Eric Hegmann

Chefredakteur, Paarberater, Hamburg

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Bist du von deinem Partner abhängig?

Der Grat zwischen "Ohne dich will ich nicht sein" und "Ohne dich kann ich nicht sein" ist schmal. Wenn Liebe zur Abhängigkeit wird, droht Gefahr für sich selbst und die Beziehung.

Eine wundervolle Sache an der Liebe ist, dass du Nähe und Geborgenheit erhältst, wenn du sie brauchst. Dass da nicht nur irgendein Mensch ist, auf den du dich verlassen kannst, sondern die Person, mit der du deine Lebensziele gemeinsam erfüllen möchtest. Keine Frage, das ist eine ganze Menge Vertrauensvorschuss, die du damit jemandem schenkst. Das ist auch eine Menge Verantwortung. Denn die kann leider missbraucht werden.

Das Modell der Bindungstheorie besagt, dass Menschen Nähe, Geborgenheit, Fürsorge und Zuneigung benötigen, um sich entwickeln zu können und glücklich zu sein. Als Babys sind wir schutzlos und wir sind darauf angewiesen, dass sich jemand aufrichtig und liebevoll um uns kümmert. Dieses Bedürfnis legen wir in unserem Leben niemals ganz ab.

Je sicherer du dir bist, dass du es wert bist, geliebt zu werden, umso freier bist du in der Wahl deiner Beziehungspartner. Weder benötigst du jemanden, um glücklich zu sein, noch fühlst du dich nur wohl in deiner Haut, wenn du dich für jemanden aufopfern kannst. Das sind die beiden extremen Ausprägungen von emotionaler Abhängigkeit.

Zeichen für eine Bindungsstörung

Typisches Zeichen für eine Bindungsstörung ist die Überzeugung, Liebe müsse verdient werden. Häufig haben solche Personen als Kinder erfahren müssen, dass es Zuneigung und Liebe nicht umsonst gäbe. Sie geben in einer Beziehung alles - bis zur Selbstaufgabe.

Im Gegenzug erhoffen und erwarten sie, dass der Partner sie mit Liebesbeweisen belohnt. Sie selbst fühlen sich verpflichtet, Liebe freiwillig geben zu müssen. Gleichzeitig erleben sie sich in der Pflicht, zu beweisen, dass sie die Liebe des Partners wert sind. Je geringer das Selbstwertgefühl, umso höher die Gefahren von jeglichem Abhängigkeitsverhalten.

Diese Menschen verzweifeln am Gedanken, den Partner zu verlieren. Wenn sie nicht mit ihm zusammen sind, erleben sie Angstzustände und Panik. Erleichterung erfahren sie nur, wenn sie in seiner Nähe sein können. Der Partner wird idealisiert, er ist Dreh- und Angelpunkt allen Denkens und Handelns. Um seine Zuneigung zu bewahren, würden die Betroffenen ihre eigenen Wünsche immer zurückstellen. Auffällig: Für sie ist dies Zeichen wahrer Liebe.

Andere Formen werden abgewertet und als minderwertige Liebe abgetan. Kommt es dann zu Konflikten, werden Beziehungskrisen zu Lebenskrisen. Deshalb sind emotional Abhängige oft harmoniesüchtig und besessen von Konfliktvermeidung. Sie sind geradezu angewiesen auf Harmonie und ertragen dafür sogar Demütigungen und Übergriffe. Fehlverhalten des Partners wird übersehen oder entschuldigt, im Zweifel nehmen sie lieber die Schuld auf sich oder fühlen sich verantwortlich.

Loslassen? Nicht möglich.

Außenstehende verstehen oft nicht, warum die Betroffenen dann nicht einfach Loslassen. Aber genau das ist eben nicht möglich, weil das ein Eingeständnis vermeintlicher Schuld wäre und das großtmögliche persönliche Scheitern. Oft wird sogar in Kauf genommen, dass sich die körperliche und seelische Gesundheit verschlechtert.

Wie kommst du da raus?

Die Ursachen liegen meist in der Kindheit, in traumatischen Erlebnissen und Beziehungserfahrungen oder auch in gestörten Beziehungsvorbildern. Du hast also nichts falsch gemacht und es geht nicht um Schuld! Solche Gedanken würden nur noch dein Selbstwertgefühl schmälern und dein Leiden würde noch größer.

Zunächst solltest du dir die Dynamik deiner Liebesbeziehung ganz genau ansehen. Sprich mit Freunden, tausche dich aus, wie die deine Verhaltensweisen erleben und ob sie dich als gestresst oder womöglich sogar zwanghaft erleben.

Dann solltest du dich um externe Hilfe bemühen. Falls es sich tatsächlich um eine gelebte Abhängigkeit handelt, brauchst du Unterstützung. Alleine wirst du viel Kraft aufwenden müssen, um dann doch immer wieder Rückfälle zu erleben. Nicht einmal mit den allerbesten Absichten kann Liebe erzwungen werden, denn Liebe ist freiwillig und ein wundervolles Geschenk.

Autor: Eric Hegmann, Paarberater, Single- und Parship-Coach
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