Wäre Fox Mulder doch bloß real! Bestimmt hätte die Polizei von Roswell den berühmten "Akte X"-Agenten längst zu Hilfe gerufen. Denn Ende März wurde die amerikanische Kleinstadt von einem Skandal unbekannten Ausmaßes heimgesucht - ihr Ufo ist weg.
Jahrelang diente das nachgebaute Flugobjekt als Kulisse fürs lokale Ufo-Museum. Bis drei Männer es nachts auf einen Pick-up-Truck verfrachteten und davonfuhren. Die Diebe: flüchtig. Das Motiv: unbekannt. Ein weiteres Indiz für eine große Verschwörung?
In Roswell kennt man sich aus mit mysteriösen Ereignissen. Alles begann vor fast 70 Jahren: Im Juli 1947 fand der Farmer Mac Bazel Trümmer in der Nähe seiner Ranch und brachte sie zum Sheriff, der die nahe Air-Force-Base (RAAF) informierte. Dann die Sensation: Bei den Wrackteilen handele es sich um Überreste eines Ufos, ließ die Air Force per Pressemitteilung verbreiten. Die Lokalzeitung "Roswell Daily Record" druckte die spektakuläre Nachricht, doch schon tags darauf nahm das Militär alles zurück: nur ein Versehen. Es handle sich schlicht um einen Wetterballon.
In Roswell kehrte Ruhe ein, erst in den Siebzigerjahren kochte die Geschichte wieder hoch. Der Vietnamkrieg und die Watergate-Affäre erschütterten das Vertrauen in die Regierung schwer - warum sollte das Militär nicht auch bei fliegenden Untertassen lügen?
Außerirdische an jeder Ecke
Viele "Erkenntnisse", die Ufologen verbreiteten, entpuppten sich später als Hochstapelei. Aber ähnlich wie bei der Legende von der "Area 51" als Alien-Parkplatz im Wüstensand von Nevada - die Zweifel blieben.
Aufgrund des öffentlichen Drucks veröffentlicht die Air Force 1995 einen fast 1000-seitigen Bericht zu Roswell und zwei Jahre später eine Ergänzung ("Case Closed"). Als Fazit braucht es nur einen Satz: Die angeblichen Wetterballone wurden benutzt, um sowjetische Atombomben im Kalten Krieg auszukundschaften. Und die Verschwörungstheorien? Alles Quatsch.
Nur: Was kann schon ein Regierungsbericht ausrichten gegen Blockbuster wie "Independence Day" (1996) oder "Indiana Jones" (2008)? Oder gar gegen die neueste "Akte X"-Staffel (2016), in der das Roswell-Ufo abermals seine berühmte Bruchlandung hinlegt?
Heute gibt es in Roswell Außerirdische an jeder Ecke. Als Postkarten, T-Shirts, Baseballcaps, Gummipuppen. Die Tankstelle wirbt mit einem Metall-Ufo auf dem Dach; nebenan zeigt ein Papp-Alien auf die Einfahrt eines Motels. Auf fast allen Straßenlaternen kleben schwarze Augen, die an Alien-Köpfe erinnern. Oder das "Ufo-McDonald's": Das Burger-Lokal ist in Form einer fliegenden Untertasse gestaltet, im Kinderland hängt Ronald McDonald als Astronaut an der Decke.
Auf der Main Street startet die Invasion erst richtig. Ufo-Nippes allenthalben, überall blinkt es und surrt es, mittendrin: die Touristen. Stephanie Lemperis, 33, und ihr Mann Chris, 37, sind aus Kalifornien angereist. "Wir wollen unbedingt die Absturzstelle sehen", sagt Chris, während er bedruckte T-Shirts durchstöbert. Ob er an Ufos glaubt? Chris zuckt mit den Schultern. "Keine Ahnung. Auf jeden Fall ist es lustig in Roswell."
Haben die noch alle Untertassen im Schrank?
Lustig - so geht es in der Wüstenstadt mit nicht einmal 50.000 Einwohnern vor allem jeden Juli zu. Wenn sich der vermeintliche Absturz jährt, steigt ein bombastisches Ufo-Festival in Roswell. Drei Tage lang flanieren Menschen mit Aluhüten und grüner Gesichtsbemalung über die Hauptstraße. Im Museum lesen Ufologen aus ihren neuesten Büchern. Und die Kassen, sie klingeln.
