Warum wir online immer mehr über unsere Ästhetik sprechen
In der Popkultur bekommt alles eine zweite Chance. Die Low-Rise-Jeans aus den frühen Nullerjahren zum Beispiel. Oder die bunten Samt-Jogginganzüge, die Paris Hilton immer getragen hat. Nichts muss lange auf ein Comeback warten, auch nicht das Wort Ästhetik. Für seine Wiederbelebung hat es nur TikTok, einen Haufen junger Mädchen und die englische Übersetzung, aesthetic, gebraucht – schon wurde es auf der Videoplattform 186 Milliarden Mal aufgerufen. Dort bedeutet es auch etwas anderes als das, was Philosophinnen und Philosophen in den letzten Jahrzehnten mit dem Begriff ausdrücken wollten. Aesthetickann nun nicht nur etwas sein, eine aesthetic kann man heute vor allem haben. Früher hätte man vielleicht Lifestyle dazu gesagt, jetzt gesteht man sich ein: Eigentlich geht es bei diesen Wörtern nur um die Optik, um ein Schauspiel für alle anderen – aesthetic ist da ehrlicher. Schöne Notizhefte haben, das ist zum Beispiel eine aesthetic. Oder nicht zu Starbucks gehen wollen, weil nur erlesene Coffee-Labs in die eigene aestheticpassen. Cottagecore, für alle, die den Landhausstil gut finden, so etwas wie verspieltes Porzellangeschirr und Trockenblumen. Dark academia romantisiert alte teure Universitäten mit alten dunklen Bibliotheken. Zum Schluss geht es also wie bei allem um Konsum, wenn auch um einen, der in die jeweilige aesthetic passen muss. Und da schließt sich der Kreis zu Adornos Ästhetischer Theorie dann doch ein bisschen.
[Erschienen am 15.12.2022, DIE ZEIT]