Eric Hegmann

Chefredakteur, Paarberater, Hamburg

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Artikel

Narzisstische Persönlichkeitsstörung: Ist mein Partner Narzisst?

Wie Narzissten ticken. So erkennen Sie bei anderen - und womöglich bei sich selbst - narzisstische Anteile. Wie schwer es ist, sich aus einer Beziehung mit einem Narzissten zu lösen

„Ich führte eine Beziehung mit einem Narzissten" - Diesen Satz höre ich heute deutlich häufiger in der Beratung als noch vor einigen Jahren. Sicher, die Gesellschaft ist egoistischer geworden, auf der einen Seite. Auf der anderen Seite ist die Hilfsbereitschaft auch so groß wie nie zuvor und immer mehr Menschen engagieren sich ehrenamtlich. Verwenden wir vielleicht den Begriff Narzissmus zu voreilig? Oder wollen wir uns selbst schützen, wenn wir uns in eine Opferrolle begegnen? Narzisst ist nicht Narzisst und eigentlich sollte man sowieso von narzisstischen Anteilen oder - bei starker Ausprägung - von einer narzisstischen Störung sprechen, denn das Potential zum Narzissmus trägt jeder von uns in sich. Es kommt auf die Ausprägung an.


Narzissten kennen keine Empathie

Sich in andere hineinzuversetzen, fällt Menschen mit einer narzisstischen Störung schwer. Nicht immer ist das leicht erkennbar, denn um etwas zum eigenen Vorteil zu erreichen, können Narzissten geradezu hellseherisch wirken. Das Gegenüber ist beeindruckt von der Treffsicherheit der Einschätzungen, vermutet Einfühlungsvermögen, wird aber eigentlich - nicht zwingend bewusst oder mit Vorsatz - manipuliert. Dass Narzissten tatsächlich Störungen im Empathie-Empfinden haben, scheinen Messungen der Großhirnrinde zu bestätigen. Die Regionen, die für Mitgefühl verantwortlich sind, bleiben meist unterentwickelt.


Narzissten haben einen niedrigen Selbstwert

Bereits in der frühen Definition von Narzissmus durch Freud wurde klar, dass Narzissten in der frühkindlichen Entwicklung einen Verlust von Nähe und Zuneigung erfahren haben - beispielsweise durch ein narzisstisches Elternteil. Als Folge muss das niedrige Selbstwertgefühl durch Anerkennung von Anderen aufgewertet werden.


Narzissten lassen sich keine Grenzen aufzeigen

Bis hierher und nicht weiter, das hören Narzissten nicht gerne. Während andere Menschen womöglich Strukturen sogar als hilfreich sehen, fühlt sich der Narzisst abgewertet. Sein ja sowieso niedriger Selbstwert wird nun verletzt und darauf reagiert er mit Gegenangriff. Regeln gelten für andere, nicht für ihn. Grenzen sind in seinen Augen notwendig - um sich selbst zu schützen.


Narzissten sehen die Welt in schwarz und weiß

Ob Kollegen oder Freunde: Menschen sind entweder super oder ganz doof. Dazwischen gibt es nichts. Verzeihen fällt Narzissten schwer, denn mangels Empathie können sie Gründe für Fehlverhalten und Versagen nicht wirklich nachvollziehen. Sie sehen die Kränkung und reagieren so, wie sie es für nachhaltig empfinden: Keine zweite Chance!


Narzissten benötigen ununterbrochen Aufmerksamkeit

Viel Aufmerksamkeit, viel Anerkennung, viel Lob, viel Bewunderung: Narzissten benötigen Zuwendung wie Treibstoff. Weil sie von sich aus wenig Selbstbewusstsein mitbringen, müssen sie ihren Tank immerzu auffüllen lassen. Das ist es, was Beziehungen mit Narzissten so anstrengend macht: Sie zapfen die Energie ihrer Umgebung an und lassen diese erschöpft und ausgelaugt zurück.


Narzissten streben nach Dominanz

Immer der Erste, immer der Beste sein zu wollen, wäre für die meisten Menschen schlicht zu anstrengend. Wozu auch? Auch das unterscheidet Narzissten von anderen: Sie bitten nicht um Hilfe oder um Unterstützung. Sie möchten andere Meinungen nicht in die eigenen Entscheidungen integrieren.


