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"Die Innenstadt wird sich neu erfinden müssen"

Wenige Menschen auf dem Westenhellweg in Dortmund (Symbolfoto): Gastronomen und Einzelhändler hoffen nach monatelanger, pandemiebedingter Durststrecke wieder auf mehr Kunden. (Quelle: blickwinkel/imago images)

Leerstand in Dortmunder City

"Die Innenstadt wird sich neu erfinden müssen"

Wer auf dem Westenhellweg in Dortmund einkaufen geht, sieht dort wegen Corona viel Leerstand und weniger Kunden. Einzelhändler bangen, Gastronomen geben auf. Und doch sind Stadt und Wirtschaft auch optimistisch.

In der Food Lounge im Obergeschoss des Einkaufszentrums Thier-Galerie bleiben die meisten Tische leer. Imbiss-Verkäufer starren gelangweilt ins Leere. Auch der Schlemmer-Kebab hat schon bessere Zeiten gesehen. Coşkun Gül (58) rührt sorgenvoll durch den Eintopf und erzählt von seinen Ängsten.

Aktuell verkaufen sie hier an manchen Tagen 80 Kilo Dönerfleisch. Früher waren es laut eigenen Angaben zwischen 100 und 200. Auch andere Läden hier berichten, sie hätten schätzungsweise 30 Prozent weniger Kunden als vor der Pandemie.

Coşkun Gül berichtet von massiven Einbußen während der Corona-Pandemie. Seine Familie und die seines Sohnes würden an dem Imbiss hängen, sagt er. (Quelle: Sophie Schädel)

Gül nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn sein Blick auf die fast leere Food Lounge fällt: "Seit Corona ist hier jeden Tag die gleiche Scheiße. Außer samstags, da läuft es ein bisschen besser." Gül bekommt die Sorgen nicht aus dem Kopf - denn er hat sie direkt vor Augen.

Dortmund: Aufgeben ist für Imbiss-Inhaber keine Option

Von den 13 Geschäften in der Food Lounge sind aktuell vier geschlossen. Erst vor Kurzem hat der Burger King dicht gemacht, der nur wenige Meter von Güls Stand entfernt war. Die geschlossenen Läden zieren nun Werbeposter für die Thier-Galerie.

Für seinen Sohn, dem der Kebab gehört, kommt es nicht infrage, den Dönerimbiss ebenfalls dichtzumachen. "Mein Sohn hat Frau und Kinder, und ich auch. Zwei Familien hängen an dem Laden hier", erklärt Vater Gül.

Entspannter Jungunternehmer blickt optimistisch in die Zukunft

Beim indischen Delhi gegenüber könnte die Stimmung nicht gegensätzlicher sein. Der 25-jährige Dung Nguyen blickt gelassen auf die leere Food Lounge. Seinen Imbiss hat Nguyen erst im Oktober 2021 eröffnet - die Corona-Pandemie hat er also einkalkuliert.

Trotzdem hat sich auch seitdem die Lage noch einmal verschlechtert: "Seit Dezember sind noch mal weniger Leute hier", sagt er in Erinnerung an die ersten Wochen seines neuen Ladens. Er führt das auf die Omikron-Welle zurück.

Nguyen hat investiert und muss ebenfalls hohe Miet- und Stromkosten decken. Zusätzlich beschäftigt er drei Mitarbeiter - eine Verantwortung, die schwer wiegt. Trotzdem ist er optimistisch: "Jetzt sind so viele geimpft oder genesen, dass hier bald hoffentlich alles entspannter läuft", sagt er. Auch der Wegfall der 2G-Regel in Nordrhein-Westfalens Einzelhandel seit dem 19. Februar dürfte die Betreiber der Food Lounge positiv stimmen.

Der 25-jährige Dung Nguyen blickt gelassen auf die leere Food Lounge: Er hat Corona einkalkuliert, als er seinen Imbiss eröffnet hat - und blickt optimistisch in die Zukunft. (Quelle: Sophie Schädel)

Seinen Imbiss aufzugeben, kommt für den Jungunternehmer nicht infrage. Viel verdient er aktuell noch nicht, aber er bleibt positiv: "Keine Ahnung, wann Corona vorbei ist. Aber ein Jahr halte ich mindestens so durch. Die Hoffnung ist das, was mich weitermachen lässt."

Manager der Thier-Galerie: Nach Corona wird es besser

Auch Markus Haas, der Center-Manager der Thier-Galerie, rät zur Geduld. "Die Food Lounge war seit der Eröffnung vor rund zehn Jahren bis zum Beginn der Pandemie sehr erfolgreich und wird sich auch nach weiteren Lockerungen wieder gut entwickeln", ist er sich sicher. Er führe auch bereits Gespräche, um die aktuell leer stehenden Lokale neu zu vermieten.