"Ganz ehrlich, ich habe meinen Laden wegen des Geldes aufgemacht", erzählt Randy Reeves, 58. Der Inhaber der "Alien Zone" auf der Main Street glaubt erst seit einem Jahr wirklich an Außerirdische: "Ich war nachts auf dem Highway unterwegs, als plötzlich Tausende Ufos auftauchten. Ich dachte, das ist eine Invasion." Man sollte erwähnen, dass Reeves als Pastor in einer Baptistenkirche predigt. "Gerade als Christen sollten wir offen für Neues sein", meint er. Ob Engel, Dämonen oder Außerirdische - für ihn nur eine Frage der Definition.
Fast 40 Millionen Dollar jährlich spült der Alien-Tourismus in die Kleinstadt, heißt es im Ufo-Museum. Wer nach Roswell kommt, kauft nicht nur Akte-X-Poster, sondern geht auch essen, betankt das Auto und bucht im Idealfall ein Hotel. Die lokale Übernachtungssteuer kommt wiederum dem Ufo-Festival zugute. Also ein Gewinn für alle? Ganz so einfach ist es nicht.
Von Beginn an war die schöne Alien-Story umstritten, gerade im konservativen Süden der USA gelten die Ufo-"Gläubigen" häufig als Spinner. Angesichts der Ufomanie in den Neunzigerjahren sorgten sich alteingesessene Einwohner um den Ruf ihrer Stadt. Allerdings brachte der Tourismus die Wirtschaft in Schwung. 1998 lag die Arbeitslosenquote bei fast zwölf Prozent, inzwischen hat sie sich halbiert.
Unter der Oberfläche geht die Auseinandersetzung weiter. Im Walmart von Roswell zierten jahrelang Außerirdische die Wände. Bis kürzlich alles überpinselt wurde. Warum? "Weil Kunden sich über den Unsinn beschwert haben", erzählt eine Kassiererin.
Der Bürgermeister: "Vielleicht bin ich Teil der Verschwörung"
Auch das Ufo-Museum, mehr eine Sammlung von Papierdokumenten, wirkt eher trist, wie seit 30 Jahren nicht erneuert. Ein lange geplanter Neubau wurde 2011 verworfen. Und jetzt auch noch das geklaute Ufo.
"Die Hochzeiten des Ufo-Tourismus sind einfach vorbei", sagt Roswells Bürgermeister Dennis Kintigh, 63. Natürlich hängt auch in seinem Büro ein Alien, doch damit kann er wenig anfangen - obwohl er selbst bei der Luftwaffe und später beim FBI gearbeitet hat. "Vielleicht bin ich ein Teil der Verschwörung", sagt Kintigh und lacht.
Roswells Umgang mit dem Alien-Tourismus, es ist ein Zickzack. Noch vor einigen Jahren engagierte die Kommune eine Werbeagentur für eine Kampagne rund um das "Mysterium Roswell". Heute bremst der Bürgermeister. "Ich sehe den Tourismus in einem anderen Licht", sagt Kintigh. "Viele dieser Jobs sind unterbezahlt, während einige wenige abkassieren." Keinesfalls wolle er den Tourismus verteufeln. "Aber wir haben viele andere Einnahmequellen wie Öl oder die Landwirtschaft."
Selbst die CIA nimmt die Ufos nur noch mit einem Lächeln zur Kenntnis. Zum "Akte X"-Staffelstart veröffentlichte der Geheimdienst eine Liste mit freigegebenen Dokumenten, "die Mulder und Scully gern in die Finger bekommen würden". Die Erkenntnisse der früheren Top-Secret-Papiere lesen sich banal: So seien fliegende Untertassen extrem unwahrscheinlich, "weil Flugzeuge in einer Höhe von mehreren Tausend Meilen jenseits aller technischen Möglichkeiten liegen, inklusive unserer".
Und der Bürgermeister? Kann er sich als ehemaliger FBI-Agent mit "Akte X" identifizieren? "Nicht wirklich", winkt Kintigh ab, denn das Fernsehen werde der Realität einfach nicht gerechnet. Soweit er das beurteilen kann. Denn: "Ich habe die Serie nie gesehen."