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Twitter sperrt Accounts : Von "Hitlerwein" und #AfNee

Die neuen Twitter-Regeln sollen Wahlmanipulation verhindern. Stattdessen fühlen sich Politiker und Medien in ihrer Meinungsfreiheit angegriffen. Das sind die Hintergründe:

Twitter (Symbolbild) Quelle: dpa

Es sind nicht ihre hohen Hacken oder der tiefe Ausschnitt. Es ist auch nicht ihre Pose oder der Blick, für den sie kritisiert wird. Es sind die Weinflaschen im Hintergrund der Fotos, wegen denen viele fordern, Jessica Bießmann aus ihrer Partei, der AfD, zu werfen. Auf den Weinflaschen sind Porträts von Adolf Hitler zu sehen. Die Fotos sind zehn Jahre alt und wurden damals auf dem sozialen Netzwerk "myspace" veröffentlicht. Ende 2018 tauchten die Bilder wieder auf und Bießmann musste sich verteidigen. Sie bedaure die Aufnahmen, sagte sie damals. Im November verkündete ein Sprecher, die Abgeordnete sei von der Berliner AfD-Fraktion ausgeschlossen. Im Februar zeigte sich Bießmann dann aber wieder im Plenarsaal. Sie darf in der Partei bleiben, wie das Landesschiedsgericht der AfD entschieden hatte.

Grund genug sich aufzuregen, fand der Berliner SPD-Politiker Sven Kohlmeier und verfasste am 4. Mai folgenden Tweet: "So ein paar #Hitlerwein-Fotos schaden nicht der Parteimitgliedschaft. Wie rechtsradikal müssen Mitglieder eigentlich sein, um bei der #AfD rauszufliegen?" Soweit, so ungewöhnlich. Oder doch nicht? Denn am 13. Mai wurde der Account des Politikers plötzlich gesperrt. Der damalige Tweet gegen Bießmann verstoße gegen die Twitter-Regeln zum "Veröffentlichen von irreführenden Informationen zu Wahlen".

Sperre wegen Verdacht auf Wahlbeeinflussung

Im Interview mit heute.de beschreibt Kohlmeier, dass er nach der Sperre direkt Einspruch eingelegt und auf eine Antwort von Twitter gewartet hat. Die kam dann auch einige Stunden später: Die Sperre wäre Folge davon gewesen, dass sein Tweet wegen Verdachts auf Wahlbeeinflussung gemeldet wurde.

"Ob das jetzt eine Person, ein Bot oder ein Troll war, der mich gemeldet hat, werde ich aber nie erfahren", sagt Kohlmeier. "Ich finde es nicht okay, dass Algorithmen überprüfen, ob eine freie Meinungsäußerung vorliegt oder nicht." Damit ist Kohlmeier nicht der Einzige, denn in den letzten Tagen und Wochen wurden noch mehr Accounts von Twitter zeitweise gesperrt. Die "Jüdische Allgemeine" konnte am Montag nicht auf ihren Account zugreifen, weil ein Tweet mit dem Link zu einem Interview mit Israels Botschafter in Deutschland, Jeremy Issacharoff, gegen die Twitter-Regeln verstoße.

Im Tweet stand: "Warum Israels Botschafter Jeremy Issacharoff auf Gespräche und Treffen mit der AfD verzichtet". Er war zusätzlich mit den Hashtags #AfD, #Israel und #AfNee versehen. Das verstoße, genau wie bei SPD-Mann Kohlmeier, gegen die Regeln zum Veröffentlichen von irreführenden Informationen zu Wahlen.

Die Sperre sollte eigentlich zwölf Stunden anhalten, wurde dann aber früher aufgehoben. Auf Anfrage des ZDF räumte Twitter Fehler ein: "Die Priorität von Twitter ist die Verbesserung der Gesprächskultur. Auf dem Weg, dies zu erreichen, machen wir manchmal Fehler bei der Durchsetzung unserer Regeln. Deshalb gibt es die Möglichkeit, Einspruch zu erheben. Damit wir so schnell wie möglich handeln können, um etwaige Fehler in unserer Beurteilung zu beseitigen." Dennoch spricht der Online-Chef der "Jüdischen Allgemeine", Philipp Peyman Engel, hier von einem klaren Eingriff in die Pressefreiheit, "weil es eine Berichterstattung auf diesem Kanal an diesem Tag zeitweise unmöglich gemacht hat."

Kontrolle durch Algorithmen?

Auch Kohlmeier sieht dringenden Handlungsbedarf beim Unternehmen: "Ich möchte nicht von einem Algorithmus kontrolliert werden, ob meine Meinung zulässig ist oder nicht. Twitter muss gewährleisten, dass die freie Meinungsäußerung sichergestellt ist." Die Sperre der Twitter-Accounts von Kohlmeier und der Wochenzeitung löste im Netz eine Zensur-Debatte aus. Vor gut einer Woche hatte Twitter bereits das Konto der Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) gesperrt. Sie hatte sich zur Häufigkeit des Vornamens "Mohammed" in Berlin geäußert.

"Es ist auffällig, welche Gruppen, Personen oder Institutionen es betrifft, die da gesperrt werden. Das sind alles Accounts, die eine Meinung im Bezug zur AfD äußern oder sich kritisch zur AfD geäußert haben. Insofern muss man davon ausgehen, dass es tatsächlich aus dem deutlich rechten Parteienspektrum kommt", sagt Kohlmeier.

Auch von anderen Politikern bleiben die Sperrungen von Twitter nicht ungesehen. Manuel Höferlin, digitalpolitischer Sprecher der FDP, hat veranlasst, das Thema im morgigen Ausschuss Digitale Agenda zu behandeln. Ein Vertreter von Twitter wird diesem beiwohnen und sich zu den Gründen der Sperrungen äußern. Höferlin wirft dem Unternehmen unter anderem "Overblocking", das Entfernen rechtlich zugelassener Inhalte, vor. Im Vorfeld der Europawahlen hatten die sozialen Netzwerke Facebook und Twitter versprochen, stärker gegen Wahlbeeinflussung im Netz vorzugehen. Es sollte vermieden werden, dass mit Fake-Accounts die öffentliche Meinung beeinflusst wird. Jetzt sehen sie sich mit dem Vorwurf konfrontiert, über ihr Ziel hinausgeschossen zu sein.

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