile sein Geschäft besucht. „Man muss sagen, Glas ist sehr konservativ. Das heißt, es waren immer viele ältere Leute, die es sehr geschätzt haben“, sagt er. Das verändere sich, nun würden vermehrt auch jüngere Menschen kommen; auch zu den Kursen, die das Studio anbietet. „Du kaufst dir ja nicht einfach eine Vase um über hundert Euro. Mittlerweile verstehen die jungen Leute aber den Entstehungsprozess dahinter, den zeigen wir ja auch in den Videos. Die Vermittlung funktioniert immer besser. Und das freut mich sehr, dass junge Menschen Glas jetzt auch wertschätzen.“

Sein Ziel? Das Handwerk am Leben zu erhalten. Wissen über Glas weiterzugeben. „Die Universitäten machen es nicht, jetzt machen wir es auf diese Art und Weise“, sagt er. Dass es ihm wichtig ist, dabei auch seinem jungen Team etwas mitzugeben, merkt man sofort. „Wenn du Künstler sein möchtest, brauchst du auch brutales wirtschaftliches Denken und Marketing-Kenntnisse. Das macht fast neunzig Prozent aus, im Endeffekt ist das Produkt nebensächlich“, sagt er. Junge Künstlerinnen und Künstler oder Kunststudierende hätten oft eine falsche Vorstellung. „An den Unis wird das schließlich nicht gelehrt, da fehlt der ganze Prozess, wie man das angeht, wie man davon leben kann. Das wird einem nie beigebracht“, sagt er.

Nur wenige Tage später hat das Video, das Robert Comploj und Wolfgang produziert haben, schon mehr als 140.000 Aufrufe. „i wünsch ma a päärle landjäger!“, hat wer darunter kommentiert. „schick ma oans dann mach ma a video“, antwortet Robert Comploj. „handwurst geht montag zur post“. Im Studio Comploj ist Glas sicher nicht konservativ. Hier denkt niemand an alte Kirchenfenster oder billige Ikea-Gläser; spätestens, wenn Robert Comploj flüssiges Glas auf eine Zwiebel drückt. Glass Onion nennt er das.