Der eine Teil der Cottbusser fürchtet sich vor Flüchtlingen – der andere vor Neonazis. Wie läuft der Landtagswahlkampf in einer Stadt, in der die AfD stark ist?
Sie ist spät dran, Olaf Scholz
ist in der Stadt. Zusammen haben sie das hiesige Klinikum besucht,
waren bei der LEAG, Betreiber der vier Tagebaue in der Region. Jetzt
eilt Kerstin Kircheis über den Cottbusser Altmarkt, einem von
restaurierten Bürgerhäusern umgebenen Platz, steckt ein rotes
Banner in den Ständer, baut einen Tisch auf, verteilt Broschüren
und Kugelschreiber darauf, alle mit dem Logo ihrer Partei, der SPD.
„Wir müssen Präsenz zeigen“, sagt sie. „Besonders jetzt.“
Kircheis, 63, bunte Bluse,
blondes krauses Haar, ist eine von zwei Direktkandidaten der
Cottbusser SPD, seit 1990 Regierungspartei in Brandenburg. Erst war
sie bei der PDS, 2002 ging sie zur SPD. Sie wolle ihr bestes für
Cottbus geben, sagt Kircheis. Nicht einfach in dieser Stadt.
Der
Verfassungsschutz bezeichnet die zweitgrößte Stadt Brandenburgs als
„Hotspot des Rechtsextremismus“ im Bundesland. 2018 war es zu
Auseinandersetzungen zwischen Asylbewerbern und Cottbussern gekommen.
Seitdem patrouillieren hier Polizisten; seitdem, sagt ein Teil der
Cottbusser, spaltet Angst die Stadt. Angst vor kriminellen
Flüchtlingen auf der einen, Angst vor Neonazis auf der anderen
Seite. Wie macht man Wahlkampf in so einer Stadt?
An diesem Dienstag ist es sehr
ruhig. Ein Reichsbürger verwickelt Kircheis‘ Team in ein Gespräch.
Ein Passant ruft im Vorbeigehen „Arbeiterverräter“. Eine Frau um
die 90 sagt, es gäbe hier zu viele Ausländer.
Die meisten Menschen aber gehen
vorbei.
„Die
Stimmung hat sich gedreht“, sagt Kircheis. „Viele machen
inzwischen dicht.“
In ihrem Wahlkampf setzt sie vor
allem auf die Infrastruktur. Den Ausbau der Autobahn, die
zweigleisige Verbindung Richtung Berlin, neue Radwege. Thema ist
natürlich auch der Kohleausstieg.
Cottbus
ist das Herz der Lausitz, einst stolzes Braunkohlerevier. 80.000
Menschen arbeiteten vor der Wende in den Gruben und Kohlekraftwerken.
Heute sind es noch 8.000; über 10.000, rechnet man Dienstleistungen
und Zulieferer dazu. Ihre Jobs stehen bei einem Kohleausstieg auf dem
Spiel. Kircheis ist für den Kompromiss, der einen Ausstieg bis 2038
vorsieht, stört sich aber an den weiteren Diskussionen. „Man muss
Ruhe in die Politik bringen“, sagt sie. „Sonst verschreckt man
die Leute und sie sind weg.“ Und das zahle auf das „falsche
Konto“ ein.
Das „falsche Konto“, das ist
die AFD. Bei der Bundestagswahl holte die Partei hier mit 26 Prozent
die meisten Zweitstimmen, bei der Kommunalwahl diesen Mai wurde sie
stärkste Kraft.
2017 kam ein weiterer Player
dazu. „Zukunft Heimat“ nennt sich der Verein des Labormediziners
Hans-Christoph Berndt. Nach außen gibt sich der Verein harmlos und
bürgernah, veranstaltet Radtouren, sammelt Spenden für Tierheime,
lädt zu Backfesten in eine Mühle. Zugleich organisiert er
asylkritische Demonstrationen, holt Redner wie Lutz Bachmann von
Pegida in die Stadt. Ein paar Meter vom Altmarkt entfernt, in der
Mühlenstraße, entstand mit seiner Unterstützung ein eigenes Café,
der Bürgertreff Mühle, gleich nebenan: das Büro der AFD.
