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Wie das antike Wissen kuriose Umwege nahm

Aristoteles, Archimedes, Galen: Viele Texte antiker Gelehrter sind im Original verloren. Nur weil arabische Gelehrte sie in ihre Sprache übertrugen, gelangten die Inhalte zurück nach Europa. 


Eine Geschichte des Chronisten Usama ibn Munqid löste im Nahen Osten des 12. Jahrhunderts blankes Entsetzen aus. Ein muslimischer Arzt hatte demnach christliche Gebiete bereist. Dort war er zu einem Patienten gerufen worden, der an einem Abszess am Bein litt. Der Arzt machte einen Wickel, als plötzlich ein fränkischer Arzt auftaucht. Dieser fragt den Kranken, ob er lieber mit zwei Beinen sterben wolle oder mit einem leben – und empfiehlt eine Amputation. Die jedoch führt zur Katastrophe: Nach einem ersten Schwerthieb ist das entzündete Bein nicht völlig abgetrennt. Beim zweiten Versuch tritt das Knochenmark aus, der Patient stirbt. Erschüttert ob der Unkenntnis der Christen kehrte der muslimische Arzt nach Hause zurück.

 

Die Geschichte mag aufgebauscht sein, hat jedoch einen wahren Kern: In der Medizin und in Disziplinen wie Astronomie und Chemie lag der Wissensstand der muslimischen Ländern im Mittelalter deutlich über dem der christlichen Reiche. Schon im 8. Jahrhundert eröffneten Ärzte in Bagdad ein erstes Krankenhaus, selbst Handbücher zur Klinikverwaltung schrieben sie. Im christlichen Abendland gab es nichts Vergleichbares. Hier pflegten Geistliche die Kranken und kümmerten sich vor allem um deren Seelenheil. Zwar existierten allerlei Bücher mit Angaben, welche Elixiere bei welcher Krankheit einzunehmen seien. Doch wie diese wirkten, was nicht systematisch erforscht.


Erschienen im Mai 2018 in G/Geschichte 6/2018.