Ratternd beginnt der Filmprojektor zu laufen. Auf den zunächst unscharfen Super-8-Aufnahmen zeichnet sich langsam ein belebter Strand aus vergangener Zeit ab. Sanft wiegen die Palmen im Wind, Kinder graben im Sand, Möwen gleiten über sich bräunende Rücken in knalliger Badekleidung hinweg. Lone Palm Island, wie ein körnig flimmerndes Ortsschild verrät, präsentiert sich als wahrer amerikanischer Urlaubstraum - wäre da nicht die Musik.
Anstatt tanzbarer Surfrockklänge von den Beach Boys ertönen die wirbelnden Klänge von Klavieren sowie der Glasharmonika aus Camille Saint-Saëns' „Der Karneval der Tiere - Das Aquarium". Mit dieser perlend-unheilvollen Untermalung gibt Regisseur Mickey Keating bereits einen kleinen Vorgeschmack auf das Unbehagen, das sich in den kommenden 80 Minuten beim Publikum breitmachen wird - denn jenseits der Badestrände birgt das scheinbar idyllische Eiland ein uraltes Grauen, das einst dem Meer entstieg.
Eine schwierige Tochter-Mutter-BeziehungSeit Marie (Jocelin Donahue) einen mysteriösen Brief über das geschändete Grab ihrer Mutter bekommen hat, suchen verdrängte Erinnerungen die junge Frau heim. Ihre Mutter Ava (Melora Walters) war zu Lebzeiten eine berühmte Schauspielerin, die sich mit Hingabe in Ruhm und Pomp suhlte. Doch mit zunehmendem Alter litt die Bühnendiva an einer schweren Demenz, was es der umsorgenden Tochter Marie alles andere als leicht machte, sich um ihre Mutter zu kümmern - auch nach ihrem Tod.
Mickey Keating konfrontiert Marie wie den Zuschauer direkt zu Beginn mit einem kryptischen Albtraum über die Mutter, der im späteren Filmverlauf noch an Bedeutung gewinnen soll. Die Tochter-Mutter-Beziehung wird nur wenig ausgemalt, jedoch bleibt Maries Motivation durchweg nachvollziehbar: Nicht die Liebe zur Mutter zieht sie auf die Insel, sondern eine Mischung aus auflodernder Neugier sowie dem Drang, endlich die gestörten Geister wieder zur Ruhe zu betten und mit diesem leidvollen Kapitel ihres Lebens endgültig abzuschließen.
Vom Postkartenmotiv zum schaurigen MusterstädtchenUm dem Ferienidyll Lone Palm Island einen schaurigen Anstrich zu verpassen, setzt Keating auf ein Kernelement: Desorientierung. Sobald Marie die gefühlt unendlich lange Brücke über das Meer sowie einen kryptisch vor sich hin brabbelnden Grenzer (Richard Brake) passiert hat, verlieren sie und ihr Begleiter George (Joe Swanberg) immer mehr den Bezug zur Realität. Kein Wunder, denn nichts an Lone Palm Island wirkt einladend oder gar idyllisch: Verwaiste Einkaufsstraßen und verriegelte Souvenirläden, eingehüllt in feine Nebelschwaden, vermitteln mehr den Eindruck eines verlassenen, kulissenhaften Musterstädtchens. Ein trost- und lebloser Kontrast zu den sommerlichen Postkartenmotiven mit strahlendem Sonnenschein und florierendem Touristengeschäft, für das die Insel so bekannt ist.
Zwar erinnert der Nebel, der für verschwommene Häuserkonturen und schemenhafte Erscheinungen sorgt, stark an erfolgreiche Schauerstoffe wie „The Fog" oder „Silent Hill", trotzdem entfaltet er zunehmend seine Wirkung und diktiert den Eindringlingen seine Regeln auf. Immer wieder scheint sich das Inselbild um Marie herum zu verändern, wenn sie gerade nicht hinschaut. So als wollte eine unsichtbare Macht die verängstigte Frau um jeden Preis auf der Insel halten.
Diabolisches Seemannsgarn„Offseason" versprüht mit zunehmender Laufzeit über per Zwischentitel getrennte Kapitel einen starken „Lovecraftian Touch"; eben jene Unbehaglichkeit, die sich etwa bei H.P. Lovecrafts Erzählungen wie „Schatten über Innsmouth" über ein verfluchtes Dorf und seine degenerierten Bewohner beim Leser entfaltet. Die wenigen Menschen, denen Marie auf ihrer Reise begegnet, reagieren zunächst mit ländlichem Hohn und Spott auf die fremde Großstädterin. Bei jeder weiteren Begegnung weicht jedoch zunehmend das Menschliche aus den Einwohnern, und es offenbart sich das Unheimliche, das hinter den maskenhaften Gesichtern nach Maries Seele giert.
Verwoben mit einem diabolischen Seemannsgarn, baut Keating auf sein atmosphärisches Gespür, was den Film über weite Strecken mit angenehmen Schaudermomenten erfüllt. Ab und an kann der Regisseur jedoch nicht widerstehen, den dichten Nebel zu lichten und das Grauen - meist über etwas plumpe Jump-Scares - ins Scheinwerferlicht zu zerren und die souverän spielende Jocelin Donahue zum Klischee-Spielball der bösen Mächte zu degradieren. Trotzdem schafft es „Offseason", in großen Teilen an seinem unaufgeregten und gerade dadurch schaurigen Seemannsspuk festzuhalten, zumal er sich gekonnt atmosphärischer Lovecraft-Elemente bedient, anstatt nur die abgedroschene Tentakel-Karte zu spielen.