Ungesunder Lebenswandel, schlechte Ernährung und erbliches Risiko sind gut dokumentierte Ursachen für die Versorgungsstörung im Gehirn. Weniger gut studiert sind Infektionen, die diesem Ereignis vorausgehen. Auf harmlosen Schnupfen folgt eventuell ein tödlicher Hirninfarkt.
Diese Schlagzeile könnte Kinderärzten und Eltern Angst machen: „Erkältungen können bei Kindern Schlaganfall ‚triggern'". Die Nachricht bezog sich auf eine Studie von Heather Fullerton und ihren Kollegen von der University of California. Sie hatten sich aus der Datenbank einer großen amerikanischen Versicherungsgesellschaft Kinder mit Schlaganfall herausgesucht und sie im Hinblick auf „harmlose" Infektionen - also nicht etwa Sepsis oder Meningitis - angesehen. Rund zehn Prozent dieser Kinder mit einer arteriellen Ischämie waren in den letzten drei Tagen vor dem Schlaganfall wegen infektiösen Atemwegsbeschwerden in Behandlung. Im Vergleich dazu erkrankten im gleichen Zeitraum zwölf mal weniger Kinder ohne Schlaganfall an ähnlichen Infektionen.
Auch wenn der Zusammenhang signifikant ist, gibt Lars Marquardt von der Universität Nürnberg-Erlangen im Kommentar zu der Studie in „Neurology" vom Sommer letzten Jahres Entwarnung: „Kleinere Infektionen bei Kindern kommen recht häufig vor, während ein Schlaganfall glücklicherweise sehr selten ist. Eltern sollten sich daher bei einer harmlosen Erkältung keine Sorgen machen." Über ein ganzes Jahr bezogen hatten Kinder mit einer solchen Infektion kein erhöhtes Risiko.
Grippeimpfung gegen SchlaganfallWie ein Autorenteam von der Harvard University und dem amerikanischen National Institute of Health in einem aktuellen Lancet-Review schreibt, haben rund ein Drittel aller Schlaganfall-Patienten keine ersichtlichen zerebrovaskulären Risikofaktoren, was möglicherweise auf eine infektiöse Beteiligung hinweist. Tatsächlich zeigen etliche Untersuchungen, dass eine systemische Infektion bis vier Wochen vor einem Schlaganfall das Risiko verdoppelt oder es gar bis auf das Vierzehnfache erhöht. Bei Atemwegsinfektionen liegt es in den ersten drei Tagen etwa beim Dreifachen der Kontrollgruppe. Ähnlich sieht es bei unwillkommenen Mikroorganismen im Harnwegstrakt aus.
Entzündung sorgt für verstopfte GängeOft werden jedoch weder der spezifische Erreger genau bestimmt, noch die Art des Schlaganfalls - hämorrhagisch oder ischämisch - dokumentiert. In den meisten Fällen setzt die Infektion eine Entzündung in Gang. In den Gefäßen kommt es dann zur Ausschüttung von Zytokinen oder möglicherweise auch zu einer Proliferation der glatten Muskelzellen. Auch die vermehrte Aggregation von Thrombozyten könnte das Resultat einer vorangegangenen Infektion sein. Diese Mechanismen sind jedoch mangels beweiskräftiger Daten vorerst noch spekulativ.
Endokarditis, Meningitis oder Neuro-LuesIn mittleren und großen Gehirnarterien zeigen sich oft Entzündungen, die besonders bei jungen Erwachsenen zuweilen Folge einer Neurosyphilis sind. Oft haben gerade diese Patienten keine anderen typischen Schlaganfall-Risikofaktoren. Entsprechend einer US-Studie liegt das Infarktrisiko bei der Neuro-Lues bei rund zehn Prozent.
Viren, Hefen und ParasitenHefen als Abszessbildner im Gehirn können schließlich ebenso wie Parasiten zum Zusammenbruch der Versorgung einzelner Gehirnareale führen. Auch Bandwürmer können sich dort niederlassen. Die lokale Entzündung löst den Schlaganfall aus. Vor allem bei Kleinkindern tritt eine ZNS-Form der Malaria auf, die in einem Fünftel der Fälle tödlich endet.
Antibiotika und GerinnungshemmerErhärten sich die Hinweise auf eine Infektion, kommt zur Präventionstherapie für den drohenden Schlaganfall noch eine antimikrobielle Behandlung dazu. Vielfach ist die Mortalität von Gehirninfarkten bei einer infektiösen Meningitis noch um das Vielfache erhöht. Schnelle Identifizierung der Erreger und deren Vertreibung steigert damit die Chancen für den Patienten.
„Mikrobieller" Schlaganfall: Tendenz steigendRund 85 Prozent aller Schlaganfälle ereignen sich in unterentwickelten Ländern, in denen schwere Infektionen zum „Alltagsgeschäft" der Medizin gehören. Gute Studien zur Rolle von Mikroben beim Schlaganfall beziehen sich dagegen zum allergrößten Teil auf die Industriestaaten. Mit zunehmender Migration, so prophezeien Epidemiologen, dürfte die Zahl der Schlaganfälle mit infektiösem Hintergrund ansteigen. Bei noch immer zunehmender Anzahl an HIV-infizierten oder Patienten mit immunsuppressiver Behandlung ist das Risiko zusätzlicher Infektionen besonders groß. Damit steigt auch der Aufklärungsbedarf über den Zusammenhang zwischen Infektion und Schlaganfall, um den Gehirninfarkt als einen der häufigsten Todbringer zurückzudrängen.