Der Bund streicht eine Subvention für Schnapsbrenner. Die müssen sich nun auf dem freien Markt durchsetzen. Das ist für manche ein Drama – und für die Umwelt ein Problem.
Von Eva-Maria Manz
Mitten hinein in die endlose Idylle im Hinterland des Bodensees mit ihren einsamen Bauernhöfen und den weiten Streuobstwiesen schiebt sich plötzlich die scharfe Silhouette eines Hochhauses. Am Straßenrand erscheint das Ortsschild Tettnang und nicht weit dahinter ragen die grauen Flachdachgebäude einer Agrarfirma in den Himmel. Im Hof reihen sich die Autos dicht an dicht, dem Besucher schlägt ein scharfer alkoholischer Geruch entgegen. Ein kleiner Mann in einer braunen Weste lehnt an seiner E-Klasse. "Hallo Eugen", ruft er jemandem entgegen, "ich wart' auch schon seit zwei Stunden."
Die Männer vor den Autos sind Schnapsbrenner aus der Bodenseeregion, und wüsste man nicht, dass hier gerade eine Ära endet, könnte man die ganze Szenerie für eine perfekte Kleinstadtroutine halten. Doch das täuscht. Die Menschen sind zu einer Art Beerdigung erschienen. Heute geben sie zum allerletzten Mal ihren Selbstgebrannten an die Bundesmonopolverwaltung für Branntwein ab. In wenigen Tagen, am Ende dieses Jahres, wird ein Arrangement zwischen Staat und Schnapsbrennern enden, das es so nirgendwo anders mehr gibt. Eines, dessen Aus womöglich auch das Ende eines Berufsstandes bedeutet.
Das deutsche Branntweinmonopol wirkt heute wie aus einer anderen Welt, und das ist es auch. Es wurde 1918 eingeführt, noch während des Ersten Weltkriegs, um die wilde Schnapsmacherei einzudämmen und dem Kaiserreich neue Steuereinnahmen zu verschaffen. Seither wurde der Schnaps vom Staat aufgekauft und zentral an die Industrie weiterverkauft, die ihn zur Herstellung von Kosmetika, Arzneimitteln und Spirituosen brauchte. In den siebziger Jahren ist das Monopol in seiner ursprünglichen Form abgeschafft worden, für kleine Brennereien aber bestand es weiter. Diese Abfindungsbrennereien genannten Betriebe gibt es vor allem in Süddeutschland. Etwa 20.000 Brenner dürfen bis heute diese kleinen Mengen Schnaps aus ihrem Obst brennen, zwei Drittel davon müssen sie an die Monopolverwaltung abliefern.
Jetzt kommen MarktpreiseFür die Bauern war das immer ein gutes Geschäft. Sie mussten sich kaum Gedanken um Kunden machen. 150 Euro pro Hektoliter bekommen die Brenner - ein hervorragender Preis. Wenn man so will, war das staatliche Branntweinmonopol eine Subvention für die kleinen Selbstbrenner und ihre Landwirtschaften. Das sieht auch die EU so. Sie hat schon vor Jahren auf eine Abschaffung gedrängt, der Bundestag hat das Aus für Ende 2017 beschlossen. Die Bundesmonopolverwaltung macht dicht, künftig müssen auch die kleinen Bauern aus Süddeutschland ihren Alkohol selbst vermarkten, in Flaschen abfüllen, im Hofladen oder bei regionalen Supermärkten verkaufen. Zu Marktpreisen.
