Eric Hegmann

Chefredakteur, Paarberater, Hamburg

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Artikel

Woran wir in der Liebe scheitern

Warum diagnostizieren sich so viele Menschen als „ beziehungsunfähig" ?


Wie würden Sie Aliens die Liebe beschreiben? Wie würden Sie all die wunderbaren und schmerzvollen Gefühle beschreiben, die mit Liebe verbunden sind? Welche Beispiele würden Sie anführen, welche Bilder malen, welche Geschichten erzählen? Welche Situationen kommen Ihnen in den Sinn?


Wenn Sie eine Antwort gefunden haben, darf ich Sie noch rasch fragen: Ist sie authentisch oder fiktiv? Also haben Sie diese selbst miterlebt oder war es eine Lovestory, die Sie gelesen haben - in wieviel Zeichen auch immer? Auf Instagram? In der Zeitung? Waren Sie dabei? Haben Sie Menschen erlebt, die Ihren - IHREN - Traum von der Liebe leben? Dachten Sie an „Titanic" oder Ihre Eltern? An Ihr erstes Date, Ihre erste Liebe oder an Cinderella?


Seit wir sprechen können, haben wir uns Mythen über die Liebe erzählt. Sie prägten schon immer unsere Vorstellungen vom Beziehungsglück und unsere Erwartungen an den Partner, mit dem dies umsetzbar wäre. Diese Märchen und Legenden übernehmen wir und geben wir weiter. Das ist unbestritten. Geschichten haben Kraft, Lagerfeuer oder Fernseher, wo ist der Unterschied. Neu ist aber die Fülle an Geschichten auf der einen und die Redundanz und Vereinfachung auf der anderen Seite. Drehbücher, Romane, Comics und Songs folgen heute überwiegend einer kommerziell geschuldeten, einheitlichen und lebensfremden Dramaturgie. Liebe, dieses wunderbare Gefühl der Zusammengehörigkeit, ist in Filmen selten mehr als die Zurschaustellung von Sehnsucht und Leidenschaft. Dafür legen Menschen den Gegenwert eines Abendessens in Kinokarten an. Um davon zu träumen, dass die Liebe noch etwas Anderes zu bieten hat als das, was man zuhause erlebt.


Als Disneyfizierung der Liebe bezeichne ich den Effekt der Popkultur auf unsere Art, Partner zu suchen, Beziehungen zu führen und der Liebe eine Gebrauchsanweisung zu schreiben. Wir diskutieren über Fake News, was sie anrichten können. Und setzen unsere Kinder vor „Die Schöne und das Biest", wohl wissend, dass sich im wahren Leben ein gewalttätiges Monster eben nicht durch Aufopferung in einen liebevollen Beziehungspartner verwandeln wird. In Selbsthilfegruppen tauschen sich Opfer von Partnern ohne jegliche Beziehungskompetenz aus, wie sie manipuliert und emotional und auch körperlich missbraucht wurden, weil sie teils jahrelang an die Versprechen glaubten, alles würde gut. Emotionale Abhängigkeiten von ängstlich-verunsicherten Menschen mit vermeidend-abweisenden Narzissten sind in der Paarberatung an der Tagesordnung, während ständig eine neue Fernsehserie einen Protagonisten mit narzisstischen Persönlichkeitsstrukturen zum Standard erhebt.


Was machen Medien aus unserem Verständnis von Liebe? Woher nehmen wir unsere überromantisierte Idee des Beziehungsglücks? Welche Scripte der Popkultur leben wir zuhause nach, unabhängig, ob sie uns glücklich oder unglücklich machen, ja sogar unabhängig davon, ob sie überhaupt lebbar wären? Das sind interessante Fragen, die immer wichtiger werden, je öfter wir über Medienblasen und gesellschaftliche Milieus sprechen. Medien sind auf der Metabene selbst Teil der Berichterstattung geworden, als Lügenpresse und Wahlmanipulation, als Zeitfresser und Bildungsauftrag. „Die Medien" gibt es längst nicht mehr: Jeder kann heute Content liefern und zum Medium oder zur Marke werden, Cinderella-Romane von Self Publishern sind Bestseller, während weltreisende Pärchen zu Instagram-Stars werden durch zur Schau gestelltes Liebesglück. Chatbots beraten Paare und Algorithmen schlagen Singles einander vor.


Wenn die romantische Bewegung aus dem 19. Jahrhundert das Ideal der Liebesheirat begründet hat und dabei immerhin die Tausende Jahre alte Zweckehe schrittweise ablöste, was wird die heutige mediale Rundumversorgung mit ihren Liebesgeschichten Beziehungen verändern? In welchem Tempo? Welche Probleme tun sich auf, wenn auf der einen Seite die Prinzen Angst haben, etwas zu verpassen und andererseits die Prinzessinnen fürchten, nicht zu bekommen, was sie sich wünschen? Wie verändert sich unsere Bindungshaltung durch fehlende reale und zunehmend fiktive Rollenvorbilder?


