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Der Prinz, der Kaiser wurde: Thomas Kemmerich im Portrait

Sechs Kinder, erfolgreicher Unternehmer und eine Vorliebe für Karneval und Cowboystiefel: Thomas Kemmerich war schon vor seiner Wahl zum Ministerpräsidenten ein Enfant terrible der Thüringer Politik. Ein Portrait.


Es ist nur ein Detail, das aber einiges verrät über Thomas Leonard Kemmerich, den aktuellen Thüringer Ministerpräsidenten von der FDP: Der Mann hat vor Gericht erstritten, dass er seinen Hauptwohnsitz in Erfurt haben darf, obwohl er mit seiner Familie in Weimar wohnt. In Erfurt hat Kemmerich ebenfalls eine Wohnung - und dort sitzt er auch im Stadtrat.

Der Haken an dieser Konstellation: Laut Kommunalwahlgesetz ist in einer Gemeinde nur wählbar, wer dort seinen Hauptwohnsitz hat. Die Stadt Erfurt und das Landesverwaltungsamt Thüringen wollten Kemmerichs Erfurter Domizil nur als Nebenwohnsitz gelten lassen. Doch der Unternehmer ließ sich das nicht bieten und zog vor das Verwaltungsgericht Weimar, wo wiederum die Stadt und das Landesverwaltungsamt den Kürzeren zogen.


Aus Aachen nach Thüringen gekommen


Die Anekdote aus dem Jahr 2012 zeigt: Kemmerich kann durchaus robust werden, wenn er seine Interessen durchsetzen will. 1965 in Aachen in Nordrhein-Westfalen geboren, war er nach Ausbildung und Studium nach der Wende nach Thüringen gekommen. Er baut eine Unternehmensberatung auf und übernimmt später mehrere Frisörgeschäfte. Daraus macht er eine Frisör-Filialkette - heute mit Salons in Thüringen und Berlin und rund 150 Mitarbeitern. 2017 kommt eine Uhrenmarke hinzu, an der Kemmerich beteiligt ist.

Privat gründet er in Thüringen eine Familie. Er heiratet Ute, eine Einheimische, die er 1993 in einer Bank in München kennengelernt hat. Das Paar zieht seine sechs Kinder in Weimar groß, und beide haben oft erzählt, wie sie sich dabei durchsetzte: Kinder, Küche, Kirche war nicht ihr Modell, und so gehen alle Sprösslinge der Kemmerichs in Krippe, Kindergarten und Hort. Bonmot am Rande: Multifunktionär Kemmerich ist nebenbei stellvertretender Vorstand des Verbandes kinderreicher Familien Thüringen e.V.


Aus Aachen hat er seine Vorliebe für den Karneval importiert. 1998 ist er in Erfurt Karnevalsprinz, bis heute steht er der Gemeinschaft Erfurter Carneval vor. Bekannt ist zudem Kemmerichs Vorliebe für Cowboystiefel, die seiner ohnehin stattlichen Erscheinung inklusive Glatze die Würze verleihen.


Wie seine politische Karriere verlief


Seine politische Karriere nimmt Mitte der 2000er Jahre Fahrt auf. 2007 Kreischef der FDP in Erfurt, 2009 Landtagsabgeordneter und Stadtratsmitglied in Erfurt, 2011 Bundeschef der FDP-nahen Vereinigung Liberaler Mittelstand. 2014 verpasst die FDP den Einzug in den Landtag, Kemmerich kann sich auf seine übrigen Aufgaben konzentrieren. 2015 übernimmt er den Landesvorsitz der Liberalen. Die Landespartei ist seitdem nach außen vor allem: Kemmerich.


2017 zieht er in den Bundestag ein. Er nimmt bis 2019 an 33 von 70 Abstimmungen teil, stimmt gegen diverse Steuererhöhungspläne und unter anderem für einen Antrag der Linksfraktion, den Klimanotstand auszurufen - und gegen einen Gesetzesentwurf der Bundesregierung für eine gezielte Einwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt.


Sitz im Bundestag zugunsten des Landtagsmandats aufgegeben


Doch die Berliner Bühne ist nicht seine: Er will zurück in den Thüringer Landtag. Die Landes-FDP stellt ihn vor der Landtagswahl 2019 als Spitzenkandidaten auf. Als den Liberalen am 27. Oktober mit wenigen dutzend Stimmen mehr als vorgeschrieben der Wiedereinzug ins Landesparlament gelingt, ist Kemmerich am Ziel. Er wird Fraktionschef - und am 5. Februar 2020 im dritten Wahlgang Ministerpräsident, weil die AfD ihren eigenen Kandidaten ignoriert und mit CDU und FDP einfach Kemmerich wählt. Er nimmt die Wahl an - und dann bricht ein "Tsumani" über ihn, seine Partei, den Landtag und Thüringen herein, wie es CDU-noch-Fraktionschef Mike Mohring formulierte.


Nur einen Tag nach seiner Wahl kündigt Kemmerich seinen Rückzug an. Er dürfte als der Thüringer Ministerpräsident in die Geschichte eingehen, der niemals regierte: Kemmerich hat keine Minister benannt, die Geschäfte führen die Staatssekretärinnen und Staatssekretäre in den Ministerien.


Zuletzt aktualisiert: 07. Februar 2020, 14:11 Uhr


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