Der Rentner Alfons Schnell parkt sein Auto ganz hinten in der Reihe. Er steigt aus, hält hier und da ein Schwätzchen, man kennt sich. Schnell scherzt, klopft Schultern, geht zum Nächsten weiter. Früher war er Postbeamter, jetzt, im Ruhestand betreibt er eine kleine Landwirtschaft in Kressbronn. Er hat auf seinem Hof, wie viele in dieser Region, Ferienwohnungen, eine Mostobstproduktion und eine Brennerei. Schnapsbrennen, sagt er, ist auch eine Leidenschaft. Jeder der Brenner braucht die Einnahmen aus dem Schnapsverkauf dringend - doch davon allein leben kann schon jetzt keiner. Wie es jetzt weiter geht mit dem Preis für den Schnaps? "Das weiß niemand", sagt Schnell düster. Das Ende des Monopols verschärft ein Problem, das Schnell mit den meisten Brennern hier teilt: Er hat keine Kinder, die sein kleines Familienunternehmen weiterführen könnten oder wollten. Die jungen Leute, sagt Schnell, würden lieber in einer Firma arbeiten und 30 Tage Urlaub im Jahr haben.
Was die einen traurig und bedauerlich finden, nennen die anderen schulterzuckend Strukturwandel. Doch wie es den Kleinbrennern geht, das ist bedeutsamer, als es auf den ersten Blick scheint. In Baden-Württemberg stehen die größten zusammenhängenden Streuobstbestände Europas. Die Wiesen und Weiden, auf denen hochstämmige Obstbäume vereinzelt, verstreut in der Landschaft wachsen können, gehören zu den artenreichsten Lebensräumen Mitteleuropas. Auch wegen der Insekten, deren Verschwinden kürzlich bundesweit zum Thema wurde.
Was wird aus den Streuobstwiesen?
Es sind vorrangig Klein- und Obstbrenner, die die Streuobstwiesen bewirtschaften. Die Bauern hier bekommen oft von Politikern gesagt, wie erhaltenswert diese einzigartige Kulturlandschaft sei. Seit den sechziger Jahren aber ist fast die Hälfte der Bestände zwischen Main und Bodensee verschwunden. Viele Flächen sind mit Baugebieten zugestellt worden. Und für die meisten Bauern lohnt die Intensivlandwirtschaft mit Spritz- und Düngemittel weit mehr. Der Handel verlangt ohnehin schon lange nach makellosem und normiertem Obst, das zudem immer noch billiger sein soll. Für die Klein- und Obstbrenner hat sich die Streuobstlandwirtschaft bisher dennoch gerechnet – vor allem wegen des Branntweinmonopols. Wer wird künftig dafür zahlen? Und was, wenn das nicht reicht?
Ganz vorn, am Anfang der Schlange, steht der große Tankwagen der Deutschen Edelbranntwein aus Karlsruhe, die den Alkohol für die Monopolverwaltung eintreibt. Die Abgabemenge wird streng kontrolliert, die Landwirte müssen ihre Brennscheine vorzeigen, ein Messgerät stellt den exakten Alkoholgehalt fest. Vor dem Tankwagen liegen zwei große Wannen auf Waagen. Die Brenner schütten dort ihre Destillate aus. Wenn die kristallklare Flüssigkeit in einem dicken Schwall ins Becken fällt, wirkt sie fast wie Quellwasser. Wunderschön, wäre da nicht der bestialische Gestank, den hier aber niemand zu bemerken scheint.
Auch Andreas Metzler verzieht keine Miene. Stolz spricht der 42-Jährige stattdessen darüber, wie er den elterlichen Hof führt. Hübsche Ferienwohnungen habe er eingerichtet und sogar einen Schwimmteich. Er schwärmt von den saftigen Hügeln, den Wanderwegen mit Blick auf das Alpenpanorama über dem Bodensee. Auch Metzler betreibt eine Brennerei, und er handelt auch. Das heißt, er kauft den Schnaps der anderen an und vermarktet ihn weiter. Mit dem Brennen, sagt er, lasse sich auch weiterhin gutes Geld verdienen. Dafür brauche es aber eine Strategie. Die Leute, sagt Metzler, wünschten sich eine kleinstrukturierte, bäuerliche Landwirtschaft. "Aber wir müssen trotzdem am Markt mithalten."
