Eric Hegmann

Chefredakteur, Paarberater, Hamburg

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Wenn der Wunsch nach Liebe unglücklich macht

Nichts ist schmerzhafter als unerfüllte Liebe. Seit Jahrtausenden suchen Menschen dafür Metaphern: Von Platon über das Bindungsmodell bis zu Dualseelen oder Twinsouls. Manche Modelle jedoch bergen die Gefahr, im Leid gefangen zu bleiben

Platons Geschichte von den Kugelmenschen ist zunächst wunderschön: Die von den Göttern geteilten Kugelmenschen irren solange umher, bis sie ihre Hälfte gefunden haben, um dann mit ihr in Liebe erneut verschmelzen zu können. Das klingt nach einem wundervollen Plan. Wir können davon ausgehen, dass auch das fernöstliche Yin und Yang-Zeichen mit den beiden verschlungenen Halbkreisen von einer solchen Geschichte inspiriert wurde.

In der Liebe werden so zwei Unvollständige wieder vollständig, sie werden wieder eins. Es ist eine Frage der persönlichen Bindungshaltung, ob sich dies wie Verheißung oder Bedrohung anfühlt. Wer Nähe sucht, wird die Idee erstrebenswert erleben, wer Selbstbestimmung sucht, wird flüchten. Die moderne Sicht der Liebe dagegen sieht es ja eher so: Zwei Individuen verbinden sich und schaffen zum Ich und Du noch ein zusätzliches Wir. Dieses Wir ist die Beziehung, die sie führen. Jedes Paar kann diese anders definieren, hoffentlich so, dass beide Partner glücklich werden.


Nun hat jeder je nach Prägung durch die Eltern oder Bezugspersonen und später durch die individuellen Beziehungserfahrungen unterschiedliche Bedürfnisse nach Nähe und Distanz. Jede Beziehung ist deshalb einzigartig. Für manche Paare sind zehn Textnachrichten am Tag gerade ausreichend, für andere genügt eine als Bestätigung der Bindung. Beim Kugelmodell fügen sich die Kontaktflächen der Partner ganz genau ineinander. Beim modernen 1+1=3-Modell bewahren sich die Partner ihre Selbstbestimmung und schaffen zusätzlich etwas Gemeinsames.


Die Bindungstheorie besagt, dass sich geringer Selbstwert in verschiedenen Ausrichtungen zeigt: in aktiver und passiver Bindungsangst, in dem Verlangen, sich Liebe zu verdienen und im Bedürfnis, Anerkennung zu erhalten. Wenn geringer Selbstwert eine Medaille ist, dann sind Verlustangst und Bindungsangst deren zwei Seiten. Die Dynamik, wenn sich solch ängstliche Bindungstypen mit vermeidenden Bindungstypen einlassen, ist immer ähnlich: Auf die Bemühungen des einen Partners reagiert der andere mit Rückzug, das wiederum motiviert ihn, sich noch mehr zu bemühen und das sorgt für noch mehr Rückzug. Bleibt die Anerkennung aus, bemüht sich der vermeidende Partner - und es beginnt von vorne.


Vermutlich hat jeder bereits einmal die eine vielleicht sogar auch die andere Variante erlebt und sich selbst einmal vermeidend und auch einmal ängstlich verhalten. Und jeder hatte bereits einmal das Gefühl, einen ganz besonderen Menschen kennenzulernen, sich ihr oder ihm ganz anders und viel inniger verbunden zu fühlen als mit allen anderen Kontakten zuvor. Viele nennen diese Personen Seelenverwandte, manche nennen sie Dualseelen, Zwillingsseelen oder Twinsouls.


Diese Namen zeigen, wie nah sie dem Gedanken von Platon sind. Diese Bezeichnungen legen aber auch eine Romantisierung des Leids nahe, die sich hinter der Dynamik von aktiver und passiver Bindungsangst verbirgt. In der US-amerikanischen Szene heißen die ängstlichen Bindungstypen „Chaser“, also Jäger oder Verfolger und die vermeidenden Typen „Runner“, die Läufer. Sie ergänzen sich in ihren Bedürfnissen, kommen aber nicht zueinander. In extremen Ausprägungen sprechen Therapeuten sogar von Persönlichkeitsstörungen wie Narzissmus und Borderline. In extremen Ausprägungen führt diese Dynamik zu toxischen und dysfunktionalen Beziehungen, die schwer verletzte Partner zurücklässt, die ohne therapeutische Hilfe oft niemals wieder eine gleichberechtigte Partnerschaft eingehen können. Der Gedanke, der sich hinter Twinsouls, Zwillingsseelen und Dualseelen verbirgt, kann also in emotionale Abhängigkeit führen. Emotionale Abhängigkeit ist ein Suchtverhalten und keine Liebe. Fragen Sie sich: Ist das Liebe – oder bin ich emotional abhängig?

