Am Anfang ihres Sachcomics "Der Ursprung der Liebe" beginnt Liv Strömquist mit einem Ranking der vier bestbezahlten Fernseh-Comedians der letzten Jahre - Tim Allen aus "Hör mal, wer da hämmert", Jerry Seinfield aus "Seinfield", Charlie Sheen aus " Two and a Half Men" und Ray Romano aus "Alle lieben Raymond", zwischen rund 800.000 und fünf Millionen Dollar wurde den Männern für eine Folge geboten.
Das zentrale Thema ihrer Sendungen ist, dass Frauen ihre Nähe suchen, zum Beispiel Zweisamkeit oder Ehe - und sie davon echt genervt sind! Ein typischer Witz geht zum Beispiel so: "Warum mit einer Frau zusammen sein, wenn ich auch ins Bordell gehen kann?" In einem Atemzug mit diesem Ranking zitiert Liv Strömquist nun aber die Soziologin Nancy Chodorow mit ihren Studien zu psychischen Störungen bei Kindern aus heteronormativen patriarchalen Familien. Alles irre in dieser Welt der Zweisamkeit. Eine spannende, assoziative Neuordnung entsteht hier, eine Verschiebung des in den Serien etablierten Begriffs von Beziehungen, Männlich- und Weiblichkeit.
Für die schwedische Comiczeichnerin und studierte Politikwissenschafterin Liv Strömquist ist dieses Männerquartett und ihr kultureller Einfluss nur eines von einer Unzahl an Beispielen, mit denen sie die gesellschaftlichen Vorstellungen von Liebe illustriert. In dem Comic "Der Ursprung der Welt" zeichnete die Autorin 2017 die Kulturgeschichte der Vulva von der Bibel bis Freud nach. Auch ihre neue Kulturgeschichte der (romantischen) Liebe ist wieder unfassbar witzig.
In acht Kapiteln rast Strömquist durch Zeitalter, Theorien und popkulturelle Phänomene, verbindet Zitate von Toni Morisson ("Die romantische Liebe ist die zerstörerischste Idee in der Menschheitsgeschichte") mit jenen der Soziologen Elisabeth und Ulrich Beck ("Liebe ist der Kommunismus im Kapitalismus"). Erzählt Anekdoten aus dem Leben von Britney Spears und zitiert aus den Schriften englischer Mönche, würzt das Ganze mit alltäglichen Beobachtungen ("Er antwortet nie auf meine SMS").
In diesem Changieren zwischen komplexen Theorien und banalen Alltagsbeispielen liegt die große Kunst von Liv Strömquist, so konstruiert sie ihre Punchlines. Die Gags sind bei ihr, wie es schon Sigmund Freud über die Witzarbeit schrieb, genussvoller Widersinn.
Die Themen kreisen um eine Aufspaltung in männliche und weibliche Realitäten - und wie daraus zwei unterschiedliche Arten von Narzissmus resultieren, die einander zum Überleben brauchen und eine zwanghafte Heteronormativität bedingen: Strömquists historische Mikrostudien erzählen vom sexuellen Eigentumsrecht des Mannes über die Frau genauso wie von der untreuen Frigg, Odins Frau in der vorchristlichen Mythologie, oder auch von polyandrischen Beziehungen im frühen Tibet, wo eine Frau mehrere Brüder heiratete. Sie galoppiert weiter von der Vernunftehe bis zur Liebesheirat und Gefühlen im Kapitalismus, zur Frau als Mutterersatz, Unterdrückte oder Pflegerin:
Das Kapitel "Männer-Pflege-WM" etwa ironisiert, wie praktisch es ist, seine Freundin oder jugendliche Ehefrau als Pflegerin einzusetzen. Kandidatinnen unter anderem: Mary Welsh Hemmingway, die den alkoholisierten, paranoiden, fetten Ernest Hemingway die letzten zehn Jahre seines Lebens gepflegt hat.
Auch Oona Chaplin, 36 Jahre jünger als Charlie Chaplin, wird gewürdigt. Sie verbrachte "fast 20 Jahre ihres Lebens mit der Pflege eines verschrumpeltem Pantomimen". Die WM gewinnt schließlich Nancy Reagan, die den an Alzheimer erkrankten Ronald Reagan jahrelang wie ein Baby pflegte: "Mein Schatz! Soll ich dir die Bulette klein schneiden?" Das Wachen am Krankenbett als Liebesbeweis.
Immer wieder sucht Strömquist nach umgangsprachlicher Auflockerung ("Woher bezieht das Patriachat seinen Pepp"), um die Comic-Aufklärung nicht in der theoretischen Feminismus-Abhandlung versinken zu lassen.
Die Strips sind angereichert mit reproduzierten Fotos und allerlei Dokumenten (Selbsthilferatgeber, TV-Serien oder Originalschriften), die gut aufgearbeiteten Quellen sind direkt am Panelrand ausgewiesen. Der vielfältige Einsatz von Panelgrößen, unterschiedlichen Typos und schreienden Fettschriften sorgt visuell für Abwechslung - und für Rage. Strömquists Witzarbeit ist gewaltig überzeugend. Wer sich nicht so leicht auf eine Seite ziehen lassen will, muss fast ein wenig aufpassen.