Liebe ist heute so irre kompliziert. Dass Beziehungen scheitern, ist völlig alltäglich geworden: "Die Liebe endet immer", sagt Ambroise, einer der 92 von Eva Illouz befragten Männer und Frauen. Während sich fast alle Romane und Filme um den mystischen Moment drehen, wenn die Liebe aufbricht, will Illouz das noch mysteriösere Ende beleuchten. Was das Internet und der Konsumkapitalismus mit der Liebe machen, hat niemand leidenschaftlicher und präziser analysiert als die israelische Soziologin. Seit zwei Jahrzehnten beackert sie das Thema, "Warum Liebe endet" bildet den vorläufigen Abschluss ihres Forschungsprojekts.
Schonungslos analysiert Illouz uns liebesbedürftige Wesen, denen jedoch der Blick für die Liebe abhanden gekommen ist. Sie schreibt über unsere moderne Gesellschaft, in der Sex wie Suff geworden ist oder Suff wie Sex, und Liebe längst nichts Verbindliches mehr ist. Über eine Gesellschaft, in der das Onlinedating von dem noch schnelleren Mobile-Dating abgelöst wurde und sexuelle Begegnungen in eine Ware verwandelt wurden, "die man erwerben und auch wieder loswerden kann". Und darüber, wie sich diese Shoppingmentalität mit Tinder auf die Partnerwahl übertragen hat: die Dating-App als die freie Marktwirtschaft des Sexes.
Dort im Angebot: One-Night-Stand, Abschleppen, Seitensprung, Fickbeziehung, friends with benefits, Casual Dating, Cybersex, Gelegenheitssex. "Eine solche Sexualität einzig im Hinblick auf die Freuden zu analysieren, die sie gewährt, wäre so, als würde man den in den USA marktbeherrschenden Einzelhandelskonzern Walmart im Hinblick auf die Freuden analysieren, die er Schnäppchenjägern bereitet." Illouz definiert Gelegenheitssex als Äquivalent zu Georg Simmels und Karl Marx' Theorie des Geldes, als ein zum reinen Tauschwert verkommenes Ding. Die kurzlebigen Verhältnisse seien gefühllos, geprägt von selbstzweckhaftem Hedonismus - und sie führen uns in die Verunsicherung.
Illouz zeigt das schön an dem Dialog einer Frau mit ihren Freundinnen, die ihr bei der hermeneutisch höchst anspruchsvollen Übung helfen, ein Treffen zu entziffern ("Ladys, war das ein Date oder was?"). Man freut sich immer wieder über Illouz' Alltagsbeispiele und Fundstücke, über ihre Streifzüge von Émile Durkheim bis Lena Dunham, von Hegels Freiheitsbegriff bis zum sexsüchtigen Brandon in dem Film "Shame". Dazu kommen freiwillige Auskünfte auf Lebensstil-Webseiten ( "Könnte ich wirklich glücklich sein mit einem Mann, der alt genug ist, um mein Vater zu sein? Dreimal ja!") oder Aussagen von einem Professor der Finanzwirtschaft ("Die ideale Frau geht nach dem Sex."). Überall findet Illouz Vorgänge, in denen Liebe endet oder gar nicht erst richtig beginnt.
All diese wabernden Beziehungsformen, deren Status sich von offen zu fest, von fest zu offen, von verbindlich zu unverbindlich ändern kann ("Ich würde es irgendwo zwischen 'nur ein Fick' und 'einer Beziehung' einordnen.") sorgen für emotionale Verwirrung und Ungewissheit. Und während der Sex immer berechenbarer wird, sind es ausgerechnet die Gefühle nicht mehr. Schon ein falscher Look kann Gefühle ins Wanken bringen ("Das Hemd war ein echter Stimmungskiller.").
Unsere Gefühle, nicht die Sexualität, lösen nun Ängste aus, weil sie vermeintlich unsere Freiheit bedrohen. Während wir sexuell immer kompetenter werden, sind wir mit der Deutung der wahren Gefühle überfordert.
Lieben, das bedeutet für uns heute, frei zu sein, sich ohne gesellschaftliche Zwänge nur nach dem Herzen orientieren zu dürfen. Nur leider erfüllt sich diese romantische Utopie der wahren Liebe für uns kaum und hinterlässt lauter nach Begehren gierende Konsumenten, die stets nach dem noch besseren Deal suchen. Illouz erklärt, was die Ideologie und Mechanismen dieser Individualität, befeuert durch Konsum, Internet und Selbsthilfekultur, mit uns machen. Ist eben diese Freiheit vielleicht verantwortlich für unsere Beziehungsstörung? Und ist sie vielleicht nicht nur das? Die sexuelle Befreiung, glaubt Illouz, hat vor allem Männern Vorteile verschafft.
Trotz einiger Gleichheitsgewinne in Wirtschaft und Politik: Männer und Frauen genießen auf dem sexuell-romantischen Markt nicht dieselben Freiheiten, so die Soziologin. Der sexualisierte Körper der Frau ist als Bild omnipräsent und viel stärker den Mechanismen von Aufwertung und Abwertung ausgesetzt. In diesem Zusammenhang erinnert sie auch an #MeToo - und lässt keinen Zweifel am Erfolg der Bewegung, die vor einem Jahr mit dem Skandal um Harvey Weinstein begann und in der Folge auf diverse Formen der Abwertungen aufmerksam machte.