Bettina Jarasch schien gute Chancen zu haben, die erste grüne Regierende Bürgermeisterin von Berlin zu werden. Doch ihren Vorsprung hat sie verloren. Was lief da schief?
Ein Montag Mitte August, noch über einen Monat bis zur Wahl. Bettina Jarasch sitzt zusammen mit den Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der anderen Parteien im Saal des Hotel de Rome, Berlin-Mitte. Hohe Decken, im Publikum vor allem Männer in Anzügen, das Servicepersonal reicht Schnittchen und Sekt. Der Verein Die Familienunternehmer, eine Interessengemeinschaft der Wirtschaft, hat geladen. Thema des Abends: vor der Wahl.
Für Jarasch, Spitzenkandidatin der Berliner Grünen, wird es kein Heimspiel. In Broschüren, die auf den Tischen ausliegen, fordert der Verein einen "Kurswechsel" bei der Wahl. Viele Unternehmen seien von der Politik ignoriert worden, heißt es da. Die Rede ist auch von einer Verkehrspolitik, "die ideologiegetrieben oft an Praxisnähe verloren hat". Das Ergebnis von fünf Jahren Rot-Rot-Grün. Kein freundschaftliches Terrain für eine grüne Kandidatin.
Der Umgangston ist zwar höflich. Die Fragen des Moderators aber immer eine Nuance schärfer, wenn sie sich an Jarasch richten. Warum sich in der Verwaltung nichts tue? Warum es keine besseren Bedingungen für die Wirtschaft gebe? Vor allem: Wie Jarasch im Ernst für den Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co. Enteignen stimmen könne?
Jarasch lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Erzählt vom Betrieb ihres Vaters, ihren Vorstellungen einer sozialen Stadt, beschwört das Vertrauen, das nötig sei, um aufeinander zuzugehen. Am Ende hat sie vermutlich keinen neuen Grünen-Wähler gewinnen können, aber sie hat gezeigt, dass sie sich und ihre Themen glaubwürdig präsentieren kann. Und das, obwohl man ihr nachsagt, bei diesen Anlässen immer etwas steif zu sein. Ein guter Abend. Die Grünen liegen zu diesem Zeitpunkt Kopf an Kopf vorn mit der SPD, bei 21 Prozent. Wenig später wird das schon anders aussehen.
Am 26. September wird nicht nur der Bundestag, sondern auch das Berliner Abgeordnetenhaus gewählt. Bettina Jarasch, 52, ist angetreten, erste grüne Regierende Bürgermeisterin der Stadt zu werden. Eine Zeitlang sah es nach einem Durchmarsch aus. Auf 27 Prozent kamen die Berliner Grünen Ende April, Spitzenplatz, 10 Prozentpunkte vor der SPD. Dann aber der Absturz: Ende August waren es nur noch 17 Prozent, die Partei lag hinter CDU und SPD. Eine Civey-Umfrage sah sie zwischenzeitlich sogar auf Platz 4, noch hinter der Linken.
Dabei scheint Bettina Jarasch eigentlich vieles richtig zu machen. Sie setzt auf den Kampf gegen den Klimawandel, die Verkehrswende und, besonders wichtig in Berlin, das Thema bezahlbares Wohnen. Ist die vermeintlich alternative Metropole also doch noch nicht so weit? Ist Jaraschs Hauptkonkurrentin, die frühere Familienministerin und Neuköllns einstige Bürgermeisterin Franziska Giffey, zu stark? Oder liegt das Problem eine Ebene höher, beim Bund? Szenen aus dem Wahlkampf.
Sonntag, 5. September, 21 Tage vor der Wahl. Die Grünen haben zu einer offenen Bürgersprechstunde am U-Bahnhof Südstern, tiefstes Kreuzberg, geladen. Ein paar Stände und Lautsprecherboxen wurden aufgebaut. Kreuzbergs Noch-Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann ist unter anderem da, die Bundestagsabgeordnete Canan Bayram. Und Bettina Jarasch.
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