Nicht nur die Food Lounge, sondern die gesamte Dortmunder Innenstadt leidet seit Beginn der Pandemie. Besonders bei hohen Infektionszahlen und strengeren Maßnahmen blieben viele Kunden weg. Vor allem am westlichen Ende des Westenhellwegs stehen daher weiter viele Geschäfte leer.

Nicht nur die Pandemie ist schuld

Doch Heike Marzen von der städtischen Wirtschaftsförderung argumentiert, dass nicht nur Corona für die aktuelle Lage der Innenstadt verantwortlich sei. "Der Westen- und Ostenhellweg ist zusammengenommen eine der längsten Fußgängerzonen Deutschlands", sagt sie. "Es ist nicht realistisch anzunehmen, dass Menschen diese Fußgängerzone linear von A bis Z abschreiten."

Zusätzlich müsse sich der Einzelhandel auf das neue Kaufverhalten der Kunden einstellen, die viel online bestellen oder gezielt ein Geschäft aufsuchen, statt lange zu bummeln.

Den Kundenmangel sieht die Stadt Dortmund als große Herausforderung. "Die Innenstadt wird sich neu erfinden müssen", attestiert Marzen. Er betont, dass es trotz der Leerstände am Westenhellweg auch einige neue Geschäfte gibt, aber auch standhafte Alteingesessene.

Traditionsunternehmen setzt auf die Zukunft

Eines dieser Traditionsunternehmen ist der Weinhandel von Matthias Hilgering. Der 53-Jährige führt das Geschäft in vierter Generation. Die lange Geschichte des Unternehmens lässt ihn gelassen auf die aktuelle Krise blicken. "Es gab immer Aufs und Abs. Da muss man eben wandlungsfähig bleiben."

Matthias Hilgering führt den Weinhandel in vierter Generation und sagt: "Auf und Abs gab es immer." (Quelle: Sophie Schädel)

Das Haus, in dem sich das Geschäft befindet, gehört Matthias Hilgering. Hohe Mietausgaben hat er also nicht. Dafür plant er für die kommenden Monate eine große Investition: Er will seinen Laden umbauen.

"Wir wollen, dass sich die Dortmunder gerne hier aufhalten"

"Das zeigt doch, dass wir daran glauben, dass es bald wieder bergauf geht! Wir nehmen kein Geld leichtfertig in die Hand", argumentiert er gegen den Pessimismus, der viele beim Anblick der leer stehenden Läden ergreift.

Obwohl auch ihm klar ist, dass trister Leerstand der Innenstadt schadet. "Wir wollen, dass sich die Dortmunder gerne hier aufhalten. Das muss angegangen werden", sagt er entschlossen. Er selbst plant, bei schönem Wetter vor seinem Geschäft Wein auszuschenken, um die Innenstadt zu einem anziehenden Ort zu machen.

Nagelstudio könnte bald der nächste Leerstand werden

Ganz anders blickt seine Nachbarin Asia Schodjai auf die kommende Zeit. Gegenüber von Hilgerings Weinhandel betreibt sie ein kleines Nagelstudio, das sie wenige Wochen, bevor die Pandemie Deutschland erreichte, eröffnet hatte. "Früher hatte ich zwei Mitarbeiterinnen. Schau, jetzt mach ich mir selbst die Nägel", sagt die 28-Jährige unglücklich und trägt rosafarbenen Lack auf ihre langen Fingernägel auf.

Wie so vielen anderen fehlen ihr die Kunden. Sie hätten wegen der Krise kein Geld für schöne Nägel oder würden im Homeoffice auf Beauty verzichten, erklärt Schodjai. Einer Nageldesignerin habe sie deswegen schon kündigen müssen. Jetzt überlegt sie, ihren Laden zu schließen. "Wir arbeiten nur für die Miete. Für uns selbst bleibt nichts übrig!"

Asia Schodjai führt ein Nagelstudio - und leidet nach eigenen Angaben sehr unter der Pandemie. Sie überlege, ganz zu schließen, sagt sie. (Quelle: Sophie Schädel)

Schodjai leide psychisch unter dem finanziellen Druck. Sie habe keinen Appetit, könne nicht mehr richtig schlafen. "Ich stehe morgens früh auf, mache mich fertig und dann sitze ich den ganzen Tag allein hier und gucke wie eine Dumme durch mein Schaufenster."

Lange halte sie nicht mehr durch. Eigentlich überlegt sie schon seit Monaten, den Laden zu schließen. Bald wird sie das vermutlich in die Tat umsetzen. Dann könnte aus "Jiji Beauty" der nächste Leerstand auf dem Westenhellweg werden.

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