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WELCOMEFEDER

Willkommen daheim!



Spätestens die Jury der Gesellschaft für deutsche Sprache diffamierte „Gutmenschen“ im vergangenen Jahr als weltfremde, vom Helfersyndrom getriebene Moralapostel und bezog ihre Wahl des „Unwort des Jahres“ freilich insbesondere auf Ehrenamtliche, die Zeit, Geld und Energie dazu aufwandten, sich in der Flüchtlingshilfe zu engagieren oder Angriffen auf Asylheimen zu widersetzen. Wenn man so will, scheint die Stadt München demnach zum Löwenanteil aus Gutmenschen zu bestehen, zieht man in Betracht, dass die gesamte Bürgerschaft im Februar mit dem Wilhelm-Hoegner-Ehrenpreis ausgezeichnet wurde, um kollektives Engagement und selbstlose Hilfsbereitschaft zu würdigen. 

Freilich – kaum eine Thematik hat in den vergangenen Monaten so sehr polarisiert, und aber dennoch versöhnlich gestimmt, indem sie saturierten Feuilletonisten ein Thema, überdrüssigen Akademikern einen Sinn oder alleinstehenden Pensionären eine Aufgabe gegeben und uns allen mit der Erkenntnis beschenkt hat, wie privilegiert unsereins doch ist.


Filigran und sanft begann die Welcomefeder als ein grafisches Symbol des Respekts und der Menschlichkeit, das lediglich ein sprichwörtliches Zeichen setzen und Mut machen sollte. Bei einer Kochaktion mit syrischen Flüchtlingen hatten eine Handvoll befreundeter Designer und Gastronomen vor über einem Jahr beschlossen, sich von Hype & Hetze nicht beeindrucken zu lassen, und die farbenfrohe Feder in Form von Aufklebern in Umlauf gebracht. 

Schnell wurde das Emblem von unterschiedlichen Organisationen und Institutionen adaptiert – der Kreisjugendring in etwa, oder die Designschule München, der Klett-Schulbuchverlag oder FC Wacker München riefen Projekte unter dem Zeichen der Feder ins Leben.

Es dauerte nicht lange, und aus dem damals beschriebenen „Anfang, dem nicht unbedingt ein Zauber innewohnt, aber eine nicht zu bestreitende Notwendigkeit“ wurde rasch konkrete Hilfeleistung in Form von Sachspendensammlung und Fahrten an die Grenzen, die Geflüchtete zu überqueren versuchten. Die proaktive Unterstützung anderer Freiwilliger vor Ort und der intensive Kontakt mit meist schwer traumatisierten Vätern, Müttern, Söhnen und Töchtern sensibilisierten, ja, schockierten vielmehr, und machten sonnenklar, dass es bei ein bisschen hübscher Zeichensetzung fortan nicht bleiben konnte. 


Seither agiert die Welcomefeder in veränderter Konstellation auf mehreren Ebenen. Der Kreativität und urbanen Vernetzung der jeweiligen Teammitgliedern ist es gedankt, dass eine digitale Benefizaktion etabliert werden konnte, bei der renommierte Künstler, Literaten und Musiker ihre Werke zum Kauf zur Verfügung stellen und der Erlös wiederum den Spendenprojekten der Welcomefeder zugute kommen. Neben vielen Weiteren beteiligen sich aus Münchner Gefilden Janis Pönisch, Anna McCarthy, Florian Huber, Damenkapelle, Mooner, Simon Pearce, Julia Pfaller, Felix Leon Westner und Kamerakino an der Aktion. „Es ist schon crazy, wenn plötzlich eine kleine Zeichnung eine Rampe auf Lesbos mitfinanziert!“

Abgesehen von Rampen geht das Geld zu 100 Prozent direkt dorthin, wo es akut am dringendsten benötigt wird: vor Ort können frische Lebensmittel und Medikamente besorgt werden, denn speziell auf der griechischen Insel Kos, sowie auf der Balkanroute ist die Lage derart katastrophal, dass es den Geflüchteten an grundlegender Versorgung mangelt. 

Der traurige Umkehrschluss lautet: je weniger Menschen hier in München von uns empfangen werden können, desto erschütternder entwickeln sich proportional die Zustände an den jeweiligen Landesgrenzen und Inseln.

Mit Unterstützung vom Berliner Künstler Hank Schmidt in der Beek werden also weiterhin Kreativschaffende akquiriert, die ihre Kunstwerke und Publikationen beisteuern möchten, konkrete Projekte wie etwa die von der Welcomefeder finanzierten Teeküche auf Lesbos zu unterstützen. Denn gerade in Zeiten, in denen die Generierung von Spenden für die Flüchtlingshilfe viel zu häufig einem Bittstellertum gleicht, oder zappelige Volunteers ihr Gewissen mit diversen Kleiderspenden beruhigen möchten, ist es unabdinglich, dass die Kunstszene als solches das tut, was sie am besten kann: die Welt verzieren und von der Freiheit der Gedanken erzählen.


Dass die Welcomefeder zuletzt für den Smart Hero Award 2016 nominiert wurde, der den klugen Einsatz von Social Media für Anerkennung, Respekt und Toleranz auszeichnet, zeigt umso mehr, wie sehr der kreative Umgang mit Digitalität auf Resonanz stößt.


Abgesehen von Künstlerakquise ist die Welcomefeder auch in langfristige, integrative Projekte vor Ort verwickelt. Dem kulinarischen Ursprung des Federsymbols zum Zoll liegt es selbstverständlich nahe, dass aktuell verschiedene gastronomische Konzepte entwickelt werden, denn was könnte der Gastfreundschaft besser Ausdruck verleihen, als gemeinsame Mahlzeiten? In Kollaboration mit den Kammerspielen entsteht hier, neben dem derzeit montags stattfindenden Welcome Café, ein Format, das die einstige Kochaktion mit Syrern zum bühnentauglichen Happening werden lässt.

Zudem gestaltet das Team gegenwärtig ein Kochbuch, dass Heimatrezepte verschiedener syrischer Regionen kumuliert und bei gemeinsamen Kochaktionen speziell syrische Frauen um die Töpfe scharen soll.


Denn letztlich ist diese Komponente die essentiellste im Manifest der Welcomefeder: das Einladen, das Anfreunden, das voneinander Lernen. Integration darf sich nicht definieren durch allgemeingültige Floskeln oder deutsche Regeln, denen es sich anzupassen gilt; sie soll ebensowenig daraus bestehen, einen Sack voller Altkleider abzugeben, oder „dem Flüchtling“ gegenüber aus einer Position des moralisch überlegenen Helfers heraus aufzutreten, sondern einen zutiefst menschlichen, respektvollen Kennerlernprozess lostreten. Erst dort passiert tatsächliche Eingliederung, wo gemeinsam gelacht, geweint und gefeiert wird. 

In letzter Instanz möchte die Welcomefeder einen Common Ground schaffen, der (Gast-)Freundschaft ermöglicht und sich die Schönheit der Kunst, durch die sie ihre Sachspenden finanziert, in all ihrer Vielfalt zueigen macht.




www.welcomefeder.de

http://welcomefederbenefiz.tumblr.com


WO: Manouche / Beirutbeirut (Valleystraße / U-Bahn Implerstraße)


(Nach wie vor können die Welcomefeder-Aufkleber abgeholt und verteilt werden, denn von Zeichen der Menschlichkeit und des Respekts kann es in München ja schließlich gar nicht genug geben.)