Die Dualseelen-Idee glorifiziert Leid als Liebesideal. Ich habe dazu Stefanie Stahl, Psychotherapeutin und Bestseller-Autorin befragt. Die Spezialistin für Bindungsangst sieht das Problem, dass die Betroffenen auf der Stelle treten, während sie auf ein höheres Prinzip hoffen. „Das ist nur ein Hoffen, es ist kein Wissen und basiert auf keiner realen Basis. Damit geben die Betroffenen ihre Verantwortung ab. Das heißt, sie sind nicht mehr motiviert, ihren eigenen Anteil an dieser Dynamik zu reflektieren“, so Stefanie Stahl. Wenn der Betroffene keine Veränderung sucht, sondern nur immer wieder Bestätigung, wird er unabhängig vom Leid so weitermachen wie bisher.

Bereits in den frühen 90er Jahren wurde der Begriff der passiven Beziehungsverweigerung geprägt. Dahinter verbirgt sich eine nicht bewusste Bindungsangst, die sich dadurch zeigt, dass der Betroffene vor allem nicht erreichbare Partner begehrt, sich für sie opfert, aufgibt – und immerzu Distanz bewahren kann ganz ohne Schuldgefühle. Keinesfalls ist jeder, der von Seelenverwandten oder Dualseelen spricht, betroffen. Doch es lohnt ein Blick, die Gefühle zu hinterfragen, wenn „running“ und „chasing“ als Liebe verkauft werden. Denn ist die vermeintliche Liebe zu einem Partner, der keine Beziehung wünscht, nicht vielmehr Sehnsucht statt Bindung?


Stefanie Stahl gibt regelmäßige Seminare über Bindungsangst. Sie sagt: „Normalerweise sprechen wir in diesem Zusammenhang von aktiver und passiver Bindungsangst: einer flüchtet, der andere rennt hinterher. Wenn man nun dies auf ein esoterisches Prinzip erhöht, versperren wir uns Möglichkeiten, für unser heutiges Leben zu reflektieren, was da gerade geschieht und wir verhindern, dies auf eine gesunde Art und Weise aufzulösen.“


In der Beratungsarbeit und dem Coaching mit Betroffenen aus emotionalen Abhängigkeiten geht es um Glaubenssätze und Wertevorstellungen, die früh entstanden sind und die hinterfragt werden – und verändert – werden können. Dazu gehört, sich dem Widerstand zu stellen, der sich bei manchen Gedanken auftun mag. Glaubenssätze bilden die Struktur unserer Wahrnehmung, sie geben uns Sicherheit, sie sorgen aber auch dafür, dass wir ausblenden oder ablehnen, was sich nicht richtig anfühlt. Viele Glaubenssätze haben wir übernommen, weil sie uns gespiegelt wurden. Aus Sprüchen wie „Du bist nicht wertvoll/schön/brav genug“, kann leicht der Glaubenssatz „Du musst dir Liebe verdienen“, entwickelt werden. Diese Verlustangst sorgt dann dafür, dass sich Betroffene so klein und unzulänglich fühlen, dass sie ihren Partnern unter großen Anstrengungen und Opfern immer wieder beweisen wollen, wie liebenswert sie sein können.


In der Beratung höre ich von unglücklich Verliebten oft Sätze wie: „Er/sie ist mein Seelenverwandter. Er/sie weiß es noch nicht. Wie kann ich ihn/sie davon überzeugen?“ Oder: „Er/sie liebt mich. Ich kenne ihn/sie besser als er/sie sich selbst.“ Sicher ist das manchmal im Schmerz dahingesagt. Doch streng genommen fehlt dahinter die Freiwilligkeit der Liebe. Eher steckt dahinter sogar ein Wunsch nach Kontrolle über einen anderen Menschen, wenn auch verkleidet in ein romantisches Gewand. Doch ist das eine Erlaubnis, jemand zu einem vermeintlichen Glück „zwingen“ zu wollen? Wäre es umgekehrt: Wer würde akzeptieren, gegen seinen Willen „verliebt“ zu werden?


Im Grunde ist es egal, ob Sie diese Dynamik mit einem Dualseelen- oder dem Bindungsmodell erklären, solange Sie sich bewusstmachen können, dass dies niemals eine Beziehung auf Augenhöhe werden kann, die Sie da gerade anstreben. Dass Sie sich geradezu in eine emotionale Abhängigkeit begeben, die Sie unglücklich machen wird. Solch schmerzhafte Erfahrungen und ein gebrochenes Herz können neue Beziehungen schwierig oder sogar unmöglich machen.

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