Das Bett ist heute nicht mehr nur ein intimer Rückzugsort, sondern ein Arbeitsplatz. Rund 80 Prozent der jungen New Yorker Berufstätigen arbeiten vom Bett aus, will ein amerikanischer Bettenfabrikant herausgefunden haben. Selbst wenn diese Zahl übertrieben sein sollte, der Gedanke, der dahintersteht, ist es nicht. Laptop, Tablet und Smartphone führen zu einem sonderbaren Generationenwechsel: Die neuen Bettlägerigen sind nicht die Alten und Siechen. Es sind die Jungen, die außerhalb der Schlafenszeiten liegen bleiben. Durch die Digitalisierung werden ihre Schlafzimmer zum Home-Office - und das ist gut so! Zehn Argumente dafür, im Bett zu bleiben.
Erstens: VorbilderDas Bett als Arbeitsplatz ist kulturgeschichtlich etabliert. Viele der großen Künstler und Kreativen wirkten dort: die Schriftsteller Marcel Proust oder Truman Capote ("Ich kann nicht denken, wenn ich mich nicht hinlege"), der Regisseur Christoph Schlingensief ("Ich lese, telefoniere und wichse dort") und Hugh Hefner, der sich ein rundes, rotierfähiges Bett bauen ließ, von dem aus er die Playboy- Redaktion leitete. Und dann wären da natürlich noch John Lennon und Yoko Ono, die mit ihrem "Bed-In" gegen Krieg demonstrierten.
Aber das Bett war nie allein den Künstlern überlassen. Thomas Hobbes studierte Mathematik auf der Matratze und bedeckte seine Laken mit geometrischen Figuren. Der Rationalist René Descartes lag allzu gern 16 Stunden lang täglich im Bett. Er radikalisierte damit den Philosophen Blaise Pascal, der glaubte, das menschliche Unglück rühre aus einer einzigen Ursache - nämlich nicht ruhig zu Hause bleiben zu können.
Zweitens: TräumeWährend wir schlafen, arbeiten unser Körper und unser Gehirn auf Hochtouren: Das Immunsystem wird durchgecheckt und Erfahrenes gespeichert. Und nichts ist kopflastiger als der Schlaf: sind unsere Muskeln erschlafft, arbeitet das Hirn ohne Pause. Schlafzimmer sind deshalb so etwas wie der Vorhof der Weisheit. Das kreative Potenzial des Träumens, wenn das Unterbewusstsein seine Pforten öffnet, hat Dichter und Denker von jeher fasziniert, allen voran die Surrealisten, die vorm Schlafengehen ein Schild an ihre Tür hängten: "Der Dichter arbeitet".
Rolling-Stones-Gitarrist Keith Richards ersann den Anfang von(I Can't Get No) Satisfaction im Bett, nahm ihn noch in derselben Nacht mit dem Kassettenrekorder auf - und veränderte damit die Musikgeschichte. Der Architekt Frank Gehry erhielt von seinen Traumfiguren Tipps für Gebäude. Der Chemiker Friedrich August Kekulé erträumte die Atome des Benzol-Moleküls. "Im Schreiben und im Schlafen", wenn der Körper ruht, weiß Autor Stephen King, "ermutigen wir unseren Geist, sich vom eintönigen rationalen Denken des alltäglichen Lebens zu befreien."
Drittens: GeschichteHeute halten viele das Bett für ein Möbel, das man erst bei Müdigkeit aufsucht. Dabei war es lange Zeit der Mittelpunkt des Lebens. Im Bett wurde man geboren, im Bett starb man. Alexander der Große regierte sogar fläzend von seinem Bett mit goldenem Baldachin und 50 goldenen Pfosten aus, hielt dort Besprechungen ab und gab Befehle - so wie später auch Frankreichs Könige im lit de justice. Die Griechen und Römer verehrten das Leben im Liegen. Nach dem Aufstehen labten sie sich auf pompösen Speiseliegen oder erfanden den lectulus, ein schmales Tagesbett zum Lesen, Schreiben und Studieren. Die Geschichte des Bettes ist reich an Beispielen, die beweisen, dass man darin beinahe alles machen kann.
Viertens: IndustrialisierungErst die Leistungsideologen moderner Zeiten wollten uns einreden, dass der Schlaf ungenutzte Zeit sei, dass nur Faule liegen, Optimierer hingegen hinter dem Schreibtisch sitzen oder am Fließband stehen. Der amerikanische Erfinder Thomas Alva Edison, ein schmächtiger Workaholic, meinte, die meisten Menschen schliefen nur aus Spaß 100 Prozent mehr als nötig. "Und diese überflüssigen 100 Prozent machen sie ungesund und ineffizient." Also erfand er die Glühbirne. Jetzt konnte in den beleuchteten Fabriken auch nachts gearbeitet werden. Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert veränderte die Schlafgewohnheiten radikal und trennte die Arbeit und das Heim. In seinem Aufsatz Louis-Philippe oder das Interieur beklagt der Philosoph Walter Benjamin diese neue Spaltung.