1 subscription and 0 subscribers
Article

40 Jahre IPPNW - dreitägiger Kongress in Landsberg

Landsberg - International Physicians for the Prevention of Nuclear War, kurz IPPNW. Im Deutschen heißt die Friedens­organisation „Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs - Ärzte in sozialer Verantwortung". Beim Kongress zum 40-Jährigen der 1980 gegründeten Organisation - eigentlich 2020 geplant, wie so vieles verschoben - nennt Rolf Bader, zusammen mit Wolfgang Lerch Gründer der Landsberger Regionalgruppe, eine griffige Namens-Alternative: „Ärzte gegen den Atomkrieg". 165 IPPNW-Mitglieder aus allen Bundesländern sind zum dreitägigen Kongress mit Vorträgen, Demonstration und Diskussionen nach Landsberg gekommen.

„Oft hätte ein Funke genügt, um alles zu zerstören." So fasst Bader bei der Eröffnung im Stadttheater die von Atomwaffen ausgehende Gefahr zusammen. Die IPPNW habe von Anfang an auf die fatalen Folgen eines Atomschlags hingewiesen, dafür 1984 den UNESCO-Friedenspreis, ein Jahr darauf den Friedensnobelpreis erhalten. Mehr zur Geschichte der IPPNW könne der 95-jährige Prof. Ulrich Gott­stein berichten, „ein Zeitzeuge": Der Internist ist Gründungsmitglied der deutschen IPPNW (1982). Und mahnt: „Putin wäre zum Erstschlag bereit." Auch die USA hätten ihre Atomwaffen aktiviert. Ihn verwundere, dass die Bevölkerung das „ohne Protest" zur Kenntnis genommen habe. Er wolle deshalb nochmals an Nagasaki und Hiroshima erinnern, daran, welch Ausmaß „ein Flugzeug und eine Bombe" in den beiden Städten gehabt hätten.

Zur Gründungsgeschichte der IPPNW setzt Gottstein bei den Atomwaffentests ein: als das in Zähnen von Kindern gefundene Strontium zwölf Ärzte in Harvard 1961 dazu brachte, die Physicians for Social Responsibility (PSR) zu gründen. Sie konnten eine Artikelserie über die Folgen eines thermonuklearen Kriegs veröffentlichen - was die Bevölkerung aufgeweckt und mit zum Abkommen zwischen Kennedy und Chruschtschow 1963 geführt habe, Atomtests ‚nur noch' unterirdisch zu machen.

Das lange Warten

Um zur IPPNW, also international zu werden, brauchte es länger, auch wenn Wikipedia die Gründung im Dezember 1980, auf dem Höhepunkt der Ost-West-Krise, in einem Satz abhakt. Gottstein berichtet vom langen Warten des amerikanischen IPPNW-Initiators Bernhard Lown auf die Antwort seines sowjetischen Kollegen, Kardiologe Jewgeni Tschasow, Direktor des Herzzentrums in Moskau und beratender Arzt im Kreml: Bei ihm hatte Lown mehrmals, sogar mit einem von einer Kollegin persönlich überbrachten Brief, wegen eines internationalen Ärztekongresses zum Thema Atomwaffen angefragt. Schließlich kam eine Antwort: negativ. Lown schrieb daraufhin einen offenen Brief an Jimmy Carter und Leonid Breschnew - der seinen Weg in die New York Times fand. Breschnew antwortete mit „understanding and support": Er stimme den Absichten Lowns zu. Tschasow blieb vorerst weiterhin ablehnend, habe Lowns „Naivität" kritisiert - und dann doch eines morgens zugestimmt: „Wahrscheinlich hatte er da erst die Zustimmung des Zentralkomitees erhalten", vermutet Gottstein. So sei schließlich bei einem Kongress in Genf „mit anfänglich aggressiver Stimmung" die IPPNW unter der Co-Präsidentschaft von Lown und Tschasow gegründet worden. Eine Art „Alliierte gegen die Atomwaffen", nennt es Gottstein. Diese Hartnäckigkeit und Ausdauer der Gründer müsse man im Widerstand gegen Atomwaffen beibehalten, betont der 95-Jährige: „Überleben bedarf des Protests, nicht der Resignation." Ende 1981 lud Gottstein Vertreter deutscher Ärzte- und Friedensinitiativen nach Frankfurt und riet zum IPPNW-Beitritt. Im Februar 1982 wurde die bundesdeutsche Sektion der IPPNW gegründet.