Als Autor schreibe ich auf, was ich als Paarberater und Single-Coach erlebe. Gerade die professionelle Arbeit mit Singles mache ich in Deutschland länger und mit einem größeren Daten-Pool als viele Kollegen. Denn seit über 12 Jahren unterstütze ich die Partneragentur Parship und helfe Partnersuchenden, erfolglose Muster zu durchbrechen und sich von unrealistischen Hoffnungen zu lösen und seit einigen Jahren helfe ich vermehrt Paaren, deren Blick auf das eigene Liebesglück den Versprechungen der Medieneinflüsse nicht standhalten kann. Ich erlebe hautnah, was Singles und Paare umtreibt, welche Konflikte sie suchen und welche sie vermeiden. Als Autor ungezählter Ratgebertexte rund um Partnersuche und Partnerschaft, Chefredakteur des Online Magazins beziehungsweise gehöre ich selbst zu den Content-Schöpfern, die Beziehungsmodelle vorstellen und Bilder von Liebesglück beschreiben. Ich erlebe die Auswirkungen der Disneyfizierung der Liebe an zwei wichtigen Stellen: Am medialen Anfangs- und dem zwischenmenschlichen Endpunkt.

Ich frage mich, was mit Menschen passiert, deren Partnersuche-Tipps aus „Sex and the City" stammen, deren Beziehungs-Tipps von Instagram-Kalenderweisheiten und deren Sex-Stellungen aus der Pornografie. Wie gelingt es Paaren zwischen Banalisierung der Liebe in romantischen Komödien, einer Timeline voller Marketing und Vermarktung von Beziehungsglück und schließlich der Überdramatisierung von Liebesdramen in gescripteten TV-Formaten das Gespür für echte, nicht fiktionale Gefühle zueinander zu bewahren? Ist das überhaupt möglich? Und wie wird das, wenn sich zur VR Brille der sensorische Ganzkörperanzug gesellt und wir ganz und gar in fiktiven Welten leben - und lieben - können?


Beziehungsglück ist heute das höchste Gut. Lebenslänglich bitte. Wenn die weite Welt bedrohlich wahrgenommen wird, ist die kleine Zweisamkeit das ersehnte Paradies. Sie soll die Konstante sein in einer sich im Breitbandtempo verändernden Welt. Mit dem Tempo der äußeren Veränderungen mitzuhalten belastet den Einzelnen und verstärkt den Druck auf das Paar, das seine gemeinsamen Ziele immer wieder neu definieren soll. Dadurch wächst die Sehnsucht nach dem Ruhepunkt auf dem gemeinsamen Weg. Doch Beziehungen stehen niemals still.


Liebe ist wie das Leben andauernde Veränderung. Es kann also keinen Status Quo geben, der das Glück bewahrt. Einer der häufigsten Sätze in der Paarberatung ist: „Mein Partner hat sich verändert." Die Enttäuschung darüber ist riesig, denn je höher die Erwartung umso tiefer der Fall, wenn sie nicht erfüllt wird. Die Vorstellung von Liebesglück ist häufig nichts weiter als ein Zusammenschnitt von romantischen Szenen im Zeitraffer, hinterlegt mit einem euphorisierenden Popsong. Für viele junge Singles fühlt sich so die Sehnsucht nach Liebe besser an als die Liebe, die in Beziehungen wächst. Sie scheitern an ihren Ansprüchen an sich selbst und ihre Beziehung, erleben so immer wiederkehrende Muster von Enttäuschung und Verletzung und diagnostizieren sich selbst „ beziehungsunfähig".


Liebesbeziehungen werden so zunehmend geprägt von Schutzstrategien, die schmerzhafte Gefühle vermeiden sollen, es entwickeln sich gefährliche Glaubenssätze wie „Ich muss alles richtig machen", die jedoch nur mehr Druck ausüben und letztlich zum Scheitern führen. Wir versuchen ununterbrochen zu Paaren zu werden, die es gar nicht gibt. Wir heilen nach gescheiterten Kennenlernphasen nicht mehr und verbleiben in Misstrauen und Schmerz und entwickeln so schädliche Schutzstrategien, um nicht erst verletzt zu werden, die uns jedoch blockieren und immer wieder erfolglose Muster wiederholen lassen. Wir tauschen den Partner bereits, wenn wir hoffen, wir könnten glücklicher sein mit einem neuen Partner. Wir erlauben uns gar nicht mehr erst, wirklich unglücklich zu werden. Die Angst vor Zurückweisung verändert alle Phasen der Beziehung. Wir verletzen uns mit alten und neuen Dating Phänomenen wie: Ghosting, Benching, Bread Crumbing, Love Bombing oder Hyping.

Aber die Liebe hat immer eine Chance. Wenn wir Veränderungen zulassen und als Möglichkeit zur Verbesserung erkennen, wenn wir unsere Vorbilder künftig besser auswählen und uns weniger beeinflussen lassen, können wir unsere Beziehungen selbst gestalten und unter all den heute möglichen Beziehungsmodellen jenes leben, das uns wirklich guttut. Dann wird das Happy End zum gemeinsamen Weg.

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