An diesem Dienstag Nachmittag ist
das Café, in dem Redner wie der Verleger Götz Kubitschek auftreten,
leer, die Tür verschlossen, im Schaufenster hängt ein auf Pappe
gezogenes Titelblatt der BILD: „Die Wahrheit über den
U-Bahn-Schubser“. Die „Mühle“ ist einer der Gründe, warum
Cottbus einigen als „braune Stadt“ gilt. Wie konnte es dazu
kommen?
Ein paar Meter weiter sitzt
Simone Wendler in einem Café. Wendler, 64, war bis zur ihrer
Pensionierung letztes Jahr Chefreporterin der örtlichen Lokalzeitung
Lausitzer Rundschau. Sie recherchiert vor allem zum Thema
Rechtsextremismus.
In Cottbus, sagt sie, gebe es
über Jahre gewachsene rechtsextreme Strukturen. Akteure aus dem
Hooligan-, Kampfsport- und Türsteher-Milieu, die heute „fest mit
der Stadt verwachsen sind“ und im Stadtzentrum Kleidungsgeschäfte
und Tattoostudios führen.
Das Besondere an der Stadt sei
die Symbiose zwischen AFD, Zukunft Heimat und dem Café Mühle, sagt
Wendler. Eine Verbindung, die nur schwer zu durchschauen ist. So gibt
es zwar offensichtlich Verbindungen zwischen Partei und Café, beide
sitzen ja im selben Haus. Offiziell aber tritt die AFD nicht als
Träger des Bürgertreffs auf. Dadurch, sagt Wendler, könne man in
dem Café Redner einladen, die für die Partei problematisch wären.
Zugleich müssten sich AFD-Referenten nicht erklären, wenn sie in
dem Café vor Mitgliedern der Identitären Bewegung sprechen – die
nämlich auf einer Unvereinbarkeitsliste der Partei stehen. „Unter
diesem Schutzschild ist die Partei hier weit nach rechts gerückt.“
Konnten die Demonstranten von
Zukunft Heimat lange Zeit ungestört durch Cottbus ziehen, gibt es
inzwischen Gegendemonstrationen. Das überparteiliche Bündnis
„Appell von Cottbus“ organisierte große Gegenveranstaltungen zu
den Wahlkampfauftakten von AFD und Junger Alternative im Juli und
August. Dass es mit den Protesten gedauert hat, sehen einige
Cottbusser auch als Versagen der Stadtspitze. „Es fehlt eine
klarere Position“, sagt Wendler, „und ein parteiübergreifender
Konsens, was Cottbus nicht will. Die bisherigen Proteste kommen vor
allem aus dem linken Spektrum.“
Das hat seine Gründe. In Cottbus
fehle das Bewusstsein dafür, wie wichtig es ist, sich gegen
Rechtsextremismus zu positionieren, sagt Wendler. Was auch historisch
bedingt sei.
Als Ende der siebziger Jahre der
Kohleabbau in der Region zunahm, wuchs die Stadt von 65.000 auf
120.000 Menschen. Viele Arbeitskräfte, sagt Wendler, kamen aus einem
proletarisch geprägten Milieu.
Dann kamen einige Dinge zusammen:
Die DDR habe das Thema Nationalsozialismus nie richtig aufgearbeitet,
sagt Wendler. Gastarbeiter, etwa aus Mosambik oder Vietnam, wurden in
separaten Wohnblöcken untergebracht. Kontakte zur deutschen
Bevölkerung wurden nicht gefördert, der Aufenthalt der Arbeiter war
zeitlich begrenzt. „Es gibt heute viele hier,“ sagt Wendler, „die
möchten, dass es genauso bleibt.“
Der Partei DIE LINKE, seit 2009
mit der SPD an der Regierung, gibt sie eine Mitschuld am Erfolg der
AFD. „Sie haben den Leuten im Osten immer wieder eingeredet, dass
sie Opfer der Wende sind“, sagt Wendler. „Und jetzt kommt diese
neue Partei, holt sie in der Opferrolle ab – bietet aber radikalere
Ansichten.“ Die Linke habe gesät, sagt Wendler, die AFD fahre
jetzt die Ernte ein.