Krieg in der Ukraine

Der ehemalige Schweiz- und UN-Korrespondent für die taz Andreas Zumach, aus der Schweiz mit dem Rad nach Landsberg gereist, bezeichnet in seinem Vortrag Diplomatie als einziges Mittel zur Beendigung des Ukraine-Kriegs. Die beidseitige Kriegsrhetorik mache Verhandlungen nahezu unmöglich. Zur Beendigung des Krieges spielt Zumach diverse Szenarien durch: Er zweifle eine ‚Rebellion' der Oligarchen oder der Bevölkerung Russlands an. Für Letzteres fehlten in Russland die demokratischen Oppositionskräfte. Ein militärischer Sieg der Ukraine sei „laut Experten" unmöglich. Ein Sieg Russlands wäre denkbar, aber „Russland wird die Ukraine nie ganz unter Kontrolle bringen". Am Ende werde ein „militärisches Ermüdungspatt" stehen. Deshalb benötige man eine „für Putin gesichtswahrende Exit-Strategie".

Dass mit Russland keine Verhandlung mehr möglich sei, sieht Zumach als „analytisch falsches" Narrativ. Es setze voraus, dass die russische Regierung im jetzigen Zustand stagniere. Wenn aber die russische Bevölkerung die Fakten, auch die Zahl der getöteten Soldaten erfahre, werde das Folgen auch für die Regierung haben. Deshalb gelte es, dem Narrativ zu widersprechen und die „zivilgesellschaftlichen Beziehungen zu Russland, den kulturellen und wissenschaftlichen Austausch wieder aufleben zu lassen" - schon allein, um die russische Feindpropaganda zu entlarven. Denn für einen Frieden sei vor allem eines wichtig: „Wir brauchen eine gemeinsame Friedensverordnung - mit Russland." Putin habe 2001 im Bundestag seine Kooperationsbereitschaft angeboten - sei aber, auch von der OSZE, nicht ernst genommen worden - woraufhin 2007 sein Ton bei der Münchener Sicherheitskonferenz schärfer geworden sei. Insofern gelte es, auch die eigenen Versäumnisse zu benennen, sagt Zumach. Die OSZE müsse gestärkt werden: „Sie ist der einzige Rahmen, in dem eine gemeinsame Friedensordnung möglich ist."

Generell zeige der Krieg in der Ukraine, dass das Prinzip Abschreckung keinen Frieden sichere. Denn „jeder Frieden ist brüchig", betonte auch OBin Doris Baumgartl in ihrer Begrüßung. Es gelte, die Ratifizierung des Atomwaffenverbotsvertrags (den Deutschland bisher nicht unterschrieben hat) voranzutreiben. Mit ein Grund, weshalb sie Mitglied bei „Mayors for Peace" geworden sei, der Friedensorganisation ausgehend vom Bürgermeister Hiroshimas, die sicg speziell für die atomare Abrüstung einsetzt.

Kundgebung

Am zweiten Kongresstag folgten neben zahlreichen Vorträgen auch eine Kundgebung auf dem mittäglich aufgeheizten Hauptplatz. Zweiter Bürgermeister Moritz Hartmann (Grüne) betonte, dass ein Frieden nur jenseits des klassischen schwarz-weiß-Denkens möglich sei: „Ein starker Diskurs muss stattfinden" - auch zum Thema Waffenlieferungen.

Abschließend forderte der Co-Vorsitzender der deutschen IPPNW Dr. Lars Pohlmeier Russland und die USA auf, die aktuell vorgenommene Aktivierung der Atomwaffen wieder rückgängig zu machen. NATO und Russland müssten sich zudem von der Möglichkeit eines atomaren Erstschlag abwenden. Ebenso wichtig sei, dass Deutschland den 2017 von der UN verabschiedeten Atomwaffenverbotsvertrag endlich unterzeichne. „Aufrüstung bringt keinen Frieden, Diplomatie ist nicht durch Waffen ersetzbar. Es gibt keine Fahne und kein Land der Welt, dem Ruhm gebührt." Vielmehr werde jeder Euro werde für globalen Klimaschutz und globale Gerechtigkeit benötigt. Und auch, wenn es manchmal naiv erscheine, sich für ein Atomwaffenverbot einzusetzen: „Es lohnt, sich für eine bessere Welt einzusetzen."

Original