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Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu errichten

„Euer Flughafen, auf dem wir heute gelandet sind, ist ein bisschen alt. Vielleicht solltet ihr einen neuen bauen!" Die Pointe saß. Und das Publikum im Berliner BKA-Theater, das zum Auftritt des Wiener Duos Christoph & Lollo gekommen war, lachte an der dafür vorgesehenen Stelle. Warum auch nicht, denn längst gehört der Flughafen Berlin-Brandenburg (BER), der noch immer nicht eröffnet wurde, zur Berliner Identität. Sogar ein eigenes Witzgenre gibt es - etwa auf Postkarten mit dem abgewandelten Mauer-Zitat von Walter Ulbricht: „Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu errichten."


„Es ist immer noch möglich, 2016 den Bau zu beenden und 2017 zu fliegen", sagte Berlins Regierender Bürgermeister, Michael Müller, vor rund zwei Wochen nach einer Sitzung des BER-Aufsichtsrats. Mit der Einschränkung, dass er sicher nicht um vier Wochen streiten werde. Eine Hintertür, um auch einen Eröffnungstermin 2018 schon einmal vorsichtig anzudeuten. Doch, so hieß es, man wolle den Druck im Kessel lassen. Oder eine weitere Blamage noch ein wenig hinauszögern. Dass die dazu für 13 Uhr angesetzte Pressekonferenz erst kurz vor halb vier begann, passte da gut ins Bild.


Brandschutzanlage. Es hätte so schön werden können am 3. Juni 2012. Viele Reisende hatten bereits ihre Tickets für den Tag, an dem sie als Erste den neuen Flughafen im Echtbetrieb ansteuern wollten. Seit Monaten waren Komparsen auf dem Gelände unterwegs gewesen, hatten den Flughafen im Probebetrieb getestet. Koffer wurden aufgegeben, Boardingkarten ausgestellt und Sicherheitschecks durchgeführt. Nur geflogen wurde noch nicht. In Zeitungen wurden schon freudige Ausblicke auf die Eröffnung gebracht. Doch dann kam Dienstag, der 8. Mai.


Da verkündete die Betreibergesellschaft auf einer Pressekonferenz, dass sich der Termin nicht halten lasse. Die Sicherheitsanlagen für den Brandschutz, so hieß es, hätten noch nicht den Reifegrad gehabt, der eine Abnahme erlaubt hätte. Von mehreren Wochen Verspätung war die Rede, später von August oder September.


Es war nicht das erste Mal, dass die Eröffnung nach hinten verlegt worden war. Nur war man vorher noch nie so nahe am offiziellen Start gewesen. 2002 hatte man einen Beginn im Jahr 2008 vorgesehen. Als 2003 die private Finanzierung der Arbeiten scheiterte, wurde das Projekt von öffentlicher Hand weitergeführt. 2006 erfolgte schließlich der Spatenstich, im November 2011 sollte eröffnet werden. Doch die Pleite einer Planungsfirma und verschärfte Sicherheitsbedingungen sorgten im Juni 2010 dafür, dass man diesen Termin nicht halten konnte und nun der 3. Juni 2012 angepeilt wurde.


Auf dieses Datum war schließlich alles ausgerichtet. Der bisherige Hauptflughafen in Tegel sollte obsolet werden, der Flughafen Schönefeld sollte im neuen BER aufgehen. Den alten Flughafen in Tempelhof hatte man schon im Oktober 2008 geschlossen. Zwei Flughäfen, die 2012 bereits hätten eingemottet werden sollen, tragen also seit vier Jahren die gesamte Last, die eigentlich der neue Flughafen tragen sollte. Der Luftverkehr in der deutschen Hauptstadt wächst noch dazu seit 13 Jahren in Folge rasant an, vergangenes Jahr verzeichnete man in Berlin 29,53 Millionen Passagiere, 2016 sollen es mehr als 30 Millionen sein.


Während also die Fluggäste durch die altersschwachen Terminals von Tegel und Schönefeld gelotst werden, wird am BER weitergebaut. Wobei es zunächst erst einmal darum ging, das komplette Ausmaß der Probleme zu erheben. Und das war größer, als es die Verantwortlichen rund um die Absage der Eröffnung absehen konnten. Da kam etwa heraus, dass manche Rolltreppen zu kurz waren, in der unterirdischen Betankungsanlage teilweise Rohrstücke nicht ineinanderpassten, die Gepäcksanlage nicht funktionierte, die Kühlaggregate der IT zu schwach waren, in einigen Treppenhäusern die Treppengeländer unvollständig montiert waren, die Notstromversorgung nicht funktionierte - und dann war da eben auch noch der Brandschutz.


16.000 Brandmelder, mehr als 50.000 Sprinklerköpfe, 3400 Klappen in kilometerlangen Zu- und Abluftkanälen, 81 Ventilatoren - es ist ein komplexes System, das in dem Terminal mit 320.000 m Bruttogeschoßfläche installiert wurde. Nur funktionierte es nicht. Manche Teile waren etwa ohne Zulassung des TÜV verbaut worden. Als dann im April 2012 klar wurde, dass die Entrauchungsanlage bis zum Eröffnungstermin nicht bewilligt werden würde, erwog man sogar, 700 Hilfsarbeiter zu engagieren, die im Notfall die Türen händisch öffnen sollten. Eineinhalb Jahre nach der geplatzten Eröffnung war schließlich klar, dass die gesamte Anlage fehlerhaft geplant war. Unter anderem sollte bei Bränden Rauch nach unten abgepumpt werden - wider die Regeln der Physik, nach der heiße Gase aufsteigen.