Warum uns Narzissten so leicht überzeugen

In Studien kam sehr deutlich heraus, dass narzisstische Gruppenmitglieder bereits beim ersten Treffen von allen anderen als besonders offen, kompetent, gewissenhaft, kontaktfreudig oder unterhaltsam erlebt wurden. Gelobt wurden ihre Eloquenz, denn sie sind redegewandt, scheuen sich nicht, auf andere zuzugehen und sich zu informieren, ebenso gelobt wird ihr Unterhaltungswert und ihr – vermeintlich – selbstsicheres Auftreten. In der Kennenlernphase sind Narzissten das pure Gegenteil eines selbstverliebten Egomanen, sie wirken im Gegenteil ehrlich und aufrichtig bemüht, sie werben sehr fantasievoll und kreativ und hinterlassen den Eindruck: Wow!


Die schwierigen Seiten des Narzissmus

In Beziehungen fallen Narzissten ungewöhnlich häufig auf durch Ungehemmtheit und Außenbeziehungen. Denn in der Sexualität benötigt der Narzisst Abwechslung und Bestätigung, er bevorzugt Spielarten in denen das einsame Erleben im Vordergrund steht und weniger das Gemeinsame.  Als Eltern wollen Narzissten ihre Kinder kontrollieren, es geht ihnen weniger um Schutz als um Unterwerfung. Narzisstische Eltern sind oft wütend auf ihre Kinder, so dass diese glauben, alles falsch zu machen. Narzisstische Störungen werden so weitergegeben. Beziehungspartner werden erschöpft und ausgesaugt. Sind sie nicht mehr fähig, Anerkennung zu geben, werden sie ausgetauscht. Wer aus einer Beziehung mit einem Narzissten kommt, benötigt meist Hilfe und Unterstützung, um nicht in der nächsten Beziehung in eine erneute emotionale Abhängigkeit zu geraten.


Typische Aussagen von Partnern von Narzissten aus der Praxis:

Er hat mir gesagt, er wolle mit mir angeben können

Er hat mich beschimpft, wenn ich einen Fehler gemacht habe

Sie hat mich vor ihren Freundinnen angeschrien

Es musste alles so sein, wie sie es wollte – oder gar nicht

Sie hat versucht, mich in allen Bereichen zu verändern

Er begründete alles damit, dass er ja nur das Beste für mich wolle

Sagte ich einmal „nein“, sprach er eine Woche lang nicht mehr mit mir

Am Ende wusste ich nicht mehr, ob nicht doch ich der Narzisst war

Er drehte mir das Wort im Mund herum

Ich kann mich nicht erinnern, dass er sich einmal entschuldigt hätte


Sich befreien aus einer Beziehung mit einem Narzissten

Häufig bemerken es nicht einmal die Freunde, dass der wortgewandte und charmante Mensch ein Narzisst sein könnte. Im Gegenteil, sie werfen den Betroffenen oft vor, zu übertreiben oder sich Dinge einzubilden. Sich aufs eigene Urteil zu verlassen, den eigenen Stimmen wieder zu vertrauen, ist in dieser Situation oft nicht möglich. Meist braucht es einen schmerzhaften Anlass wie eine Außenbeziehung oder einen Seitensprung, damit die Partner von Narzissten erfassen, in welcher Abhängigkeit sie sich befinden. Oft genügt auch das nicht, zumindest nicht sofort. Wie zuvor betont leiden die Partner von Narzissten ebenfalls unter einem geringen Selbstwert. Sie suchen deshalb den Fehler bei sich: Hätten sie dies getan oder jenes gelassen, dann wäre der Partner bei ihnen geblieben und hätte sich die Bestätigung nicht außerhalb der Beziehung gesucht. Es ist ein leider langwieriger Prozess, sich von solchen Gedanken zu lösen und zu befreien. Wut und Empörung auf den narzisstischen Partner ist häufig der erste Schritt, Distanz zu schaffen. Doch weil die Partner von Narzissten körperlich und geistig geschwächt und ausgelaugt sind, verharren sie häufig sehr lange in der Phase der Niedergeschlagenheit und leiden unter Depressionen. Ohne Unterstützung ist es praktisch eigentlich kaum möglich, sich tatsächlich zu befreien und die Verletzungen zu heilen.


Eric Hegmann ist Autor zahlreicher Bücher rund um Partnerschaft und Partnersuche und berät Singles und Paare. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Bindungsangst und Verlustangst (Beziehung mit einem Narzissten, Gefangen in einer emotionalen Abhängigkeit) sowie Streit- und Kommunikationskultur von Paaren (Sprache der Liebe)

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