„Adios" nimmt sein Ende vorweg. Das macht der selbsterklärende Name klar und auch die ersten geschriebenen Worte. „Sag ihm, es ist vorbei", steht auf einer sonst leeren Doppelseite im Notizbuch des namenlosen Protagonisten. Gemeint ist seine Arbeit für die Mafia. Der Farmer verfüttert Leichenteile an seine Schweine und wird dafür vergütet.
Verlassen kann er den Vertrag nur auf einem Weg: im Leichensack. Das weiß er, das weiß sein langjähriger Freund, ein Auftragskiller bei derselben Mafia. Gemeinsam verbringen sie einen letzten Tag auf der Farm, melken Ziegen, schaufeln Mist oder schießen Tontauben aus dem Himmel. Unzufrieden muss der Killer mit jeder weiteren Minute feststellen, dass nur er am Ende des Tages die Farm lebendig verlassen wird.
Die Entscheidung steht festIn vielen storyfokussierten Games dürfen Spieler:innen aus verschiedenen Dialogoptionen wählen, die den Handlungsverlauf beeinflussen sollen. „Adios" widersetzt sich dieser Konvention. Das Game handelt von einem Mann, dessen Leben von Verlust gekennzeichnet ist und dessen Reue nicht bei seinem unmoralischen Job endet. Über ihm schwebt die Frage, ob der Tod ihn noch retten könne. Spieler:innen dürfen und sollen darüber nicht bestimmen, sondern ihm nur zuhören. Entscheidungsfreiheit lässt „Adios" lediglich bei der Reihenfolge der Stationen auf der Farm. Ob Spieler:innen aber zuerst über Getränkeautomaten reden oder das Pferd des Farmers füttern, beeinflusst nicht den Ausgang der Geschichte.
Ganz verzichtet „Adios" jedoch nicht auf Dialogoptionen. Gelegentlich bietet es verschiedene Antworten an, verbietet aber eine Auswahl. Der Blick in die Gedanken des Farmers ist gestattet. Doch wenn er die Worte nicht über seine Lippen bekommt, dann soll sie niemand für ihn aussprechen dürfen. Auch hier stellt der Titel seine Spieler:innen an die zweite Stelle.
Diese Verbindung von Inhalt und Präsentation zeigt sich ebenso im Raum. Das Gelände mit seinen Schweinen, Misthaufen, Schuppen und reparationsbedürftigen Autos wirkt wie ein eigener Mikrokosmos. Hier isoliert sich der Protagonist von einer Welt, die sich ihm zunehmend entfremdet. So sinniert er etwa über die gigantische amerikanische Kastanie in seinem Garten, einst eine weitverbreitete Baumart in den USA, deren Population ein Pilzbefall an den Rand des Aussterbens trieb. Die Farm scheint einer der wenigen sicheren Orte für ein lebendes Relikt der Vergangenheit zu sein - das gilt für den Baum wie für den Farmer.
Wie kurz ist zu kurz?Mit nur 60 bis 90 Minuten Länge ist „Adios" ein kurzes Spiel, sowohl verglichen mit Triple-A-Produktionen als auch mit anderen Indie-Games. Die Frage drängt sich auf, ob es nicht zu kurz sei. Schon vor elf Jahren diskutierten Spieler:innen öffentlich über die optimale Länge von Games. Erfahrungsgemäß steht dabei eine Kosten-Nutzen-Rechnung im Vordergrund: Welches Spiel bietet den meisten Inhalt für den niedrigsten Preis? Aus dieser Perspektive könnte „Adios" mit seinem Preisschild von 17,99 Euro abschrecken. Ein „Hollow Knight" bietet im Schnitt über 50 Stunden Unterhaltung für einen (minimal) niedrigeren Preis.
Dieser Ansatz unterschlägt jedoch, wie lang ein Medium überhaupt sein sollte. Die Frage muss sich ein Game mit einer Spielzeit im dreistelligen Bereich genauso sehr gefallen lassen wie ein Film mit einer Laufzeit von über drei Stunden. Denn nicht selten verlaufen sich Werke mit drastischer Überlänge in Geschwätzigkeit. Auf „Adios" trifft das nicht zu. Sobald die Credits über den Bildschirm flimmern, hat das Spiel gesagt, was es sagen muss. Dann grunzen Schweine leise im Hintergrund.
Erhältlich für: PC, Xbox One, Xbox Series X/S