Im Burgenland versucht der Samariterbund Pflege neu zu denken und gewinnt damit Preise. Das Haus hat nichts mehr mit dem Klischee eines Altenheims gemein. Ein Besuch vor Ort.
Die Corona-Tests auf dem Tisch beim Eingang erinnern mit ihrer Form an Fischstäbchen. Wer die moderne Glastür des Zentrums passieren will, muss einen PCR-Test vorlegen und geimpft sein. Zusätzlich wird manchmal mit Stäbchen getestet. In den blauen Mappen werden die Besucher:innen verzeichnet. Es dürfen keine Fehler passieren. Viel zu oft waren Pflegeheime während der Pandemie in den Medien.
Im südlichen Burgenland findet sich ein Ort namens Großpetersdorf. Etwa 3.500 Menschen leben entlang einer Straße. Wo sich heute das Pflegekompetenzzentrum erstreckt, war früher der Schandfleck des Dorfes. Eine „Gstetten", mehr sei da nicht gewesen. Seit 2016 wurde eines von acht Pflegekompetenzzentren im Bundesland erbaut, weitere sind in Planung. Die Warteliste ist voll, jeden Tag läutet das Telefon der Wohnbereichsleitung. Angehörige wollen wissen, ob ein Platz frei geworden sei. Das Gebäude soll bloß nicht an ein Altenheim erinnern oder an die Klischees, die man damit verknüpft. Biegt man beim Eingang links ab, gelangt man zum „Dorfplatz". Dort steht ein Sesselkreis, der durch die Fensterfronten erleuchtet wird. Dann läuft man an der leeren Cafeteria vorbei. Weiter vorbei an einer Kapelle, die gleichzeitig das Kino ist, und dem Erlebnisbad. In Letzterem ziehen sich aktuell die Pflegenden der Gruppe Kirschbaum um.
Eigentlich möchte man hier im Haus alles offen haben. Möglichst viele Menschen von draußen reinholen, die Wohngruppen mit dem Haus vermischen und Spaß zusammen haben. Von Nikolaus, über Weihnachtsfeier, Heurigenabend und Konzert bis Kindergartenbesuch. „Unsere Cocktailpartys sind legendär!", sagt die operative Leiterin Christine Ecker. Normalerweise würde man bald den „Rosenball" feiern. Stattdessen müssen die Wohngruppen streng untereinander bleiben. Besuchende dürfen nur getestet herein und spontan geht gar nichts mehr. Die Pandemie ist der größte Feind ihres Konzepts.
Lösungen fürs AlterEin Blick auf die Zahlen zeigt, dass die Bevölkerung immer älter wird. Bis 2050 soll die Anzahl der Menschen über 65 Jahren in Österreich schon 2,64 Millionen betragen. Zum Vergleich: 2016 waren rund 1,62 Millionen Menschen 65 Jahre und älter. In der Vergangenheit kämpften die Pflegeheime aber nicht mit einem Ansturm, sondern vor allem mit Missbrauchsfällen. Der Journalist Victor Castanet beschreibt in seinem neuen Buch „Die Totengräber" Dutzende Vorkommnisse in einem der angesehensten Pflegeheime in Paris. Auch in Österreich kamen immer wieder Skandale ans Licht. Erst im vergangenen Jahr wurden alle beschuldigten Pflegenden im Heim im niederösterreichischen Kirchstetten schuldig gesprochen. Sie sollen Bewohner:innen missbraucht, vernachlässigt, gequält und sich darüber in einer Whatsapp-Gruppe ausgetauscht haben.
Während Konzepte wie die 24-Stunden-Hilfe weiter ansteigen, zeigte sich spätestens durch die Pandemie, dass es dringend neue Ideen braucht, wie Altern in Würde aussehen kann. Der Samariterbund wurde für seine Pflegekompetenzzentren im Burgenland kürzlich mit fünf Sternen ausgezeichnet. Eine unabhängige Zertifizierungsstelle lobte ihre Professionalität, Menschlichkeit und das Managementsystem. Eines der Häuser liegt in Großpetersdorf. Aktuell finden 70 Langzeitpflegefälle im Zentrum Platz. In einer Gruppe leben auch Menschen mit Behinderungen. Während der Pandemie sei der Bedarf gestiegen. Viele Frauen hätten zu Beginn noch die Betreuung übernommen und sich um die älteren Menschen gekümmert. Nach einem Jahr intensiver Betreuung sei vielen klar geworden, dass es so nicht weitergehen könne, erklärt die Leiterin. Neben dem Heim säumen 16 Wohnungen das Zentrum. Dort soll so eigenständig wie nur irgendwie möglich gelebt werden.
So ergeben sich flexible Lösungen - wie für das Ehepaar Herbert und Edeltraud. Er bedarf Pflege und lebt im Heim, sie lebt eigenständig in der Wohnung nebenan. Zu Mittag kommt sie vorbei, hilft beim Aufdecken und der Essensausteilung. Danach schiebt sie ihren Mann für den Kaffee über den Weg in ihre Wohnung.