Folgt man dieser Logik, ist Lars
Schieske einer derjenigen, die jetzt ernten. Schieske, 42, kurzes,
rotblondes Haar, grünes T-Shirt und Jeans, ist einer von zwei
Direktkandidaten der Cottbusser AFD. Der Feuerwehrmann engagiert sich
seit 2015 in der Partei. An diesem Abend trifft er sich mit drei
Wahlhelfern vor dem Hauptbahnhof, hievt Plakate auf die Pritsche
eines Transporters. Die wollen sie heute noch aufhängen.
Schieske tritt auf den ersten
Blick gemäßigt auf. Ausbau des Busverkehrs, Stärkung des
Ehrenamts, Verbesserung des Bildungswesens – das sind seine
Schwerpunkte. Beim Kohleausstieg, dem Thema, das die Menschen hier
besonders umtreibt, liegt er ganz auf Parteilinie. Und fordert ein
Festhalten an der Braunkohle – zumindest, solange es keine, aus
seiner Sicht, sinnvollen Alternativen gibt.
Er
sei nicht per se gegen Ausländer, sagt er. Nicht, wenn sie
Deutschland nützen. Das Grundrecht auf Asyl? Stelle er nicht in
Frage, solange die Menschen – sobald es in ihrer Heimat sicher ist
– zurückkehren. Was für ihn sichere Herkunftsländer sind? Die
Maghreb-Staaten, sagt Schieske, schließlich würden „Deutsche dort
Urlaub machen“. Auch Syrien sei sicher. Das Auswärtige Amt sieht
das anders. In seinem im Herbst 2018 erschienenen Lagebericht geht es
davon aus, dass das Land nirgends umfassenden Schutz bietet.
Schieske
ist nach eigenen Aussagen Mitbegründer des Café Mühle. Dass dort
nach Ansicht von Beobachtern Mitglieder der Identitären Bewegung
verkehren, es enge personelle Verbindungen gibt? Könne sein, sagt
er, das Café stehe allen offen. „Prinzipiell bin ich bereit, mit
jedem zu reden, der nicht extremistisch ist“. Der Verfassungsschutz
stuft die Bewegung seit Juli dieses Jahres als eindeutig
rechtsextremistisch ein.
Rechte Gewalt habe es in der
Stadt nur in den Neunzigern gegeben, sagt Schieske. Entgegnet man,
dass in Cottbus auch heute viele Männer mit T-Shirts von in der
rechten Szene bekannter Marken unterwegs sind, winkt er ab. Rechte
Gewalt begegne ihm nicht, sagt er. Der Rechtsruck in der
Gesellschaft, der Mord an Walter Lübcke? „Die Tat eines einzelnen,
verwirrten Menschen.“
Ein Tag später.
Matthias Loehr lenkt seinen
blauen Golf Tdi durch die Cottbusser Innenstadt, vorbei an einem Haus
hinter Baugerüst. Loehr, 42, ein Mann mit kurzem braunem Haar und
Brille, spricht von Baulücken, die in der Stadt geschlossen werden,
einer umtriebigen Kulturszene, von engagierten Menschen. „In
Cottbus geschieht so viel“, sagt er. „Es ärgert mich, dass die
Cottbusser das nicht sehen.“
Loehr
ist einer von zwei Direktkandidaten der Partei DIE LINKE und auf dem
Weg zum Straßenwahlkampf in Sandow, einem Neubauviertel im Zentrum
der Stadt.
