Wir leben in einer Zeit der Doppelgänger, der Zerrbilder. Als unheimliche Doubles klammern sie Facetten aus, stellen verengte Positionen heraus und Realität infrage. Die Toleranz gegenüber Ambivalenzen sinkt.
Von Eva-Maria Manz
Die amerikanische Wissenschaftlerin Naomi Klein hat während der Pandemie etwas Beunruhigendes beobachtet. Die Beobachtung wirkt auf den ersten Blick harmlos, geradezu komisch. Klein schreibt, sie sei im Internet plötzlich ständig mit Naomi Wolf verwechselt worden, einer anderen Wissenschaftlerin und Autorin. Diese Erfahrung steht zentral in Kleins aktuellem Buch „Doppelganger“, das in den USA auf den Bestsellerlisten gelandet ist und von der „New York Times“ als ein „Book of the Year 23“ ausgezeichnet wurde.
Die Biografien der beiden Naomis wirken auf den ersten Blick tatsächlich ähnlich. Beide sind als Kritikerinnen des Kapitalismus und Chauvinismus bekannt geworden, Wolf 1990 mit der feministischen Analyse „Der Mythos Schönheit“ und Klein 2000 mit dem globalisierungskritischen Essay „No Logo“. Beide Naomis galten als links und progressiv.
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