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Karl Lauterbach über Einsamkeit: "Ich weiß, wie schädlich Einsamkeit ist"

Was muss passieren, damit weniger Menschen in Deutschland einsam sind? Und wieso ist das Thema auf einmal politisch? SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach im Gespräch.

Karl Lauterbach (Archivbild) Quelle: Kay Nietfeld/dpa

Anfang Mai forderte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach im Bundestag einen Regierungsbeauftragten, der sich um das Thema Einsamkeit kümmert. Einige haben ihn dafür ausgelacht, doch auch FDP-Politiker Andrew Ullmann fordert Strategien im Umgang mit Einsamkeit. Aus einer Regierungsantwort auf eine FDP-Anfrage ging nun hervor, dass sich tatsächlich immer mehr Menschen in Deutschland einsam fühlen. Die Einsamkeitsquote bei 45- bis 84-Jährigen wuchs von 2011 bis 2017 um rund 15 Prozent. Die Regierung erklärte im Schreiben, dass bereits mit Mehrgenerationenhäusern sozialer Isolation entgegengewirkt wird. Außerdem prüfe sie, inwieweit bisherige Strategien und Konzepte zur Bekämpfung von Einsamkeit ausreichen. Im Gespräch mit heute.de erklärt Lauterbach, wie notwendig weitere Maßnahmen sind und warum ihm so viel an dem Thema Einsamkeit liegt.

heute.de: Herr Lauterbach, wann waren Sie zuletzt einsam? Karl Lauterbach: Ich bin ehrlich gesagt durch meine politische Tätigkeit selten allein. Aber selbst jemand, der viele Kontakte hat, kann einsam sein. Somit erinnere ich mich auch an Momente, an denen ich einsam gewesen bin. Ich weiß also, wie schädlich Einsamkeit ist - und versuche sie durch die Pflege eines kleinen Freundeskreises meiner Familie zu vermeiden.

Karl Lauterbach

...ist seit 2013 stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD und als Gesundheitsexperte bekannt. Er hat Medizin in Aachen, Texas und Düsseldorf studiert und promovierte im Fach Epidemiologie und Gesundheitsökonomie an der Harvard Universität in Boston, USA. Sein offizieller Titel lautet: Prof. Dr. med. Dr. sc. (Harvard) Karl Lauterbach.

Derjenige, der einsam ist, hat nämlich zwei gesundheitliche Probleme: Zum einen verhält er sich oft ungesund, hat Übergewicht oder Bewegungsmangel, trinkt zu viel Alkohol oder raucht. Zum anderen, und das ist das neue Problem von dem wir wissen, kann Einsamkeit auch direkt die Immunlage des Körpers schwächen und somit den Körper noch empfänglicher für viele schwere chronische Erkrankungen machen. Einsamkeit ist also ein sehr großer Risikofaktor, der in der Dimension vergleichbar ist mit starkem Übergewicht oder mit starkem Rauchen.

Karl Lauterbach: Die Unterscheidung macht überhaupt keinen Sinn. Sie können in einer großen Menschenmenge ständig unterwegs sein und trotzdem einsam sein. Es sind zwar zwei voneinander getrennte Probleme, aber für das medizinische Problem, dass Einsamkeit krank macht, ist die subjektiv empfundene Einsamkeit mindestens genauso wichtig - wenn nicht sogar entscheidender - als die die objektive Einsamkeit.

Karl Lauterbach: Der Aspekt der objektiven, sozialen Isolation ist der, der neu untersucht wurde. Aber auch jemand, der wenig Freunde und wenig soziale Kontakte hat, ist gefährdet, weil er einfach viel weniger Gelegenheit hat, Dinge zu tun, die ihm helfen. Ich mach's ganz simpel: Wenn Sie objektiv sozial isoliert sind, führen Sie weniger Gespräche. Je weniger Gespräche Sie führen, auch persönliche Gespräche, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, eine Depression oder Demenz im Alter zu entwickeln. Aber auch der Mensch, der sich subjektiv nicht einsam fühlt, aber wenige Gesprächskontakte hat, ist gefährdet. Er fühlt sich zwar subjektiv etwas besser - das ist gute Nachricht. Er wird aber ebenfalls krank - das ist die schlechte Nachricht. heute.de: Anfang Mai haben Sie einen Regierungsbeauftragten gefordert, der sich um das Problem anhaltender Einsamkeit in der Gesellschaft kümmert. Wie soll dieses Kümmern aussehen?

Karl Lauterbach: Als ich den Vorschlag gemacht habe, bin ich zum Teil ausgelacht worden. Einsamkeit wird als etwas dargestellt, für das jeder selbst verantwortlich ist, an dem man selbst Schuld hat. Das stimmt so aber nicht. Es ist sehr schwer nicht einsam zu sein, wenn Sie arm und krank sind. Arme, behinderte, und auch kranke Menschen werden oft von ihren Freunden aber auch von ihren Verwandten im Stich gelassen. Als Politiker müssen wir zum Beispiel dafür sorgen, dass Menschen im Alter nicht aus den Städten herausgedrängt werden, wo sie Freunde und Verwandte haben. Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen in Lebenskrisen schneller Hilfe bekommen. Außerdem ist es ein sozialpolitisches Thema: Wie viel geben wir zum Beispiel für die Schaffung von gemeinsamen Räumlichkeiten, also für Bürgertreffpunkte aus? Stellen wir genug Geld zur Verfügung, damit Einsamkeit nicht entstehen muss, weil Menschen zu arm sind? Wird das Thema Einsamkeit bei neuen Gesetzen berücksichtigt? Es geht darum, in allen Bereichen daran zu denken, Einsamkeit zu bekämpfen.

Aber das Problematische ist ja, dass sich einsame Menschen oft mit der Situation abgefunden haben und auch gar nicht wissen, dass die Einsamkeit ihr Problem ist. Wir müssen auf diese Leute zugehen. Die erreiche ich mit einem Mehrgenerationenhaus alleine nicht - mal abgesehen davon, dass das noch nicht so weit verbreitet ist, wie es sein sollte und müsste.

Gott sei Dank ist es so, dass Einsamkeit bei jungen Menschen ein nicht so großes Problem ist, wie in der mittleren oder höheren Lebensphase. Aber trotzdem gibt es Risikogruppen - und auf die muss man gezielt zugehen, und über die muss man dann auch gezielt sprechen. Es gibt leider keinen Universalschlüssel, mit dem man das Problem Einsamkeit bei allen Gruppen knacken könnte

Karl Lauterbach: Also ich bin selbst ein sehr kommunikativer Mensch, ich habe viele gute Freunde und viele Interessen. Von daher hoffe ich zunächst einmal, dass ich selbst nicht zu den Hochrisikogruppen gehöre. An ein Mehrgenerationenhaus habe ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gedacht. Nichtsdestotrotz muss man vorsichtig sein. Ich kenne auch Politiker, die, obwohl sie sehr viele Kontakte haben, einsam sind.

Die Fragen stellte Teresa Betz - auf Twitter: @TeBeatz

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