Für
Loehr ist nicht der Kohleausstieg sondern der demographische Wandel
das drängendste Problem in Cottbus. 200.000 Arbeitskräfte würden
der Lausitz bis 2035 verloren gehen, sagt er, weil die Menschen in
Rente gehen. Das zweitgrößte Problem sei dann auch das Image der
Stadt. „Geteiltes Cottbus“ – mit diesem Bild, sagt Loehr, sei
es schwer, Menschen aus dem In- und Ausland in die Stadt zu holen.
Menschen, die Cottbus dringend brauche.
In
Sandow angekommen, baut er seinen Stand zwischen Postfiliale und
Bäcker auf, drei Wahlhelfer unterstützen ihn dabei. „Keine
Geschenke den Hohenzollern“ steht auf seinem Stand. Er sammelt
Unterschriften gegen die Forderungen des Adelshauses auf Rückgabe
eines Teils ihres Besitzes. Viele Passanten bleiben stehen,
unterschreiben. „Das Thema bewegt die Menschen“, sagt Loehr. „Vor
allem hier im Osten.“
Loehr
ist in Cottbus aufgewachsen. Als 1992 in der Stadt ein
Asylbewerberheim brannte, habe er gewusst, wohin er „politisch
gehöre“. Als die PDS bei der Bundestagswahl 1998 die
Fünf-Prozenthürde nahm, trat er in die Partei ein.
Der
Rassismus sei in der Stadt nie weggewesen, sagt Loehr. Es war das
Erstarken der AFD, der ihn wieder salonfähig gemacht habe. Erfolg
habe die Partei vor allem, weil sie jedes Thema mit der
Flüchtlingsfrage verbinde. „Das ist der inhaltliche Kitt, der bei
denen alles zusammenhält.“
Ob
die LINKE eine Mitschuld an ihrem Erfolg trage? Viele Forderungen
seiner Partei seien richtig gewesen, sagt Loehr, etwa die nach
gleichen Renten in Ost und West. Aber ja, vielleicht habe man zu
häufig den Opfermythos bedient. „Ich will nicht ausschließen,
dass das auch eine Rolle spielt.“
Zwei
Stunden steht er am Stand, geht auf Passanten zu, drückt den meist
älteren Leuten Einkaufschips und seinen Flyer in die Hand. Kurz vor
vier packt er ein, er muss weiter zu seinem letzten Termin, einer
Veranstaltung des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB.
Der
DGB organisiert an diesem Abend eine Podiumsdiskussion mit den
Landtagskandidaten, auf dem Gelände einer ehemaligen Fabrik. Eine
Sängerin singt Jazz-Standards, in den Stuhlreihen etwa 50 Zuhörer,
die meisten über 60. Auf dem Podium sitzen neben Loehr und Kerstin
Kircheis von der SPD auch zwei Direktkandidaten von Grüne und CDU,
Barbara Domke und Michael Schierack. Nicht dabei: Kandidaten der AFD.
Es
sei bundesweite DGB-Richtlinie, der AFD keine Bühne zu bieten, sagt
Lothar Judith, Organisator der Veranstaltung. Ob man die Partei
dadurch nicht in ihrem Opfermythos bestärkt? In der Vergangenheit
habe man Veranstaltungen mit der AFD gemacht, sagt Judith, die
Erfahrungen waren immer schlecht: Sie hätten die Podien stets auf
ihre Themen gelenkt, sachliche Diskussionen emotional aufgeladen.
„Ein Austausch ist so nicht möglich.“
An
diesem Abend diskutieren Kandidaten und Publikum über Tarifverträge,
die Zustände in der Pflege, um fehlendes Personal an der Technischen
Universität. Ob es richtig ist, die AFD – laut Prognosen stärkste
Kraft in Brandenburg – auszuschließen, ist schwer zu sagen. Um die
Flüchtlingsfrage geht es an diesem Abend jedenfalls
nicht.