Der Videospiel-Printjournalismus kennt bessere Tage. Noch bis in die frühen 2000er-Jahre füllt eine schier endlose Auswahl an Videospielmagazinen die Zeitschriftenregale von Kiosken und Supermärkten, heute sitzt er auf einem sterbenden Ast: Die Auflagengrößen schrumpfen zunehmend, die eingestellten Magazine überschatten die noch erhältlichen.
Der wahrscheinlichste Grund? Der rapide Aufstieg des Internets, durch den sich Spieler:innen gezielter und vor allem kostengünstiger über ihre Lieblingstitel informieren können, sei es durch Podcasts, Let's Plays oder dedizierte Communitys auf Reddit oder Discord.
Davon lässt sich Michal Hejzner nicht abschrecken: „Uns ist natürlich bewusst, dass wir an die goldenen Zeiten von damals nie herankommen werden. Unser Magazin bleibt in der Nische, aber damit können wir gut leben." Er ist Web- und Grafikdesigner sowie Designer und Gründer der Games Inside (GAIN), ein unabhängiges Magazin über Spielekultur, das viermal jährlich digital und physisch erscheint.
Am Anfang stand „Doom"Mit Printmagazinen haben die Ursprünge der GAIN nur bedingt zu tun. 2014 betreibt Hejzner einen Online-Shop für Videospiele und startet parallel einen Games-Blog, der wiederum Kund:innen anziehen soll. „Zu Beginn war der noch klein, doch das Team wuchs schnell auf drei Mitglieder heran", erinnert er sich. Nur ein Jahr später schließt der Shop, Amazon und Co. sind zu mächtig.
Der Blog bleibt aber, so wie der Wunsch, über Spiele zu schreiben. Im folgenden Jahr wächst das Team auf insgesamt sechs Mitglieder und mit ihm der Gedanke, in Kleinauflage ein Printmagazin zu veröffentlichen, das sich mit Spielekultur auseinandersetzt und obendrein hochwertig aussieht. Inspiration schöpft der Grafikdesigner von einem Videospielklassiker: „Ich setzte mich hin und skizzierte schnell einen ersten Entwurf mit ‚Doom' auf dem Cover. Das Printmagazin war geboren."
Spielekultur statt SpielekonsumSchnell fällt der Blick auf die baldige Konkurrenz. „Als wir das Printmagazin starteten, haben wir uns etliche Magazine am Markt angesehen und überlegt, was wir besser machen müssen", erklärt Hejzner. Grundsätzlich gefallen dem Team die Reportagen, „von denen es aber leider immer zu wenige gab." Stattdessen sehen sie häufig kleinteilige Analysen von Exklusivtiteln, gestreckt über mehrere Seiten. Zwar denkt Hejzner, diese Art der Berichterstattung habe ihre Berechtigung, in der GAIN soll sie aber nicht vorkommen: „Wir wollten unbedingt in Richtung der Spielekultur gehen."
Konkret heißt das: Mit Personen aus der Branche zu sprechen, Features über die Industrie zu schreiben oder Artikel über die thematischen und ästhetischen Potenziale von Games anzubieten. So enthält Ausgabe 13, erschienen im März 2020, etwa Texte über die Propaganda in der Shooter-Serie „Wolfenstein" oder ein Interview mit Jörg Friedrich, Designer des antifaschistischen Weltkriegsspiels „Through the Darkest of Times".
Daneben finden sich auch Spielereviews in der GAIN, allerdings ohne die in Fachzeitschriften verbreiteten Zahlenwertungen. Als Grund nennt Hejzner: „Wir betrachten Videospiele nicht als eine Art von Produkt, die nach ‚Stiftung-Warentest-Manier' besprochen werden muss, sondern als Kunst." Somit richtet sich die GAIN primär an Enthusiast:innen, für die Videospiele mehr als der nächste Toaster sind. Hejzner ist dennoch überzeugt, sein Magazin eigne sich auch für unerfahrenere Leser:innen mit Wissenshunger. „Wir versuchen, den Einstieg so einfach wie möglich zu machen und achten darauf, dass die Artikel nicht in wissenschaftliche Essays abdriften."
Für die GAIN geht es aufwärtsTrotz aller Widrigkeiten liegt mittlerweile die 17. Ausgabe der GAIN aus. Der risikobehaftete Plan und auch das Streben nach einem wertigen Produkt waren erfolgreich. 2019 gewinnt die GAIN den German Design Award, 2020 wird sie erneut nominiert. Auch in der Redaktion geht es aufwärts. Sie besteht inzwischen aus zwanzig Mitgliedern aus allen Ecken Europas und organisiert sich komplett online. „Das klappt sogar erstaunlich gut", freut sich der Designer.
Noch ist ihre Arbeit ehrenamtlich. „Das wollen wir aber künftig ändern und arbeiten hart daran", versichert der Magazingründer und fährt selbstbewusst fort: „Ich finde, wir haben ein tolles Produkt, nun geht's darum, es am Markt bekannter zu machen." Damit das gelingt, sind Werbemaßnahmen geplant; gleichzeitig finden Gespräche mit Veranstalter:innen statt, um der GAIN Präsenz bei Online-Festivals zu verschaffen.
Nicht nur mehr Leser:innen sind gewünscht, auch für weitere Redakteur:innen ist noch Platz, um neben Essays und Reviews mehr Reportagen, Interviews und Porträts anbieten zu können. Strenge Anforderungen müssen Interessierte nicht erfüllen. Wichtig sei nur folgendes: „Wir sind immer auf der Suche nach Leuten, die einen interessanten Blick auf Videospiele werfen und das niederschreiben können", resümiert Hejzner. Außerdem sollten Bewerber:innen weltoffen sein und mit dem Team harmonieren. Denn: „Wir wollen einfach gemeinsam Spaß haben und an einem tollen Produkt arbeiten. Viel mehr ist es bei uns auch nicht", sagt er lachend.
Und doch ist viel mehr geplant. Unter anderem der Podcast „GAIN Insight", in dem die Redaktion Themen aus der jüngsten Ausgabe bespricht, ein neues Videoformat oder eine generalüberholte Website. Es scheint also gut zu laufen für die GAIN. So gut, dass das Magazin womöglich in den kommenden Jahren bestehen bleibt - selbst im Angesicht des strauchelnden Gaming-Prints.