Der Schnaps gehört nicht mehr dazu
Das Bauernleben hat sich in den vergangenen Jahrzehnten sehr gewandelt, alles ist größer und industrieller geworden. Die Kuhställe sind extrem gewachsen. Immer gleich geblieben ist hingegen die Größe der Brennereien auf den Höfen, sie sind zu einem kleinen Nebenbetrieb geworden. Vielleicht auch, weil der Schnaps längst nicht mehr wie früher zu jedem gelungenen Wirtshausabend, jedem ausgedehnten Essen und erfüllten Arbeitstag auf dem Amt gehört. Das merke man, sagt Metzler, an den Verkaufszahlen.
Metzler erinnert sich, wie er als Bub Anfang der Achtziger von den Eltern manchmal fünfzig Pfennig bekommen habe, damit ins Dorf gerannt sei, um sich einen Leberkäswecken in der Metzgerei zu kaufen. Heute koste das warme Wurstbrötchen 2,50 Euro, doch die Flasche Wodka werde im Sonderangebot immer noch zu ähnlichen Preisen verkauft wie damals. Verrückt ist das, sagt er. Damit es sich für die kleinen Brenner lohne, müssten die ihre Flaschen für 25 bis 30 Euro anbieten.
Metzlers Hoffnung liegt auf konsumbewussten Verbrauchern. Jenen also, die regionale Waren zu schätzen wissen, die bewusst nach bäuerlichen Produkten suchen – und dafür auch mehr bezahlten als im Discount-Supermarkt. Keine Frage, die gibt es. Doch fragt man Biobauern in der Region, bekommt man eher skeptische Prognosen. "Der Preis für Schnaps wird deutlich fallen", sagt einer, der schon jetzt auf Biomost umgestiegen ist. Die Preise, die Hochprozentiges mit Ökosiegel erziele, lohnten für Biobauern schon jetzt kaum den Aufwand. Marktpreise seien eben nicht mit den subventionierten Tarifen des Monopols vergleichbar.
Was auch immer geschieht, für Klaus Kohler wird es zu spät kommen. Der schlanke Mann sitzt, eingepackt in einen Kapuzenpullover und eine gefütterte Jeansjacke, an einem Schreibtisch in einem kleinen Bauwagen. Heizlüfter blasen trockene Wärme durch den Raum. "Türe bitte gleich wieder zumachen", ruft er, sobald jemand rein kommt. Sein Kollege bringt ihm die Proben der abgelieferten Schnäpse und Kohler misst mit einer Spindel ihren Alkoholgehalt.
"Das war schon was"
Seit 24 Jahren fährt Kohler für die Deutsche Edelbranntwein an vier Tagen die Woche mit Kollegen durch Baden-Württemberg und sammelt Alkohol ein. Im Januar wird er arbeitslos sein, wie alle anderen Mitarbeiter der Edelbranntwein. "Das ist eine EU-Sache. Hätte man nicht verhindern können", sagt Klaus Kohler, und das soll wohl abgeklärt klingen. Doch wie sehr er seinen Job vermissen wird, das hört man daran, wie er über ihn erzählt. Wie er herumgekommen ist und dass es im Sommer am Bodensee immer besonders schön war. Über Schnaps komme man ins Gespräch, da drängen sich auch dauernd Witze auf. "Das war schon was", sagt Kohler.
Wo er künftig sein Geld herbekommen soll, weiß er nicht. Das Arbeitsamt hat ihm vorgeschlagen, sich in dem neuen Lager von Amazon in Pforzheim zu bewerben. Doch über die Arbeit bei Amazon hat er im Fernsehen einen Bericht gesehen. Für wenig Geld schwere Pakete stapeln und sich die letzten Jahre noch selbst verheizen? Einen Job zu finden, sei leicht. Das Problem sei, einen zu finden, der zum Leben reicht.
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