In Frankreich sind trotz des Coronavirus an diesem Sonntag etwa 48 Millionen Staatsbürger sowie 300.000 EU-Bürger aufgerufen, in allen 35.000 Kommunen die Wahllokale aufzusuchen. Es gilt, die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aller Städte und Gemeinden zu bestimmen. In die Kirche oder ins Restaurant können die Menschen aber nicht mehr: Im Kampf gegen Covid-19 hat das Land alle "nicht lebensnotwendigen" öffentlichen Orte vorerst dichtgemacht. Seit Sonntagnacht gilt eine neue Order der Regierung, die das öffentliche Leben im Land mehr oder weniger lahmlegt.
Der Erlass erfolgte aus gutem Grund. Laut den ständig aktualisierten Zahlen ist Frankreich mit etwa 4.500 registrierten Infektionen eines der am stärksten vom Coronavirus betroffenen europäischen Länder. Premierminister Édouard Philippe tritt täglich im Fernsehen auf. Er gibt sich höchst besorgt und betont, dass sich die Verbreitung des Virus im Land trotz getroffener Schutzmaßnahmen dramatisch beschleunige. "Ich sage es mit Nachdruck: Wir müssen alle zusammen mehr Disziplin aufbringen, um diese Maßnahmen anzuwenden", sagte Philippe, der als Bürgermeister der Stadt Le Havre selbst zur Wahl steht, am Samstagabend. Damit stellt er das Land vor ein Rätsel: Warum um alles in der Welt finden dann die Kommunalwahlen statt, wie Philippe zuletzt erneut bestätigt hat?
Mit der Entscheidung stößt die Politik auf Unverständnis. "An der Wahl festzuhalten ist komplett inkohärent", sagt etwa Gaspard, der in in der Kinobranche arbeitet, die von den Schließungen ebenfalls betroffen ist. "Ich gehe wählen, mit meinem eigenen Kugelschreiber und den Händen in Handschuhen." Auch Charles, der in einem Pariser Vorort selbst als Gemeinderat kandidiert, wird wählen gehen. Er habe als abgeordneter Wahlhelfer keine Wahl. Trotzdem ist er fassungslos: "Die Entscheidung ist komplett widersprüchlich - gleichzeitig entscheiden sie alle öffentlichen Orte und Geschäfte zu schließen."
Damit hat sich die Regierung von Präsident Emmanuel Macron in eine groteske Situation manövriert. Wie die Regierungen in anderen EU-Staaten fällt es auch der Regierung in Paris schwer, mit dem Tempo der Coronavirus-Pandemie Schritt zu halten. Mit gestaffelten Einzelmaßnahmen werden auch in Frankreich nach und nach immer größere Einschränkungen des öffentlichen Lebens beschlossen - so als veränderten die Verantwortlichen selbst von Tag zu Tag ihre Einschätzung der Lage.
Untersagte Frankreich vergangenes Wochenende zunächst alle Versammlungen mit mehr als 1.000 Personen, kündigte Premier Philippe am Freitagmittag in einem Fernsehinterview an, dass das Verbot fortan schon ab 100 Personen greife. Es gehe darum, die Ausbreitung des zu verlangsamen. Im selben Interview rechtfertigte der Premier, warum er trotzdem an der Wahl festhält. Wählen gehen sei nicht gefährlicher als ein Besuch im Supermarkt, sagte Philippe, außerdem würden Masken, Seife und Desinfektionslösungen bereitliegen. "Das wird ein Tag werden, an dem die Leute alle Handlungsempfehlungen in Aktion werden erfahren können", versuchte Philippe dem Vorhaben etwas Positives abzugewinnen.