Von Uli Kreikebaum
und Tugba Toymaz
11.45 Uhr Ahmet Sengül hebt die Birkenblätter vor dem Eingang zum gelbgetünchten Gebetsraum auf. Als der Gemeindevorsitzende zwei Handvoll in einen Papierkorb geworfen hat, holt er einen Besen, um das übrige Laub, Kippen und Staub zusammenzufegen. Auf dem Hof balgen sich Tauben um Brotkrumen. Es sind die Reste der Krümel, die der Dachgeschoss-Bewohner der Kyffhäuser Straße 26 eben am Fenstersims verfüttert hat.
12.04 Uhr Hilmi Alpsoy (73) begrüßt den alten Friseur Zeki mit Wangenküssen. Alpsoy kam 1964 als Gastarbeiter nach Deutschland. Wenn er bei Linde als Dreher Akkord arbeitete, habe er nachmittags „nachgebetet". Alpsoy hat die Barbarossa-Moschee 1965 mit aufgebaut. „Es war eine Riesensache für uns. Die erste Moschee in Deutschland!" Er zeigt auf das Garagendach, auf dem eine Taube stolziert. „Da haben einige beim Opferfest drauf gebetet, weil kein Platz war für 600 Menschen." Für Alpsoy ist die älteste Moschee des Landes der wichtigste Ort nach seiner Wohnung. Ende des Jahres müssen die Gläubigen raus. „Wo sollen wir jetzt hin?" Ein Unternehmen hat die Immobilie gekauft. Die geforderte Miete kann oder will die Millî-Görüs-Gemeinde, die die Moschee seit 1985 betreibt, nicht aufbringen.
12.18 Uhr Ahmet Sengül, der Hemd, Anzug und Halstuch trägt, erzählt von Metin Kaplan, dem selbst ernannten Kalifen von Köln, und dessen Vater Cemaleddin Kaplan, der als „Chomeini von Köln" flüchtige Bekanntheit erlangte. Beide wollten einen islamischen Scharia-Staat, am liebsten in der ganzen Welt, beide waren in der Barbarossa-Moschee zu Gast. „Necmettin Erbakan hat Kaplan rausgeschmissen", sagt Sengül. Erbakan, ehemals türkischer Ministerpräsident und Gründer von Millî-Görüs, galten Gott gegebene Weltordnungen zwar auch mehr als Menschen gemachte, „aber er akzeptierte den deutschen Rechtsstaat". Sagt Sengül. Millî-Görüs wird wegen seines in Teilen antidemokratischen Staatsverständnisses vom Verfassungsschutz beobachtet. Einige Gläubige im Hof sagen, sie wüssten gar nicht, wer die Moschee betreibt.
12.21 Uhr Ein alter Mann wäscht sich im Kachelbereich Hände und Handgelenke. Er spült den Mund aus, reinigt Nase und Gesicht, Arme und Füße, dazu murmelt er ein Gebet. Er hält sich an die rituelle Waschung vor dem Gebet, die der Koran vorschreibt.
12.26 Uhr Eines der letzten Freitagsgebete beginnt. Die Rufe des Vorbeters hallen durch den Hof. Ein Gläubiger schleudert seine Schuhe ins Regal und verschwindet im Gebetsraum. Auf der Treppe im Moscheeinnern sitzt ein Mann, der auf seinem Smartphone Bilder anschaut.
12.28 Uhr Die Tauben warten so geduldig auf einer Stange vor dem Dachgeschossfenster, als wüssten sie, dass es einen Brot-Nachschlag gibt. Und tatsächlich: Eine Stunde nach der ersten Fütterung öffnet sich die Fensterluke und der Mann wirft erneut Brot hinaus. Einige Stücke landen auf dem Hof zwischen zwei Frauen, die sich kurz vor Beginn des Freitagsgebets am Eingang zur Moschee postiert haben und den Gläubigen Pappbecher entgegenhalten. Die ältere Frau trägt Kopftuch, die jüngere gelbe Haare. „Da, wo die Frauen jetzt stehen, stand bei Festen früher der Imam und hat vorgebetet", sagt der 76-jährige Yasar. „Der ganze Hof war voller Menschen. Es gab ja nirgends sonst eine Moschee."
12.39 Uhr Die Männer kommen aus der Moschee. Sie ziehen ihre Schuhe an, viele eilen davon. Unter den Männern sind viele Studenten. Ein Alter fühlt sich von der Reporterin gestört. Frauen hätten hier nichts zu suchen. Er fordert sie auf, zu gehen. Die Jungen bestärken sie, zu bleiben.
12.43 Uhr Aslim Levent sagt: „Ich bin eigentlich Atheist." In die Moschee komme er seit dem 27. Januar 2014, um seinen an diesem Tag gestorbenen Vater zu ehren. Früher habe er mit Hinterhofmoscheen zwielichtige Gestalten verbunden. „Hier ist es ganz anders."
13 Uhr „My Name is Abdul", stellt sich ein Mann mit buntem Pulli vor. Der 28-Jährige aus Bangladesch wohnt gegenüber - die Kyffhäuser Straße 26 dient als Flüchtlingsunterkunft. Der Glaube, sagt Abdul, „gibt mir Kraft".
13.13 Uhr Abdullah (40) und Ali (33) erinnern sich: „Wir haben hier Fußball gespielt und sind auf die Garagen geklettert", sagt Abdullah. „Die Moschee war der erste Hoffnungsschimmer für Muslime in Köln" sagt Ali. „Endlich konnten wir außerhalb der eigenen Wohnung beten." Eigentlich, sagt Abdullah, müsste das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt werden. „Die erste Moschee Deutschlands ist doch ein Stück Kultur. Oder nicht?"
13.15 Uhr Mit den letzten Muslimen verlassen auch die Bettlerinnen den Hof. Ihre Becher sind gut gefüllt. Im Koran heißt es, ähnlich wie in der Bibel: Gebt euer Habe den Bedürftigen.