Neuverfilmungen sind seit jeher ein fester Zweig des Filmgeschäfts. Kein Jahr vergeht, in dem uns nicht etliche Remakes oder Neuadaptionen auf der Leinwand oder im Heimkino begegnen. Aus Fan- und Kritikerkreisen vernimmt man oft ein gemischtes Echo: Im besten Fall sind Remakes gelungene Hommagen oder zeitgemäße Neuinterpretationen, oft genug müssen sie sich aber den Vorwurf mangelnder Kreativität und des Spekulierens aufs schnelle Geld gefallen lassen. Dabei sind sie keinesfalls ein Phänomen der jüngeren Filmgeschichte, sondern fast so alt wie das Kino selbst: Das angeblich erste Remake schuf bereits der französische Filmpionier Georges Méliès, als er 1896 mit dem Kurzfilm „Une partie de cartes" den ein Jahr zuvor erschienenen Film „Partie de cartes" von Louis Lumière reproduzierte.
Insbesondere der US-amerikanische Mainstream-Markt traut seinem Publikum gefühlt kaum nicht-amerikanische Stoffe zu, weshalb jährlich unzählige Produktionen von Südamerika und Europa bis Asien die US-Remake-Maschinerie durchlaufen. Gerade Anhänger japanischer Horrorfilme wie „Ringu" oder „Ju-on" finden nur selten ein gutes Wort für deren westliche Neuauflagen. Aber ein japanisches Remake eines westlichen Films? Kaum zu glauben, aber wahr: Es gibt sie. So auch Yasuhiko Shimizus „Cube" von 2021.
Zum Büßen und Sterben verschlepptAls Yuichi Goto aufwacht, liegt er nicht in seinem Bett. Seine kleine Wohnung wurde gegen einen quadratischen Raum voller symmetrischer Leuchtplatten getauscht, seine Kleidung und privaten Dinge gegen einen graublauen Häftlingseinteiler mit Schnürstiefeln. Doch er ist nicht allein, trifft auf weitere Fremde in derselben Situation in seinem kleinen Wohnwürfel. Im Raum befinden sich an allen Wänden Metallluken, die in identische Räume mit kryptischen Zahlencodes an den Pforten führen. Doch Goto muss sich vorsehen: In den Räumen lauern tödliche Fallen - und seine Leidensgenossen verbergen etwas vor ihm.
Das japanische Science-Fiction-Drama baut auf Vincenzo Natalis Indie-Überraschungshit „Cube" von 1997 auf. Der US-kanadische Filmemacher zog mit seinem Erstlingswerk die Aufmerksamkeit von Genre- und Festivalliebhabern auf sich. Mit einfachsten Mitteln inszenierte Natali einen klaustrophobischen Survival-Albtraum, in dem sich sechs Fremde gegenseitig die scheinzivilisierten Masken herunterreißen und ganz dem egoistischen Selbsterhaltungsdrang hingeben. Durch komplettes Ausblenden der Außenwelt, harte Nahaufnahmen im grellen LED-Licht und existenzphilosophische Krisengespräche zwischen Mathematikrätseleien sowie brutalen Splatter-Einlagen erschuf Natali seine eigene Welt in diesem kubischen Abstraktum. 24 Jahre später hat sich nun der japanische Jungregisseur Yasuhiko Shimizu an diesem experimentellen Science-Fiction-Stoff versucht - und scheitert krachend an seinem Vorbild.
Empathie auf Biegen und BrechenAnders als Natali will Shimizu dem Publikum seine Figuren ans Herz legen. So setzt er den zurückhaltenden Studenten Yuichi Goto als Protagonisten ein, dessen nach und nach offengelegte Gefühlswelt Empathie hervorrufen soll. Doch das suizidale Familiendrama in Form von eingestreuten Rückblenden zerstört die bedrohlich-klaustrophobische Atmosphäre des Kubus bereits zu Beginn. Ein Spannungsbogen entfaltet sich nie, da Shimizu eine radikale Zuspitzung wie bei Natalis Original erkennbar gewollt umgeht.
Im Zentrum steht das Melodram, die Versöhnung, das Vergeben. Jedoch wirken die Dialoge aus Kôji Tokuos Drehbuch zu seifig, die Konfrontationen zwischen den Inhaftierten zu gehemmt. So kommt etwa der eingestreute Gesellschaftskonflikt über die vermeintlich faule Jugend sowie die disziplinierte Nachkriegsgeneration in Form eines höflichen Taugenichts und eines starrsinnigen Geschäftsmannes zu plump daher, um mehr als einen öden Figurentod zu rechtfertigen. Sinnbildlich für diese Hemmung steht zudem die Einführung einer Kinderfigur, die nicht über die Rolle der gutmenschlichen Rettungsleine hinauswächst und lediglich dafür sorgt, dass es halbwegs gesittet im kubischen Gefängnis zugeht - schließlich schaut ja ein Kind zu.
Kein Herz für Splatter-FansDen ein oder anderen Splatter-Exzess gönnt sich „Cube" trotzdem, insbesondere die abgewandelte Einführungsszene über die Begegnung eines isolierten Gefangenen mit einer der verbauten Fallen bedient entsprechende Erwartungen. Auch das Design der Würfel kann zunächst positiv überraschen, zumal sich die komplett repetitive Bauweise mitunter durch kleine Perspektivspielereien nochmal besonders verwirrend auf die Orientierung auswirkt. Doch die verbauten Fallen, die ähnlich wie bei „Saw" oder „Squid Game" der voyeuristischen Schaulust des Zuschauers dienen, unterliegen bald dem Seifenopern-Duktus des Drehbuchs.
Shimizu versucht mittels eigener Mordinstrumente, dem Film einen Hauch von Individualität aufzudrücken, wenn schon die erzählerische Neuausrichtung nicht fruchtet. Jedoch fehlt es nach dem einschneidenden Prolog den Fallen schlichtweg an Konsequenz: Das anfangs noch spannende Ausknobeln, welche Räume tödlich sind und welche sicher, entpuppt sich bald als obsolet, da die Fallen scheinbar die Räume frei wechseln können und selbst entscheiden, wann sie sich aktivieren. Getoppt wird das bloß noch durch stupide Zeitlupen und noch dümmere Selbstopferungstheatralik. Angesichts solcher Fehlentscheidungen - weg von der Entlarvung der zerstörerischen menschlichen Natur hin zur unglaubwürdig melodramatischen Weltverbesserer-Attitüde - fragt man sich nach fast zwei Stunden zu Recht, ob es diese Neuverfilmung gebraucht hätte.