Es sind die 60er Jahre, die Welt steht kurz vor der Mondlandung, und in Murrhardt im schwäbisch-fränkischen Wald wird die Altstadt an die Kanalisation angeschlossen. Ein Gespräch mit Titus Simon, der von einer Kindheit zwischen Aufbruch und Wohnzimmermief erzählt.
Murrhardt - In der Fornsbacher Straße in Murrhardt stehen die Häuser dicht an dicht. Oben bei den Doderers wohnt in einem Kämmerchen der Flüchtling Steinhaus, der einen Fernseher hat, und unten im Erdgeschoss betreibt das heimatlos gewordene Ehepaar Holubek einen Fahrradladen, hinter dessen Verkaufsraum es in einem kärglichen Zimmer haust. Der 66-jährige Titus Simon, heute pensionierter Hochschullehrer und Familienvater, hat die Erinnerungen an seine Kindheit aufgeschrieben. In seinem Buch blickt er zurück auf die 60er Jahre, als der Wirtschaftswunderaufbruch in der Provinz noch kaum zu spüren war.
Herr Simon, kamen Sie als Kind auch in den Genuss einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung, die man heute so kennt?
Spätestens ab dem Vorschulalter waren wir ohne Erwachsene unterwegs. Wir waren Gassenkinder, immer draußen. Einmal wurde ich sogar noch am späten Abend vermisst, da war ich erst fünf. Die Mutter dachte, ich sei bei den Großeltern zwei Straßen weiter. Doch als sie mich dort abholen wollte, war ich gar nicht da.
Wo waren Sie?
Mein Großvater ist jeden Abend nach der Arbeit noch zum Binokel in die Wirtschaft, da hat er mich mitgenommen. Und dann einfach die Zeit vergessen. Da war’s schon Zehne.
Fiel dort niemandem auf, dass so spät noch ein kleines Kind dabei ist?
Da wurde sich nicht drum geschert. Für mich waren die Wirtschaft und ihre Besucher interessant, deswegen habe ich mich unauffällig verhalten. Außerdem habe ich immer zwei Sinalco oder Bluna bekommen. Die älteren Gäste tranken damals das Bier gern warm, überschlagen, sagte man. Die Wirtin der „Eiche“ in Murrhardt wusste genau, wer sein Bier überschlagen mochte. Sie hatte einen Bierstaucher, eine Art Metallstab, der wurde in heißem Wasser erhitzt und ins frische Bier gehalten.
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