Viele Künstler*innen arbeiten auf Leinwänden, Turboanime bevorzugt digitale Motorhauben. Hinter seinen Animemädchen-Folierungen für Rennspiele steckt eine reale Tuningkultur aus Japan.
Er ist eine Ikone im japanischen Rennsport: 2008 tritt bei der Turnierserie Super GT in Japan ein knallbunter BMW Z4 an, den der virtuelle Popstar Hatsune Miku ziert. Das Siegertreppchen bleibt seinen Fahrern verwehrt, dafür machen sie Schlagzeilen mit einem der ersten "Anime-Autos" bei einem internationalen Wettbewerb.
Zwei Meisterschaftstitel später ist der BMW heute als Miniatur verewigt und eines der bekanntesten Beispiele einer nischigen Fankultur. Dank Künstler*innen wie Turboanime existiert die auch in Videospielen. Hauptsächlich in Forza Horizon, aber auch in Need for Speed oder Gran Turismo designt er unter dem Pseudonym digitale Sportwagen voller Animemädchen für ein potenzielles Millionenpublikum und bringt Itasha, eine echte Tuning-Subkultur aus Japan basierend auf mit Anime-Charakteren folierten Sportwagen, damit über Videospiele in den Mainstream.
Mit Need for Speed zum Künstler
Dabei hat sein Hobby zunächst wenig mit Anime zu tun. "Ich war schon als Kind interessiert daran, Designs für Autos in Videospielen zu entwerfen", erklärt Turboanime. Damit beginnt er 2006 in Need for Speed: Carbon. Eine künstlerische Ausbildung hat er nicht und verzichtet anfangs auch auf Hilfen wie YouTube-Videos. Lieber lernt er autodidaktisch.
Erst elf Jahre später, mit Veröffentlichung von Forza Horizon 3, nimmt seine heutige Arbeit Form an. "Ich hatte gerade Anime für mich entdeckt, via der Serie Hyperdimension Neptunia", meint Turboanime. "Ich dachte, es wäre cool, dazu etwas für meine Freund*innen und mich zu gestalten." Den Designs der Charaktere Nepgear, Uni, Rom und Ram folgt positives Feedback, danach konzentriert sich Turboanime aber wieder auf reguläre Lackierungen.
Das ändert sich 2018, als er den Anime zum Franchise Love Live! beginnt. "Ich wollte wieder loslegen, um einen meiner Lieblingscharaktere auf einem Nissan 350Z zu sehen. Designs dazu gab es in Forza Horizon 3 nämlich nicht", erinnert sich Turboanime. "Und kurz darauf bemerkte ich, dass sich auch andere Leute in Forza für meine Designs interessierten."
Übersetzt bedeutet Itasha, auf dem die Designs von Turboanime zählen, "schmerzhaftes Auto" - schmerzhaft für die Geldbeutel ihrer Besitzer*innen, schmerzhaft für die Augen aller anderen, so die geläufige Interpretation. Der Begriff entstammt einer japanischen Tuningkultur um Folierungen mit fiktiven Mädchen oder Frauen, die wiederum aus der Otaku-Fankultur wächst.
Die Wurzeln der Itasha-Kultur gehen in die 1980er-Jahre zurück. Wegen günstigerer Folien, der besseren Verfügbarkeit bunter Sticker und der popkulturellen Beschleunigung durchs Internet blüht sie aber erst zwei Dekaden später auf, mit Tokio als Epizentrum. Dort tauchen 2005 bei der Mangamesse Comiket 68 die ältesten dokumentierten Itasha auf; 2007 findet ebenfalls in Tokio mit Autosalone die erste Itasha-Convention statt. Gleichzeitig bietet Forza Motorsport 2 dank einem umfangreichen Vinyl-Editor der jungen Szene eine erste globale Bühne. Die reicht mittlerweile sogar bis nach Deutschland. Seit 2016 findet eine Itasha-Ausstellung auf der Düsseldorfer Anime- und Mangamesse DoKomi statt.
