Wenn Bodo Ladwig (60) von der Juninacht vor einem Jahr erzählt, merkt man immer noch die Anspannung. Von der Nacht, in der sich Erdmassen unter dem Druck des Wassers aufbäumten, ganze Landstriche verwüstet wurden und die Flut sein Dorf verschlang. Ladwig ist Bürgermeister des Ortes, der während der Hochwasser-Katastrophe 2013 traurige Berühmtheit erlangte. Fischbeck.
Während er erzählt, holt er einen Zettel aus der Tasche. Darauf: die schreckliche Bilanz der Flut vom 9. auf den 10. Juni. 80 Millionen Euro Schaden, 192 Häuser wurden im Ortsteil Fischbeck geflutet und schwer beschädigt. 12 mussten bislang abgerissen werden. Auf acht weitere wartet der Abrissbagger. Viele Familien verloren in der 700 Einwohner großen Ortschaft ihr gesamtes Hab und Gut.
Ladwig erinnert sich. Es war der Freitagabend, zwei Nächte vor der Katastrophe während einer Bürgerversammlung. Damals hieß es noch: Die Deiche sind sicher. Ein fataler Irrtum, wie sich wenige Stunden später herausstellte.
Geschlafen hatte Ladwig in dieser Zeit sowieso kaum. Jeden Abend fuhr er zum wenige hundert Meter entfernten Deich. Als auf der einen Seite das Wasser bereits bis zur Krone stand, versuchten auf der anderen noch immer Dutzende Personen mit Sandsäcken den Hang zu verstärken.
Doch vergeblich. Am Sonntag bekam Ladwig den schockierenden Anruf: Risse sind gesichtet worden! Das Technische Hilfswerk wurde verständigt, die Bundeswehr rückte an und Großalarm wurde ausgelöst. Der 60-jährige bereitete mit den Einsatzkräften die Evakuierung seines Ortes vor - der Deich sei nicht zu halten. Ladwig: „So etwas hatte ich noch nie gesehen! Ich konnte beobachten, wie die Risse sekündlich von einigen Zentimetern auf mehrere Meter anwuchsen."
In der Nacht zum Montag musste sie sich dann den Wassermassen ergeben. In letzter Sekunde sprangen die Einsatzkräfte vom Deich - bevor dieser plötzlich brach. Binnen Sekunden schossen Tausende Kubikmeter Wasser in Richtung Ortschaft. Die Flut sprengte Gartentore, drückte Haustüren ein, zerschoss Kellerfenster und riss Häuserteile mit sich.
Einige Anwohner lassen die Geräusche in jener Nacht bis heute nicht los. Viele berichten von den hilflosen Schreien der Rehkitze in den Feldern, die vom heranrollendem Wasser verschluckt wurden.
„Seit fast 14 Jahren bin ich jetzt hier Bürgermeister. Ich habe die Flut 2002 mitgemacht und noch fünf weitere Hochwasser. Immer hat der Deich gehalten. Doch diesmal war es zu viel." Grund für den Bruch: Der Deich besaß keine Berme (zusätzliche Aufschüttung am Deichfuß zur Stabilisierung). Mit der Sprengung von Lastkähnen wollte man das Loch stopfen.
Ein Jahr später erinnert nur noch wenig an die gewaltige Zerstörung. Das Loch ist geflickt, beide Seiten sind trocken. Die Landesregierung versprach den Bau eines neuen Deiches - mit Berme. Die Bugspitze des gesprengten Kahns soll darin eingegraben werden. In einigen Straßen wird noch gebaut, in andern stehen schon wieder neue Häuser. Und das versprochene Geld vom Staat? Zwölf Milliarden Euro Schaden hatte die Flut 2013 bundesweit verursacht. Acht Milliarden Euro Soforthilfe hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel versprochen.
Geld fließt - auch in Fischbeck. Aber alles unbürokratisch? „Wohl kaum!", beschwert sich Ladwig. Von 71 Anträgen wurden bisher gerade mal zehn bewilligt. Oft werden vom Amt „Formfehler" bemängelt, Anträge müssen nachbearbeitet werden. Antragsprüfer ist die Investitionsbank Sachsen-Anhalt. Sprecher Hergen Tantzen: „Man darf nicht vergessen, dass es sich bei der bereitgestellten Summe um Steuergelder handelt, die einer gewissen Prüfung bedürfen."
Auch ärgert Ladwig sich über das pietätlose Verhalten vieler Versicherungen, die unmittelbar nach der Flut einige Familien drängte, schnelle Erklärungen zu unterzeichnen, um die Sache möglichst rasch abzuhaken.
Freude bereitet Ladwig jedoch die Hilfe vieler normaler Bürger. Neben etlichen Spenden (Gesamtzahl für Fischbeck: etwa 550 000 Euro) packten Hunderte Menschen in den Tagen der Katastrophe mit an. Pfingsten gab es dafür ein Dankfest. Als einige Bundestagsabgeordnete davon erfuhren, bekundeten sie ihr Anwesenheitsinteresse. „Das wollte ich aber nicht" betont er. „Es sollte ein Dankfest für die Menschen sein, die uns im Moment der größten Not geholfen haben."
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