Straßlach-Dingharting - Eine Weißwurst besteht hauptsächlich aus Kalbsfleisch, Schweinespeck und Gewürzen. Doch fast jeder Metzger macht sie anders. Wie genau, das darf keiner wissen. Über ein großes Wurscht-Geheimnis.
Messer hacken Rinderstücke zu Gulasch. Speck kriecht aus dem Fleischwolf. Der Kochschrank, wo die Schweinsköpfe für Presssack schwitzen, pustet so viel Dampf aus, dass die Fenster beschlagen. Mitten im Raum hängt ein sechs Meter langer Schweinedarm an einem Rohr, das zu einem Trichter führt. Die Metzger nennen die Maschine den „Abfüller". Der Kasten macht im Sekundentakt: „Klack, Klack, Klack". Bei jedem „Klack" spuckt der Abfüller eine Weißwurscht aus.
Eines gleich vorweg: Wer sich morgens um fünf Uhr in der Metzgerei Roiderer in Straßlach-Dingharting aufhält, der muss aufpassen. Freilich nicht, weil der geflieste Boden so rutschig ist wie eine Eisstockbahn, und schon gar nicht wegen der vielen Messer, die hacken, hacken, hacken. Vielmehr betritt man ein äußerst sensibles Gebiet. Denn hier hüten sie eines der größten Geheimnisse diesseits des Weißwurschtäquators.
Weißwurscht-SchweigegelübdeDie Metzger im Landkreis München haben sich ein Weißwurscht-Schweigegelübde auferlegt. Der Grund ist folgender: Die Münchner Metzgerinnung prüft jährlich die Weißwürste von Metzgereien. Die Jury hat sieben Betriebe im Landkreis, darunter die Metzgerei Roiderer, für ihre Weißwurst mit einer Goldmedaille ausgezeichnet. Diese Goldmedaillen-Dichte rund um die Geburtsstadt der Weißwurscht ist beachtlich. Schließlich vergibt die Metzgerinnung nur 13-mal Gold. Man kann daher in selbstbewusster Mia-san-Mia-Manier sagen: Im Landkreis München gibt's die besten Weißwürste. Doch die Angst ist groß, dass einem das eigene Weißwurscht-Rezept weggeschaut wird. Daher halten die Metzger dicht. Es geht um wertvolles Wurscht-Know-How.
Mehr als 150 Stück Weißwürste werden an diesem Vormittag in der Metzgerei Roiderer produziert. Josef Kornbichler, der erste Metzger, stellt die Grundmasse her. Sie besteht hauptsächlich aus Kalbfleisch, Speck und Schweineschwarten - bayerisches Weißwurscht-Gebot. Es gilt seit 1857, als der Moser Sepp, Wirtsmetzger im Münchner Gasthaus „Zum ewigen Licht", zufällig die Weißwurscht erfand. Kornbichlers Bruder Franz, 51, füllt den Schweinedarm mit Brät. Anschließend baden die Wurst-Ketten 20 bis 25 Minuten im 72 Grad warmen Salzwasser. Und zack fertig ist die Roiderer-Weißwurscht. Das Prozedere scheint einfach. Doch so ist es nicht. Hinter dem vollmundigem Geschmack steckt mehr.
Rastlos rattert der Kutter und mixt Kalbshack mit Schweinespeck. Josef Kornbichler crusht Eis in einer Kiste. Er schüttet die groben Kristalle über das Brät. Der Metzger braut den rohen Fleischbatz, aus dem sich seit 159 Jahren die Königin der bayerischen Wurstweiten erhebt. Kornbichler, ein Name wie ein Obstler und ein Mann wie ein Bagger, hält seine Pranken in den zehn Grad kalten Fleisch-Misch-Masch. Er achtet auf Temperatur und Konsistenz. Der 57-Jährige sagt: „Die Konsistenz ist wichtig. Flaumig muss es sein." Es sieht gut aus.
In seinem weißen Kittel und den Gummistiefeln wirkt Kornbichler wie ein Wissenschaftler, der eine geheime Formel anwendet. 30 Kilogramm mit Petersilie gespickte Weißwurscht-Materie rotieren im Kutter. Kornbichler hat das Verhältnis von Fleisch, Eis und Gewürzen wie beispielsweise Pfeffer und Zitrone genau ausgerechnet. Doch auf den Zettel mit den Kilogrammangaben stellt er schnell einen Kübel, wenn man neugierig danach fragt. Wie viel sich von jeder Zutat in dem Brät befindet, behält der Dinghartinger nämlich lieber für sich. Einmal kippt er eine schwarze Flüssigkeit in den Kutter. Was das ist, verrät er nicht. Nur soviel: „Unsere Weißwurscht ist besonders würzig", sagt er.
Bad im Weißwurscht-MeerDreimal kippt Kornbichler Eis in den Kutter. Dann ist das Brät fertig. Mit seinen Händen schaufelt er die Masse batzenweise in den Trichter des Abfüllers. Währenddessen zieht sein Bruder Franz den Schweinedarm am Rohr der Maschine auf und knotet ihn am anderen Ende zu. Der Abfüller klackert los. Und wenig später schlabbert eine sechs Meter lange Weißwurscht-Kette quasi von alleine in eine Kiste. Diese hieven die Metzger umgehend zum dampfenden Bottich und schütten die Weißen ins 72 Grad warme Salzwasser. Es ist ein Weißwurscht-Meer.
Nach einer knappen halben Stunde kommen die Weißwürste kurz zum Abschrecken ins Eiswasser. Franz Kornbichler lässt unterdessen eine Querstange an einer Wandhalterung einrasten. Dann hängt er die 150 Paar sorgfältig nebeneinander daran auf und trägt sie wie einen guten Freund über die Schulter gestützt zur Kühlung. Hier lagern die Weißwürste nun bei zwei bis drei Grad Celsius.
Inzwischen ist es dreiviertel sieben geworden. Während die Messer der Metzger hacken, der Kutter rattert, der Abfüller klackert und nun Schweinswürstel ausspuckt, richtet eine Verkäuferin im Laden die Wurst- und Fleisch-Theke her. Dienstags öffnet die Metzgerei um acht Uhr. Traditionalisten behaupten, wenn die Kirchenglocke zwölf Uhr mittags schlage, sei der allerspäteste Zeitpunkt des Tages, um ein Paar Weiße zu zuzeln. Den Straßlacher Metzgern ist das ehrlich gesagt wurscht. Schließlich geht es ihnen um die Wurscht und nicht um Wurscht-Romantik. Kornbichler sagt, er esse Weißwurscht oft abends, wenn überhaupt. Denn eigentlich sei er gar nicht so der „Weißwurscht-Fan". „Ich muss sie ja fast jeden Tag bei der Arbeit probieren."
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