Turboanime weiß von der Kultur, setzt sich aber erst nach mehreren digitalen Itasha mit ihr auseinander. "Ich wollte herausfinden, wie ich mich noch verbessern kann", erklärt er. Der hohe Selbstanspruch zieht sich durch jedes seiner Projekte, die mit gründlicher Recherche beginnen. "Ich möchte erstmal mehr über die Interessen eines Charakters lernen. Manchmal schaue ich auch nach ihrem Herkunftsort."
Damit das Design die jeweilige Figur bestmöglich widerspiegelt, sucht er anschließend einen passenden Wagen. "Für einen eleganten Charakter würde ich zum Beispiel einen Audi R8 oder Aston Martin Vintage wählen. Ein beliebiges Auto käme nicht infrage. Auch, weil das Modell natürlich das Design beeinflusst." Für Love-Live-Sängerin Yoshiko Tsushima gestaltet er etwa einen grauen Mazda RX-8 samt schwarzer und dunkelroter Akzente, der ihre Lieblingsfarbe oder den Look einiger Kostüme einfängt.
Wie lang Turboanime an einem Itasha arbeitet, hängt von der Vorlage ab. "Grundsätzlich bräuchte ich wohl sieben bis zwölf Stunden, würde ich sie in einer Sitzung durchziehen", rechnet er. Realistischer seien zwei bis drei Tage, weil er Pausen einlegt und nicht ganztägig auf Bildschirme starren möchte. "Ich arbeite aber meist an zwei Vorlagen, eine für jede Seite. Mit Details, Logos oder Hintergründen dauert es ungefähr eine Woche."
Warum ein Itasha so viel Zeit beansprucht? "Es ist alles Handarbeit", betont Turboanime. Seit Franchisebeginn dürfen Nutzer*innen in Forza Motorsport und Horizon keine eigenen Bilder hochladen - anders als etwa in GT Sport. Der Vinyl-Editor gibt stattdessen geometrische Formen und Symbole vor, die Turboanime auf durchschnittlich 2.000 Ebenen zu Animefiguren oder Logos kombiniert. Er seufzt: "Das ist genauso umständlich, wie es klingt. Deshalb wird nicht jedes Design 100-prozentig wie die Vorlage aussehen."
Das jüngst veröffentlichte Third-Party-Programm Forza Painter für Forza Horizon 4 und 5 umgeht diese Hürde, indem es Bilddateien in Vinylgruppen umwandelt. Die Forza-Nutzungsbedingungen verbieten jedoch externe Software, wenn auch nur zwecks unfairer Vorteile im Spiel. Ob solche kreativen Hilfen in Zukunft offiziell erlaubt werden und Spieler*innen keine Banns mehr befürchten müssen, bleibt vorerst unklar.
Turboanime sieht allerdings ohnehin keinen Wert in einem Programm, das das Bild einfach in "sichtbar schlechterer Qualität" nachzeichne, sondern würde eine Möglichkeit zum freien Zeichnen begrüßen. "Ich kenne genug Leute, die die Formen wirklich nicht mögen", merkt er an. Zudem hofft er auf Ebenen mit anpassbaren Materialien. "In vielen Need for Speed-Spielen kann man zum Beispiel zwischen Chrom-, Glas- oder Mattfinish wählen. Das würde sicherlich enorm helfen."
Trotz seiner Liebe für Handarbeit habe Turboanime Verständnis für Menschen, die Teil der Design-Community sein möchten, aus Zeitmangel aber externe Software nutzen. Dabei seien aufwendige Designs wie ein knallbunter Hatsune-Miku-BMW nicht mal Pflicht. Nach über 15 Jahren Erfahrung und als mehrfacher Sieger von Design-Wettbewerben in Forza Horizon weiß er: "Das Geheimnis eines richtig guten Itasha ist: Es gibt keins. Selbst die simpelsten können schön aussehen, solang du dich bemühst. Wenn du am Ende selbst damit zufrieden bist, dann hast du ein gutes Itasha-Design."
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