Kein Ingenieur. Als wäre das nicht genug, kamen dazu Korruptionsvorwürfe, Personalwechsel und weitere überraschende Erkenntnisse - so stellte sich etwa bei einem Explaner heraus, dass er gar kein Ingenieur war, sondern nur technischer Zeichner. Die Politik schob Verantwortungen hin und her - der damals Regierende Berliner Bürgermeister, Klaus Wowereit, legte 2013 sein Mandat als Aufsichtsratsvorsitzender zurück, nahm es nach dem Rückzug seines Nachfolgers, Matthias Platzeck, aber wieder an, ehe er Ende 2014 komplett zurücktrat.


Wäre es mittlerweile nicht einfacher, Berlin komplett abzubauen und neben einem funktionierenden Flughafen wieder aufzubauen? Scherze wie diese tauchten auf, nachdem der geplante Eröffnungstermin immer wieder nach hinten verlegt wurde. Der wahre Kern hinter dem Scherz: Es ist leichter, etwas von Grund auf neu zu bauen, als bei solch einem großen Projekt noch nachträglich massive Änderungen einzuarbeiten. Dass die Komplexität immer wieder unterschätzt wurde, zeigt sich daran, welche Eröffnungstermine im Lauf der Jahre kolportiert wurden. 2013, 2014, 2015, möglicherweise erst 2016 - der aktuelle Stand ist nach wie vor 2017 mit Option auf 2018.


Doch selbst daran gibt es mittlerweile Zweifel. In deutschen Medien wird gern Dieter Faulenbach da Costa als Experte zitiert - der ehemalige Flughafenplaner nannte im April als realistischen Eröffnungszeitpunkt das Jahr 2019, zuletzt bezweifelte er sogar, dass der BER überhaupt jemals eröffnen wird. Weil mit den Umbauten in die Systemarchitektur eingegriffen wurde, sei die Anlage funktionsunfähig. Und zuletzt tauchte ein weiteres Problem auf - dass nämlich das Terminal und der dazugehörige unterirdische Bahnhof nicht voneinander getrennt entraucht werden können. Genau das muss aber möglich sein. Mit zwei zusätzlichen Glastürmen, die eine Verbindung nach außen schaffen, soll dieses Problem gelöst werden. Nun beginnt das Warten, ob diese Lösung auch genehmigt wird. Trennung nach Ehrlichkeit. Es hakt aber längst nicht nur an der Technik - auch die Kommunikation nach außen wirkt alles andere als souverän. So trennte man sich im April von Pressesprecher Daniel Abbou, nachdem der in einem Interview sehr offen über die Versäumnisse am Bau gesprochen hatte: „Kein Politiker, kein Flughafendirektor und kein Mensch, der nicht medikamentenabhängig ist, gibt Ihnen feste Garantien für diesen Flughafen", hatte er unter anderem gesagt.


Sollte der Flughafen 2017 eröffnen, hätte er nach derzeitigem Stand drei Flughafenmanager und drei Aufsichtsratsvorsitzende verschlissen. Die Kosten stiegen - einschließlich zwischendurch beschlossener Erweiterungen - seit dem Spatenstich von zwei auf 5,4 Milliarden Euro. Und ganz abgesehen davon - ein prestigeträchtiges Rennen hat man in jedem Fall schon verloren: Die Hamburger Elbphilharmonie, das zweite deutsche Endlosprojekt, das mit massiven Verzögerungen und Baukostenüberschreitungen kämpfte, feiert im Jänner 2017 ihre Eröffnung.


Geschichte:


1996 fassen Berlin und Brandenburg den Entschluss, einen neuen Flughafen in Berlin-Schönefeld zu bauen.

2002 wird die Grundsatzvereinbarung unterzeichnet, geplanter Start ist 2008.

2006 folgt der Spatenstich, im Juli 2008 wird der Bau des Terminals begonnen.

2010 wird die geplante Eröffnung wegen der Pleite einer Planungsfirma von November 2011 auf den 3. Juni 2012 verschoben.

2012 kommt vier Wochen vor der geplanten Eröffnung der Stopp - im Mai wird März 2013 zur Eröffnung angepeilt. Im September verschiebt man auf Oktober 2013.

2013 gibt es im Jänner eine weitere Verschiebung - frühstens 2014, eventuell erst 2015.

2014 gilt eine Eröffnung vor Herbst 2016 als unrealistisch. Im November tauchen Unterlagen auf, in denen von Mitte 2017 die Rede ist.

2015 tritt der neue Flughafenchef Karsten Mühlenfeld mit dem Auftrag an, bis Herbst 2017 zu eröffnen.

2016 legt sich der Aufsichtsrat im April fest, dass man eine Eröffnung Ende 2017 weiter schaffen will.


("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2016)

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